Vorkehrungen zu rasanten Veränderungen
und mehr Mut zu „sozialdemokratischen Ansätzen“
Es geht ein Ruck durch das Land.
Der Klimawandel ist da!“ „Wir müssen uns dagegen stellen!“
„Selbstwirksam und voller Kraft können wir es schaffen!“
„Jede und jeder bei sich selbst zuerst – dann schaffen wir das! Gemeinsam!“
„Die Kinder und Jugendlichen von „Fridays for Future“ da, die freitags
die Schule schwänzen für ihre und unsere Zukunft haben ja Recht:
Es geht um unsere Zukunft! Und da müssen wir alle eng beieinander stehen.
Dann können wir es schaffen!“
„Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ – lässt Goethe den Faust sprechen.
Es erinnert zu vieles an die „Willkommenskultur“. Den Mauerfall. Medial geschürte und
von politischen Schönwetterreden rosa und hellblau gefärbte Euphorien und Hysterien.
Und mittendrin immer das Credo:
„Wir schaffen das!“ - „Alles wird besser!“
80 Millionen für Europa! Und bald die ganze Welt!
Die Ernüchterung folgt bald. Aber:
„die Guten“ werden weiter das Credo mantraartig beschwören.
„Die Enttäuschten“ werden Täter und Opfer für ihre Selbsttäuschung suchen.
Teile und Herrsche, Folge ∞∞∞. Also ausweglose Endlosschleife?
Können wir uns das noch lange leisten?
Und: wer ist wir? Oder – wer sind WIR?
Allgemeines Sprachgewirr
Der Begriff der „Infrastruktur“ wird wie so viele Begriffe von vielen Seiten verschieden betrachtet.
Historisch zu Beginn des Industriezeitalters im Französischen Unterbau, Nivellement
im Eisenbahnbau und „alle Erdarbeiten zur Urbarmachung der Böden“ 1,
im Englischen dann alle „immobilen Bauten und Einrichtungen, die der Mobilisierung
und Bereithaltung der Heere dienten“ 1 führt der Weg zu NATO-Definitionen
der 1950er / 1960er Jahre, wo von „Immobilien und diversen Einrichtungen der
militärischen Kommunikation, Logistik und Abschreckung“ 1 im Zusammenhang
mit „Infrastruktur“ die Rede ist.
„Neben der personalen Infrastruktur, dem Humankapital, umfasst Infrastruktur
alle langlebigen Einrichtungen materieller oder institutioneller Art,
die das Funktionieren einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft begünstigen.“ 1
Das „Gabler Wirtschaftslexikon“ definiert „Infrastruktur“ so:
„Grundausstattung einer Volkswirtschaft (eines Landes, einer Region)
mit Einrichtungen, die zum volkswirtschaftlichen Kapitalstock gerechnet
werden können, die aber für die private Wirtschaftstätigkeit
den Charakter von Vorleistungen haben.
Klassische Beispiele sind Verkehrsnetze (Straßen, Schienen- und Wasserwege)
sowie Ver- und Entsorgungseinrichtungen (Energie, Wasser, Kommunikationsnetze),
ohne deren Existenz eine privatwirtschaftliche Güterproduktion oder
Leistungserstellung nicht oder zumindest nur mit geringerer Effizienz möglich wäre
(wirtschaftsnahe Infrastruktur).“ 2
Insofern versteht denn auch jeder in Zeiten wie diesen zu allererst darunter das,
was er oder sie verstehen will. Verständigungsbereitschaft und Möglichkeiten
für Interessensausgleiche jedoch beginnen dort, wo es sowohl von wissenschaftlicher Seite
als auch von politischer Seite von einem „Entweder-oder“ zu einem „Sowohl-als auch“ wird.
Und wo zudem die Beteiligten dann in einem transparent dargestellten demokratischen
Entscheidungsprozess abwägen, was und wie groß Investitionssummen in welche
langlebigen Strukturen kurz- mittel- und vor allem dann auch langfristig für welche
Anteile der jeweiligen Bevölkerung (über-) lebensnotwendig sind.
Wie also ein Plan effizient aufgestellt und flexibel und zielstrebig verfolgt und umgesetzt wird.
Ein Plan, der Sanierung und Modernisierung ebenso wie Anpassung an spezielle,
vielleicht auch erst neu geweckte „zukunftstaugliche“ Erfordernisse, also Umbau und
Erweiterung vorsieht. Der somit Aktions- und Reaktionskräfte integriert.
Insofern sollen hier erst einmal Beispiele aus jüngster Zeit kurz beleuchtet werden.
Italien: Spannbeton und monetäre Flexibilität
Der Einsturz der Autobahnbrücke Ponte Morandi im August 2018 in Genua ist sicher
in erster Linie auf die schon in der ersten Ära Berlusconi Anfang der 1990er Jahre
eingeleitete Privatisierung öffentlicher Angelegenheiten und auf die verantwortungslose Einsparung = Profitmaximierung bei der Wartung zurückzuführen. 25% Rendite für die Seite der Anteilseigner der Betreibergesellschaften, in diesem Fall hauptsächlich die Familie Benetton
stehen da auch weiterhin zu Buche. 3
Wie bei weiterem Fortbestand dieser Zustände auch nur im Geringsten an
„Umbau zu Klimaneutralität“ oder „Klimaanpassung 2020-2050“ gedacht werden kann:
das können weder die Entscheidungsträger in Rom, noch in Brüssel auch nur ansatzweise verraten.
Immerhin: kein „Fliegenschiss“. Italien war immer ein innovatives Land, eine große Volkswirtschaft
mit vielen Themen, in denen es auch zu Recht führende Positionen und entsprechende Mitsprache
beanspruchte. Von Leonardo bis Olivetti. Und mehr.
Als der weise alte Mann der italienischen Ökonomie und Chef der Börsenaufsicht dort,
Paolo Savona Mitte Juni 2019 seinen „Plan B“ von 2015 öffentlich darstellt und darin
eine Staatsverschuldung von bis zu 200% des BIP für erträglich hält ,
„solange diese durch Vertrauen und Ersparnisse gesichert ist,“
wirken seine Rede und auch die Berichterstattung des Corriere della Sera sehr akzentuiert.
Es scheint, dass viele, ganz gleich welcher politischer Tendenz auch innerhalb der
"Querfrontregierung" zwischen M5S und Lega auf eine solche Ansage dieses
Granden gewartet haben.4
Aber Sergio Benvenuto hebt mit „Fünf Sterne verglühen“ gleichfalls einen
beeindruckenden Abgesang auf den italienischen „Qualunquismo“ an.
Und er zeigt dabei eindringlich auf, wie die italienische Spielart des „Populismus“
der „Front des Kleinen Mannes“ schon vor Mussolini auftauchte und auch 1946 dann
irgendwann von rechts, aus dem bürgerlichen Lager assimiliert wurde.
Eine Analyse, die gerade „linken Dampfplauderern“, die derzeit Salvini in Italien
einfach aufgrund seines „Anti-Brüssel-Kurses“ zumindest passiv unterstützen,
zu denken geben sollte.5
Wenige Tage später meldet sich nach Savona, 82 dann auch Diego Fusaro, 46.
Die italienische Offensive aus einem breiten aufgerückten Mittelfeld heraus geht weiter.
Der Artikel „Der Alptraum vom Kapitalismus ist wahr geworden – Acht Milliardäre
sind so reich wie die Hälfte der Weltbevölkerung“ vom Januar 2017
wird dabei von Heise Telepolis neu lanciert.
„Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität.
Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts
noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner
eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken." 6
"Neo-Idealismus" bei der Beschreibung Diego Fusaros sollte da besser durch "Neo-Realismus"
ersetzt werden. Vielleicht ist das Ganze aber auch ein „Realismus der Verzweiflung“.
Wahrscheinlich ist Claudio Sozzanis auf Hegels Idealismus zielender Einwand:
„Es gilt, auch die Klassiker wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.“
da doch berechtigt. In jedem Falle, Realismus oder Idealismus hin oder her
sind zu allererst pragmatisches Vorgehen – und die Weichenstellungen dafür gefordert.
Auch die US-Basis Ramstein ist „Infrastruktur“
Aus hier voran gestellten Definitionen wird deutlich, dass die gerade für die
US-Drohnenkriege dringendst erforderliche Militärbasis im pfälzischen Ramstein
auch „Infrastruktur im ureigenen Sinne“ ist.
Just da aber wird das Ausmaß des Kernkonfliktes und der
allgemeinen Verdrängung deutlich.
„German Angst“ und Heinrich Manns „Untertan“ reichen sich die zitternde Hand.
Unter fürsorglicher Aufsicht von Alexander und Margarete Mitscherlichs
„Unfähigkeit zu trauern“.
Einer meiner beiden Großväter verabscheute Gewalt. Und damit auch die Nazis.
Aber wie so viele mutige Überlebenskünstler im Stile eines Roberto Benigni
(„Das Leben ist schön!“) wand er sich und die vielköpfige Familie meines Vaters
durch das Schreckensregime. Und bald nach WK2 arbeitete er auf dem
benachbarten Flugplatz Haan im Hunsrück bei den Amerikanern.
Bis zu seinem frühen Tode, acht Monate vor meiner Geburt.
Aber die Mehrheit war so wie mein anderer Großvater. Die jubelten auch noch
kurz vor dem von Bruno Ganz unnachahmlich dargestellten „Untergang“
dem widerlichen Schreihals aus Braunau zu. Diesen Mann, meinen anderen Opa
lernte ich als kleiner Junge kennen und lieben. Aber irgendwie spürte ich ja immer,
dass er als Täter – eher als Mitläufer auch ein tragisches Opfer war.
Seine darunter leidende tapfere Frau indes war die erste große Liebe dieses kleinen Jungen.
Viele Menschen in Deutschland fürchten sich nun vor dem „3. Weltkrieg“. Und sie sprechen
diese Angst auch aus. Paul Virilio, 1932 in Paris geborener Sohn eines italienischen Flüchtlings
vor Mussolinis Schergen und einer aus Paris stammenden Mutter, der als kleiner Junge
die Bombardierungen der Alliierten im Keller in Nantes im besetzten Frankreich erlebte,
bezeichnete schon den ersten Golfkrieg 1991 mit seiner fürchterlichen Propaganda
von „klinischen Angriffen“ als „kleinen 3. Weltkrieg“. 7
Das „Imperium des Chaos“, wie Pepe Escobar die US immer nennt, vermag in seinem
Untergang nicht von der Nadel des „Militärisch-Industriellen Komplexes“ zu lassen.
Spätestens nach meiner Rückkehr aus Afghanistan 2010 ahne ich, dass unsere
frühere Schutzmacht am Ende ist. Dass sie als scheiterndes Imperium nicht fähig ist,
einen sinnfälligen Umbau anzugehen. Das wird immer deutlicher.
Was aber macht der deutsche Untertan?
Julian Assanges und Chelsea Mannings Schicksale stehen symptomatisch
für das Unmaß der Verdrängung. Ohne die beiden hätte es wahrscheinlich
niemals überhaupt eine Debatte über den Drohnenkrieg der US gegeben.
Und über die Bedeutung Ramsteins als Steuerungszentrale in Europa für das
automatisierte und ferngesteuerte Töten. Mit nicht ermessenem, völlig
verdrängtem zivilen „Kollateralschaden“. Alles Terroristen! Na klar.
Alexander Issajewitsch Solschenizyn als sowjetischer Dissident durfte noch die
Gnade von Glasnost und Perestroika erleben. Obama, der für viele in Europa
immer noch der „Heilsbringer“ ist, hat die Drohnenkriege erst maßgeblich gestartet.
Privat und auf den Fluren im Weißen Haus und anderswo mag er sicher ein
netter Kerl (gewesen) sein. Aber das Oval Office ist in diesen Tagen nichts
anderes als ein „Gefängnis des Tiefen Staates“. Und Ramstein muss bei Trumps
und primär Boltons Säbelrasseln nun gegen den Iran einmal mehr in seiner
Bedeutung für die US-Kriegsführung im Nahen Osten eindringlich
nachdenklich betrachtet werden. Was die Nachdenkseiten ja auch tun.
Was aber viel weiter gehen muss. 8
Großbritannien – ein anderes zersplitterndes Imperium im Niedergang
Zweifelsohne wäre mit Rory Stewart für Brüssel ein "moderaterer
Verhandler für den Brexit“ in Sicht gewesen. Ein ursprünglicher "Remainer" zudem.
Aber wahrscheinlich wird Boris Johnson - BJ es eher machen.
In der Tory-Fraktion wird der harte Kurs nun deutlich favorisiert.
Ganz gleich, was die Parteimitglieder darunter, geschweige denn
"das Wahlvolk" dazu sagen.
Genug geredet. Dass die Tories da bei den internen Wahlen vieles manipuliert haben –
spätestens seit der Wahl George W. Bushs ins Weiße Haus im November 2000 sollte
man sich über „Unregelmäßigkeiten“ bei „demokratischen Wahlen im freien Westen“
nicht mehr wundern. 9
Dass Rory diplomatisches und strategisches Geschick besitzt und klug und mutig ist –
das hat er zur Genüge bewiesen. Zu meiner Arbeit 2009 / 10 in Kabul mit ihm sage
ich immer noch, dass es sich um die größte berufliche – und zum Teil auch
größte menschliche Herausforderung meines Lebens – aber auch um das
schmerzhafteste Scheitern handelt. Insofern war ich immer etwas kritisch
auch mit den Ergebnissen der Arbeit der von ihm im Auftrag von
HRH Prince Charles gegründeten "NGO" dort.
Letztlich offenbarte sich da der Zwist zwischen "konservativer", heute auch "neoliberaler"
Entwicklungsarbeit und einem eher "sozialdemokratischen Ansatz".
HRH der Prince of Wales, also Charles links, Rory Stewart rechts, meine sonnenverbrannte
Wenigkeit nach Schneewandern bei Bamiyan (wo die großen Buddha-Höhlen sind)
über das persische Neujahr (21. März) Nouruz 2010 mit grüner Krawatte in der Mitte
Shoshana Stewart, Rory’s Ehefrau und meine damalige direkte Vorgesetzte
und durchaus auch eine gute Freundin erläutert in einem sehr lebendigen
Vortrag vor der London Business School
„Das Geheimnis von Entwicklung ist Stolz – und Business“. 10
Der Haken dabei trat deutlich zutage, als ich einmal einen Diskurs mit Rory zum
komplexen Thema „Nachhaltigkeit“ hatte. Als erfahrener deutscher Architekt mit
Vertiefung Städtebau und Ingenieur, mit "Infrastruktur" dort in einem Altstadtviertel
Kabuls betraut, der also mehr oder weniger Wasserbau, Sanierung und
Regenerierung eines kriegszerstörten Altstadtteils „von technischer Seite“
her koordinierte ein strittiges Thema. Die Einsetzung einer Kommission, die
"rudimentäres Baurecht" festsetzen sollte, mit dem das Gemeinwohl geschützt
und vor Privatrecht gesetzt werden – aber auch Kompensationsformen beschlossen
werden sollten, musste ich immer wieder von meinen Vorgesetzten fordern. Es gab also
da genügend Konfliktpotenzial. Der junge polyglotte kölsche Afghane als
„Head of Architecture“, der den aus Düsseldorf stammenden Querdenker
dafür nach Kabul geholt hatte, war ja leider auch nicht mehr da.
In diesem Gespräch wurde klar, dass für Rory Stewart die auf dem alten deutschen
Begriff aus der Forstwirtschaft basierende „Sustainability“ primär Gestaltung und Verkauf
von aufwändigen Auftragsarbeiten für Holzschnitzereien an Kunden vom Golf und
westliche diplomatische Vertretungen dort betraf. Holzschnitzereien, die traditionell
die Hauptfassaden der Kabuler Hofhäuser nicht nur in diesem Viertel ausschmückten.
Für mich betraf dies auch die mindestens drei anderen Ansichten dieser Hofhäuser
und besonders die Bewohner derselben. Denn nur so und mit diesem Ansatz gab es
Realisierungschancen für eine an maßgebliche "Kriegs- und Fluchtursachen"
herangehende dezentrale, "nachhaltige urbane Wasserwirtschaft" an einem solchen Ort.
Ein Modell, das damit auch übertragbar auf andere Orte zu einem umfassenden
dezentral strukturierten, pragmatisch verfolgten Wiederaufbauprogramm
werden konnte.
.
Hier beispielhaft eine solche Ansicht, in diesem Falle ein Haus des Aga Khan Trust for Culture (AKTC)
im Süden der Altstadt von Kabul und ein genauerer Blick auf Kabuli und Nuristani-Schnitzereien dort.
Als später trotz massiver Unterstützung aus Teilen des Ministeriums für Städtebau in Kabul,
der Weltbank und des IWF die Bürgschaften für diese neuen Standards und die zu
erwartenden Kostensteigerungen nicht gewährt wurden,
waren wir da aber bald auf verlorenem Posten.
Dass eine solche "Pufferung" der Mehrkosten mit "öffentlichen Geldern" landauf, landab
die Regel ist, das verdeutlichen solche Projekte wie die architektonisch städtebaulich
zweifelsohne herausragende Elbphilharmonie (Faktor 8 bei den Baukosten gegenüber
dem ersten Kostenanschlag), BER und Humboldt-Forum (z.B.).
Die berühmten "99 %" haben da keine Lobby. Dies jedoch ist fatal, wenn man sich ansieht,
welchen Herausforderungen wir gegenüberstehen. Nicht nur in Kabul - global.
Davon können viele, die für "Fridays for Future" und "Extinction Rebellion" auf die Straße
gehen auch kaum eine Ahnung haben. Diejenigen, die jetzt aus Sorge um den Planeten
(oder um sich und uns auf dem Planeten) grün wählen auch nicht. Weil darüber auch
kaum berichtet wird. Weil das "neoliberale Dogma" tief sitzt und "Alternativlosigkeit"
so stetig weiterverwaltet wird. "Alternativlosigkeit", die letztlich auch zunehmende
"Schutzlosigkeit" der 99% gegenüber den Gewalten - Klimawandel, Krieg,
Terrorismus u.v.a. bedeutet. Die aber damit auch Lebensräume aufgibt
und zumindest "laissez-faire" an ihrer Zerstörung mitwirkt.
Ich persönlich würde diesen vor rund zehn Jahren begonnenen Diskurs mit Rory gerne weiterführen.
Ein Talk von Rory vom April 2018 in Yale zu „Gescheiterte Staaten – und wie man sie stabilisieren kann“
verdeutlicht dies zudem. 11
Es gibt einige Punkte, bei denen ich mit Rory völlig übereinstimme. Insbesondere,
was die Wichtigkeit einer weitest möglichen „Befriedung“ Afghanistans betrifft.
Dies aufgrund seiner geostrategischen Position heute und dem Erbe des „großen Spiels“
des 19. Jahrhunderts zwischen dem zaristischen Russland und dem britischen Königreich mit
Britisch-Indien als „Statthalter vor Ort“. Insofern auch der unmittelbaren Nachbarschaft zu
gleichfalls höchst fragilen verfeindeten Atommächten: Indien und Pakistan einerseits.
Aber auch China andererseits. Wobei eine viel klügere, weitsichtigere Partnerschaft mit
China unbedingt vonnöten ist.12
Aber darauf hoffen darf und kann ich eigentlich nicht. Oder hat sich ein ZEIT-
oder Spiegel-Reporter jemals solcher Themen und solcher Maßnahmen dezidierter angenommen?
Rory, der jetzt in den Journaillen hier sicher nicht zu Unrecht als Hoffnungsträger im UK dargestellt wird,
hat gesagt, er würde einer Regierung Boris Johnson nicht dienen.
So oder so aber wird Rory Stewart früher oder später eine zunehmend
wichtige Rolle in der britischen – und der internationalen Politik spielen. 13
„Sozialdemokratische Ansätze“. What the – Sozialdemokratie?
Ein kluger Kopf, Hellmut Lotz sagt, dass manche Tories auch den Brexit durchziehen würden,
wenn Belfast schon brennen und Schottland sich vom UK verabschieden würde.
Was nicht nur in Glasgow und Edinburgh sicher auch bald für manche „Erhitzung“ sorgen würde.
Bornierter Nationalismus führt immer zu Kriegen und Auseinandersetzungen.
Nicht nur an den Grenzen. Auch dann zunehmend im Inneren. Wir benötigen dann auch
keine „al Qaida“ mehr, um uns die Hölle auf Erden zu machen.
Besonders hier im kleinteiligen Europa mit seinen vielen Völkerschaften und seinem
jüngeren geschichtlichen Erbe jedoch benötigen wir Ausgleichsbewegungen.
Auf allen Ebenen und in alle Richtungen. Horizontal in der Fläche wie vertikal
in den jeweiligen Machtverhältnissen. Ökonomisch wie soziologisch,
kulturell wie ökologisch. Und mehr.
Insofern: Ich mag keine „Apokalypsen-Darstellungen“. Es gibt immer Wege.
Dafür jedoch bedarf es der aktiven Annahme des „Anthropozäns“ und der
daraus resultierenden Verantwortung der die Bürger anführenden,
mit ihren Entscheidungen betrauten Personen. 14
Es bedarf insofern nicht “einer Idee”, sondern einer Strategie, eines Konzeptes
(= Summe verschiedener, in diese Richtung zielender Ideen), um auch gerade
Um-, (Mit-)welt- und Klimaschutz im Interesse der Vielen gegen einige Wenige
überhaupt Geltung zu verschaffen.
Und genau das ist es auch, was z.B. der kanadisch-britische Kolumnist
Umair Haque in seinen Essays zum Niedergang der US und des
“Predator-Kapitalismus” dort nicht müde wird, zu beschwören:
die europäische Sozialdemokratie. Zum Beispiel hier in einem Essay mit dem Titel:
„Die Hälfte der Amerikaner sind erwiesenermaßen arm nun.
Amerika kollapiert, weil es das erste arme reiche Land der Welt ist.“ 15
Wer oder was aber ist das noch? Die „Sozialdemokratie“?
Es geht um „die Sozialdemokratie“ als Bewegung, die mit Bahrs und Brandts
Ostpolitik das Leben im Schatten des eisernen Vorhangs für alle erträglicher
gemacht hat u.v.m. Die mit einer ausgleichenden Gesetzgebung
überlebenswichtige “Gemeingüter = Almende” wie Luft und Wasser
überhaupt wieder geschützt hat. Auch da durchaus im Konflikt zu
mächtigen Einzel-/ Konzerninteressen. Helmut Schmidt hat dieses Erbe
durch unstete Zeiten hindurch verwaltet. Und später, als er ein
„altersweiser Altkanzler“ war, da wurde eigentlich klar, dass er
der letzte kluge Weltbürger im Kanzleramt gewesen ist.
Dafür jedoch muss die Sozialdemokratie hier und andernorts in Europa
sich erst einmal dieses Erbes besinnen. Hierzulande zu allererst.
Und sie muss den Transfer dieses eher “nationalen Erbes” auf eine
“globale Ebene” erreichen wollen. Dafür bedarf es zu allererst des
entsprechenden diplomatischen Willens. Länder wie Afghanistan sind auch
der Kern, wo es darum geht, die Widerstandsfähigkeit der Mehrheit gegen
“Umwelt- und Klimaveränderungen” und wirksamen Schutz und Teilhabe
an den Dingen zu verstärken. Das sind ganz wesentliche Kriegsursachen vor Ort.
Und: „freie Märkte“ begünstigen in erster Linie die Zahlungskräftigsten. Dass
diese nicht unbedingt immer viel für das „Gemeinwohl“ übrig haben, ist leider
eine unverrückbare Tatsache. Zumal, wenn das auch gar nicht gefordert ist.
Insofern beseitigt man so immer mehr
„rechtsstaatliche und sozialstaatliche Prinzipien“. Hier wie dort.
Irgendwie jedoch werde ich das Gefühl nicht los, dass Aussagen
dieser Art hierzulande auf allen Indizes und Tabulisten ganz oben stehen.
Insofern die Frage:
Bin ich ein Verfassungsfeind, wenn ich solche Themen anspreche?
Ein Frevler, ein Ketzer oder was?
Warum bekomme ich nie Antworten von öffentlichen Stellen?
Warum ducken sich immer mehr Menschen weg hierzulande?
Ein wie gesagt, schon lange angekündigtes "Jahrhundert der Kriege"
wird Europa auf die eine oder andere Art "in Mitleidenschaft ziehen".
Aber was heißt das schon: "in Mitleidenschaft ziehen"? Der "Alte Kontinent
wird früher oder später auch an dem einen oder anderen Ort
"bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen" erleben. Und der allgemeine
Niedergang der "Gemeingüter" wird schleichend weitergehen.
Schubweise immer wieder verstärkt. "Alternativlos"?
Mitnichten.
Es geht also um multinational und interkulturell abgestimmte Strategien.
Und: den Willen, wirklich etwas zu ändern. Den erstarrten Karren aus dem
Dreck herauszubewegen.
Dafür darf „Außenpolitik“ nicht national militärisch-“global-ökonomischer”
Priorität unterliegen und der Dialog mit Mehrheitsvertretern der Zivilbevölkerung
muss in den Vordergrund treten. Damit diese überhaupt gestärkt werden können.
„Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ muss sich gleichfalls diesen grundlegenden
Interessen der Mehrheiten öffnen.
Und Innenpolitik muss sich genauso diesen Interessensausgleichen widmen.
Schließlich geht es mehr denn je um „Welt-Innenpolitik“. Von Europa ausgehend.
Dieses diplomatische Geschick und den damit verbundenen politischen Willen
jedoch lässt nicht nur die “Sozialdemokratie” insbesondere in Deutschland
seit Langem schmerzhaft vermissen.
Dem „Städtebau“ als Lehre, die da zwischen Ökonomie, Ökologie, Soziologie,
Geografie, Geschichte und Bautechnik vermittelt, kommt da eine ganz besondere
Bedeutung zu. In Stadt und Region, wie ja auch Florian Hertweck in seinen
10 Thesen zur Bodenfrage betont. 16
Was aber ist davon noch da? Also von jenem „sozialdemokratischen Erbe“?
Und wie weit ist die Verdrängung des Niedergangs fortgeschritten?
Nicht nur der „Sozialdemokratie“. Aber ganz besonders dieser.
„Wenn die SPD weg ist, haben wir ja überhaupt nichts mehr“.
Dieser Satz von Susi Neumann steht über Allem. Sie, die auch Susi genannt
werden wollte, weil sie schon als Kind nur mit „Susanne“ von ihren Eltern
gerufen wurde, wenn der Verdacht bestand, dass sie etwas ausgefressen hatte,
sagte diesen Satz und überzeugte die Granden, dass sie der Partei helfen wolle
mit ihrer schnoddrig vorgebrachten, grundehrlichen Art. Die berühmten
„Sachzwänge“ jedoch ließen alles zerrinnen. Wie so oft. Susis Hilfe
versandete mit ihrem zerbrechlichen Leben. Was bleibt von ihr, von ihren
vielen stolzen MitstreiterInnen, den Putzkolonnen, die die Flure zur Altersarmut
reingehalten haben – nicht nur im Ruhrpott, landauf, landab? 17
Meine Wenigkeit ist 2013 mit den Worten:
„Ohne eine starke SPD werden wir die Wende nie hinbekommen!“ gegen alle
vorher bestehenden Grundsätze meiner selbst in diese Partei eingetreten.
Warum ich noch nicht ausgetreten bin?
Es interessiert mich, wie Menschen drinnen „Sozialdemokratie“ leben.
Wie Verdrängungsprozesse in heutigen Zeiten laufen.
Bis zu welcher Grenze. Zu welchem Punkt.
Mehr als dieser Beobachterstatus und versteckte, bisweilen auch offene
Anfeindungen hat man mir nie zugestanden dort. Ist auch egal. Ich trage keinem
etwas nach. Ich bemerke nur, wie Diskurse versanden und so alles beim
„lieb gewohnten Alten“ erstarrt bleibt.
„German Angst“, „Die Unfähigkeit zu trauern“ und „Der Untertan“
auf allen Ebenen, in allen Gremien.
Wie gehabt. Ein „Käfig voller Narren“ und ein „Keller voller Leichen“.
Überforderung mit den Anforderungen des Alltags, dem, was da
auf uns einstürzt, ist nichts Schlimmes. Das erlebt jeder und jede mal.
Zumal in Zeiten asymmetrischer Beschleunigungsvorgänge. Und dann auch
wieder entsprechenden Bremsmanövern.
Wenn Menschen überfordert sind, dann neigen sie dazu, mehr und mehr Dinge zu ignorieren.
Auch immer mehr ganz wichtige Dinge. Das kann jedem mal passieren.
Aber es ist eine Frage von Freundlichkeit, Umgang und Stil, ob man versucht, die
Dinge auf eine angemessene Art zu regeln. Besonders, was die Zukunft betrifft.
Überforderung als Dauerzustand jedoch schafft Verdrängung. Zynismus und Verbitterung.
Passivität und Erstarrung.
Gerade wir hier in Mitteleuropa können uns ein solches ignorantes Gehabe zwischen den
Imperien, die da zum Teil schon eingestürzt sind und nun in einer weiteren
Umbauphase feststecken (Russland 1989 und 1991 und China 1992 und 2011,
als die Immobilienblase dort platzte) im transatlantischen Schatten eines viel
mächtigeren Imperiums im freien Fall nicht leisten. Gerade wir hier müssen die
Dinge viel flexibler und mutiger angehen, um uns da aus den Gefahrenzonen
heraus zu bewegen. Und somit auch den Menschen, Partnern in
Ost und West, Nord und Süd wieder Perspektiven für ein würdevolles und freies,
ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.
„Dazwischen Stehen“ tun wir geografisch – und damit auch geostrategisch ohnehin.
Ein „Dazwischen Gehen“ jedoch erfordert Mut, ein Konzept. Eine Strategie.
Ein in imperialen Machtgefügen und scheinbar unlösbaren technokratischen
internen Zänkereien erstarrtes Europa ist ein totes Europa.
Und Deutschland hat einmal mehr einen Bärenanteil an dieser
als „Fortschritt“ verkauften Erstarrung.
Es bleibt zu hoffen, dass die letzten „Sozialdemokraten“ als „Spezialdemokraten“
verhöhnt nicht wie Muhammad as-Sahhaf 18 irgendwann knapp eine Generation
später in irgendeinem Exil ihre Memoiren schreiben müssen. Denn Selbstmord
aus Angst vor dem Tod hat noch keinem geholfen. Vor allem nicht den
Hinterbliebenen. Der Familie, die mit dieser Schmach erst einmal umgehen lernen muss.
Einmal mehr hier ein Blumengruß von meinem Hinterhof-Küchenfenster.
An die Hinterbliebenen von Susi Neumann. Ihren Mann, ihre MitstreiterInnen.
An die vielen Aufrechten.
Und: an die Vielen, die schon zu Grünen und AFD abgewandert sind auch.
Überlegt Euch das noch mal.
Aber: derzeit kann man Euch / Ihnen diesen vielleicht kurzsichtigen Schritt
weg von der Sozialdemokratie wahrlich nicht verübeln.
„Es kann nur besser werden?“ oder „Schlimmer geht immer!“
Zumindest zum Teil liegt das in unseren Händen.
Aber dafür müssen wir diese erst einmal aus dem Schoß heraus bewegen.
Dazu dann noch zwei sehr schöne Schlussworte von zwei ganz unterschiedlichen Menschen:
1. Rem Koolhaas, Begründer vom „Office for Metropolitan Architecture“ in Rotterdam,
erfahrener Architekt und durchaus auch immer ein „Agent provocateur“,
nicht nur in architektonischen Dingen auf die Frage:
„Was zeichnet einen Realisten für Sie aus?
‚Das mag eine etwas eigensinnige Definition sein:
Für mich ist ein Realist jemand, der eine freudvolle Beziehung zur Wirklichkeit hat.’ “ 19
2. Robert Plomin, britischer Genforscher und da Verfechter durchaus provokanter Thesen,
Chancen und Möglichkeiten der „präventiven Genforschung“ und der Anwendung
denn auch der Erkenntnisse daraus auf die Verblüffung des Interviewpartners:
„Das klingt zu schön, um wahr zu sein.
Ich bin ein Optimist. Liegt wohl in meinen Genen.’ “ 20
Anmerkungen: