Ende Juli 2020

Epilog: Ratio, Irratio, Motio, Connotatio, Commotio und "die graue Species"

 

Nach Hamlets letzten Worten hier kann es eigentlich nur noch ein Nachwort geben. 

Wozu auch mehr der Worte? Laertes vergiftete Degenspitze besiegelt das Schicksal.

Und sie beantwortet auch die Frage nach Sein oder nicht Sein. 

Vorerst. Zumindest für den Prinzen Dänemarks in Shakespeares Tragödie. 

Gerade bei Hamlet jedoch habe ich mich immer wieder gefragt, ob die Klugheit der Adaption
des archetypischen Stoffes vieler uralter Mythen und Sagen der Menschheit durch den Mann, der da wohl von 1564 bis 1616 
primär in Stratford-Upon-Avon lebte und arbeitete einfach aufgrund der Tiefe und vielseitigen Vielschichtigkeit seiner Betrachtungen nicht bedingt durch die Katharsis des "hoch verehrten Publikums" auch eine Komödie genannt werden könnte. Trotz des vermeintlichen Unglücks?

 

Noam Chomsky, "Wissenschaftler und Rebell" spricht von der "Täuschung als wesentliches Element medialer und damit auch politischer Kampagnen". "Die öffentliche Meinung" als wichtiger Akteur und Kommentator auch in vielen griechischen Tragödien und Komödien lange vor William Shakespeare lässt sich zwar täuschen, sie bekommt die Momente der Täuschung aber durchaus mit. Bisweilen auch sehr stark verspätet. Dennoch. Die ENTtäuschung eines falschen Versprechens ist allzu häufig schmerzhafter als die gleichgültige Haltung. Zumal die vermeintliche Gleichgültigkeit zumeist so wie die ENTtäuschung allzu häufig eine Phase darstellt. Insofern ist auch der eher statische Zustand der "Haltung" hier kritisch zu hinterfragen. Auch im Hinblick auf Wut und Zorn der Enttäuschten über den- oder diejenige(n), die sie getäuscht haben. Auch wenn viele Menschen scheinbar schnell diese verkehrten Versprechen von gestern vergessen. Schließlich ist die "öffentliche Meinung" selbst auch Forschungsgegenstand medialer und politischer Kampagnen. Und deren Steuerung dient eben auch dazu, viele Fakten zu verschleiern. Zumal, was über die unmittelbare Legislaturperiode hinausgehende mittel- und langfristige Folgen solchermaßen eingeleiteter, manchmal möchte man auch sagen "intrigierter" Entscheide hinausgeht. Wie Chomsky auch immer wieder richtig betont. 

 

Die "generative Grammatik" als universelles menschliches Prinzip von Sprache und Kommunikation ist die eigentlich grundlegende (r)evolutionäre Erkenntnis von Noam Chomskys wissenschaftlichem Werk. Der Anfang seines Wirkens am MIT in Boston. Seines öffentlichen Seins. Die "Sicht des Marsbewohners" auf Englisch und Hisuaheli, die Chomsky da betont zeigt denn auch, dass wir eigentlich Gleiche unter Gleichen als Menschen sind. Und, dass die vor bald 60 Jahren von ihm und seinen Weggefährten eingeleitete "kognitive Wende" gerade in diesen Zeiten neue Impulse benötigt. Dass die Dinge eigentlich weniger komplex sind als die meisten denken oder empfinden. Dass dies aber grundlegend für die komplexen Handlungen von Menschen unterschiedlichster Herkünfte ist. Handlungen, die auch Identifikationsmuster in sich tragen sollten. Handlungen, die ganz maßgeblich durch vielfältige Erfahrungsmuster der eigenen Gruppe, der eigenen Familie geprägt sind. Handlungen, die insofern immer auch der Kommunikation ihrer selbst und entsprechend der Motivation der Handelnden bedürfen. Damit die Menschen lernen und sich entwickeln können. Und nicht stumpfsinnig Handlungsmuster wiederholen, die sie nicht oder im Laufe der Zeit immer weniger verstehen. Wie Chomsky auf Alexander von Humboldt, Adam Smith, René Descartes und andere große Geister verweisend deutlich betont. 

„Gute Arbeit leisten heißt neugierig sein, forschen und aus Unklarheiten lernen“
, wie Richard Sennett so schön zum "Handwerk" sagt. (dt. Ausgabe, © 2008, Berlin Verlag GmbH, Berlin, S. 71)

 

Welche irrationalen Vorgänge jedoch blockieren "Vernunft als rationales Verhalten"?
Welche Momente der (Ent-)Täuschung wirken wie lange nach: für die Täuschenden wie für die Getäuschten? Wer ist da Täter, wer oder was ist da Opfer? Ist grau dabei eine Farbe oder ein Wesensmerkmal? Mithin ein Zustand?

 

"The Grey Race", eines meiner Lieblings-Punk-Rock-Alben damals, 1996 von "Bad Religion". 

 

Was birgt, was offenbart die Farbe grau, wenn die Evolution unseres Farbsehens, also der Entwicklung von Stab- und Zapfenzellen in unserem Auge eigentlich viel weiter differenzierte neuronale Verknüpfungen ermöglicht? Wobei die Stabzellen ja im Prinzip nur sagen, dass nachts alle Katzen grau sind. Und erst durch Wissen und Erfahrung der verschiedenen Zapfenzellen widerlegt, besser spezifiziert werden. Sodass auch Menschen, deren Sehkraft verloren oder aber von Geburt an nicht angelegt war Farben sehen und empfinden können?

 

Was bergen und offenbaren also Erzählung einerseits und ihre Verdrängung andererseits? Welcher Grauton mit welchen Farbnuancen entsteht daraus? Für uns als Species? Menschen also? Täter und Opfer in wechselndem Sinne der Würde des Handelnden wider die eigene Ohnmacht auch in widrigsten Verhältnissen, unter scheinbar ungünstigsten Vorzeichen. 
Sind Pandemie und Virus da eher Teil der Erzählung oder eher Teil der Verdrängung? Oder anders herum:

wie werden sie genutzt, im Sinne Herbert Marshall McLuhans auch von Medium und Botschaft?

 

Im Laufe der Jahre habe ich vielen Menschen diese und ähnliche Fragen direkt oder indirekt gestellt. Im jeweiligen Kontext zumeist beispielhaft hervorgehoben. Stadtplanern und Architekten, Politischen und Mikro- und Makro-Ökonomen aller Schulen und Denkrichtungen, Soziologen, Staatsbeamten in der einen oder anderen Behörde, Politikern und Verwaltungsangestellten, Menschen wie Du und ich. Lange vor und während der nach einer Pandemie benannten Zeitenwende ohne Wendezeit, in der auch etablierte Politiker davon sprechen, dass Missstände sich klar und deutlich "wie unter einem Brennglas" darstellen. Missstände und eine Ungleichheit innerhalb der "grauen Species", die sich eklatant ausgeweitet haben

 

Verdrängte Wunden von Krieg, Elend und Zerstörung zeigen sich dabei auch in der Unsicherheit stetiger Ungleichheit und damit einhergehender Chancenlosigkeit. Sie vermögen eine Schutzlosigkeit zu bewirken, die bis hin zur Anaphylaxie als komplettem Ausgeliefertsein anwachsen können. Resilienz ist dabei das Vermögen, sich selbst gegen diese Schutzlosigkeit, dieses Ausgeliefertsein zu wappnen. 

Was ist dabei lernbar, was ist genetisch vorbestimmt? Was ist genetische Disposition, was ist situatives Element des Angriffs auf den Organismus, das die Krise auslösen kann? Wie verhält sich der Organismus in den verschiedenen Phasen der Zellteilung im Rahmen also von Mitose und Meiose? Wie kann Resilienz dort anwachsen statt schwinden? Situativ und mittel- wie langfristig?

 

"Traumaforschung: Vererbte Wunden" ist ein Artikel von Sonja Gibis in der Apotheken-Umschau überschrieben. Darunter heißt es: "Ein Krieg hinterlässt Spuren in der Seele – selbst bei Menschen, die ihn nicht miterlebt haben. Denn ­psychische Wunden können vererbt werden."

Dass die nach der Pandemie benannte Krise kein Krieg ist, das wird ja immer wieder betont. Nichts desto weniger vermag die Krise diese Gefühle des Ausgeliefertseins hervorzurufen. Gefühle der Ohnmacht gegenüber einem unsichtbaren, heimtückisch und "aus heiterem Himmel" einen überkommenden Gegner. Wie kommt es, dass innerhalb einer Familie ein Geschwisterkind zäh und resilient ist, das andere jedoch irgendwann schwer erkrankt an einer zudem, wie man später feststellt, familienanamnestisch deutlich dominant vererbten Krankheit? In welchen Momenten bietet der Organismus die größten Angriffsflächen für den Ausbruch einer solchen Erkrankung? Wie vermag der Organismus sich auch dann noch zu schützen, wenn also diese Manifestation der dominant vererbten Krankheit erfolgt ist? Auch und gerade im Hinblick auf ein weiteres Leben und Erleben? Auch im Hinblick auf folgende Generationen, also eigene Kinder?

Wie kann Familie, wie kann Gesellschaft darauf reagieren? Wie kann "Resilienzbildung" so als familiärer und gesellschaftlicher Prozess zur Stärkung der Schwachen und scheinbar Hilflosen anstatt zum schutzlosen Ausgeliefertsein von immer mehr Menschen geführt werden? 

 

Die Fortführung und Weitergabe von Erzählung auch solcher Ängste und Traumata, die jemand erlebt hat ist da sicher ein Weg. Ein Weg jedoch, der manchmal besser der Verfremdung durch die Kunst bedarf.
Die Darstellung der "Schrammen in der Seele", wie eine Bildhauerin und Freundin der expressionistischen Zeichnerin Käthe Kollwitz es einmal einem früheren Freund und Kollegen schilderte erfordert ein Medium, das den Schmerzen Sinn und Schönheit verleiht. Sei das Medium dann der in ihren Händen geformte Ton oder die Tuschefeder auf dem Kalkstein und das Schneidemesser in dem Holzbrett. Seien es die Worte, sei es der Klang der Töne, sei es der Schwung des Pinsels, das Kratzen der Nadel auf der Leinwand oder härterem, festem Untergrund. Sei es die Art, wie der Straßenkehrer die Straße kehrt, wie Martin Luther King Jr. es mal in einem schönen Gleichnis ausgedrückt hat.

 

Die vier zentralen Leinwände zur Ausstellung "entzogen" von Walter Maria Padao in der Apsis der Salvatorkirche in Duisburg zum Gedenken an die Love Parade Tragödie vor 10 Jahren.
Letztlich geht es auch Walter darum, den 21 Todesopfern, deren Angehörigen und den vielen traumatisierten Überlebenden, die im unmittelbaren Geschehen dabei waren durch die Gegenüberstellung von seiner Interpretation der Kreuzabnahme Christi von Peter Paul Rubens aus der Liebfrauenkathedrale Antwerpen mit gleichformatig gemalten Repliken von Pressefotos des Unglücks und der Rettung eine würdevolle Überwindung des Schmerzes und des Haderns mit dem Schicksal zu ermöglichen. Damit führt er
uns Außenstehenden aber auch das Geschehen selbst in seiner unmittelbaren Tragik für Beteiligte und Hinterbliebene und die Frage nach menschlicher und damit rechtsstaatlicher Verantwortung  weiter vor Augen. 

 

Die Realität mancher Erzählung ist bisweilen stärker als die Fiktion des Erfundenen. Zumal auch das vermeintlich Erfundene allzu häufig "verfremdete Realität" ist. Nichts geht verloren. Alles ist immer da. Auch wenn einzelne Teile tief verschüttet und hinter vielen matten und anderen blendendes Licht reflektierenden Spiegeln verborgen sind: sie sind und waren da. Erst in neuer Kombinatorik ermöglichen sie eine neue Synthesis innerhalb der generativen Grammatik. Basierend also auf den linguistischen Verwandtschaftssystemen, die Chomsky und seine Kollegen entwickelt haben. Auch wenn wir biologisch für manchen eher "Kleinherdentiere" sind. Als "graue Species" jedoch weisen wir mehr Gemeinsamkeiten in unserer Unterschiedlichkeit auf als es vielen lieb ist. 

 

Was geschieht also derzeit "unter dem Brennglas der Pandemie"?

„Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern.“

Einmal mehr weist Tancredis Aussage aus dem "Gattopardo", dem "Leopard" von Giuseppe Tommaso di Lampedusa weit über den Hintergrund des eigentlichen Geschehens, also der physischen Handlung der "Einigung Italiens unter bürgerlichen Vorzeichen" auf Sizilien durch Garibaldis Truppen in den 1860er Jahren hinaus. Sind "Veränderung, Entwicklung und Fortschritt die wahren Triebkräfte der Geschichte"? Ist das "Brennglas" insofern eher ein Katalysator, also ein "Reaktionsbeschleuniger"? Die Stimmung, die derzeit um ein sicher nicht ganz harmloses Virus gemacht wird: dient sie nun vielmehr dazu, die viel gewaltigeren Turbulenzen eines teilweise höchst dysfunktionalen Umbaus zu verschleiern? Ein Abbruch und Umbau, der für uns hier auf dem "Alten Kontinent" bedeutet, dass wir zwischen ganz verschieden ausformulierten autokratischen Mustern unseren Weg finden müssen?

Dass wir also weder in den US, noch in China wirklich verlässliche Partner haben, das sollte sich ja irgendwie schon gezeigt haben. Dass wir aber letztlich einen eigenen Weg durch die Trümmer dieses abgebrochenen Vertrauens finden müssen? Oder was sonst? 

 

"Aber das Problem einer großen und weiter wachsenden Ungleichheit tritt bereits in vielen Ländern zutage, und nirgendwo deutlicher als in den USA. Die vergangenen dreißig Jahre in der amerikanischen Geschichte zeigen deutlich, dass die zunehmende Ungleichheit nicht der Nebeneffekt eines technologischen Wandels ist, den wir nicht kontrollieren können: Sie ist die Folge politischer Entscheidungen."

("Gute Ökonomie für harte Zeiten"; © 2019 Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo, © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 Penguin-Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S. 357,358 ff.)
Nach (De-)montage vieler ökonomischer  "Wachstumsmythen" und damit einhergehender scholastisch nüchterner Betrachtung der TFP, also der "Totalen Faktorproduktivität" als ökonomisches Erklärungsmodell für das in der Tiefe der Glaskugel verborgene "Sein und Nicht-Sein des jeweiligen BIP-Wachstums" und der vielen Erschütterungen des Weltgebäudes nun im Zuge des Aufstiegs sich entwickelnder Volkswirtschaften und vor dem Hintergrund des sich beschleunigenden Klimawandels zeigen die jüngsten Nobelpreisträger für Ökonomie hier schonungslos auf, wie "Gewohnheitsrechte" der Umverteilung von unten nach oben seit den 1980er Jahren letztlich zu einem fast "autonomisierten Prozess" geworden sind. 

Das betrifft ganz besonders, aber nicht nur die US. In zunehmendem Maße betrifft das auch Deutschland. Und auf die eine oder andere Art alle Staaten und Gesellschaften in Europa. Zumal nun im Moment der nach der Pandemie benannten Krise unter EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. 
Die "Corona-Bonds" nun und der Streit über die Verteilung des nun diese beerbenden "Corona-Fonds":
H
at der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis da Recht, wenn er sagt: 
„Europa wird traurig und geteilt sein“. Und dazu im Untertitel steht, dass er glaubt, "dass die neuen Corona-Milliarden der EU nicht den Arbeitern, sondern den Oligarchen zugute kommen werden?
"

Trägt der derzeitige "Umbau" der besonderen historischen Situation des "Alten Kontinents" hier Rechnung? Oder wird diese Situation selbst eher verdrängt? Herrschen Revanchismus und ignorante alte Rezepte oder herrscht da ein Geist, der ein neues Haus zu bauen vermag aus und mit Bewertung der Trümmer des Alten und Vergangenen? 
 

Der "Neue Feudalstaat" ist aber auch in China auf dem Vormarsch. Zumal dort der strenge Konfuzianismus per se ganz andere Handlungsmuster prägt, die einer ganz anderen, uns vielfach sehr fremden Traditionslinie entsprechen als dies in unseren zuletzt durch das, was hier als "liberale Demokratie" gilt geprägten Handlungsmustern der Fall ist.  Drückt sich das immer wieder beschworene "Erbe der Aufklärung" da in der zunehmenden Abgrenzung zu China und in der Vorbereitung von immer härteren Maßnahmen für einen Wirtschaftskrieg gegenüber dem "um seine Mitte ringenden Reich" aus, wie Sevim Dagdelen es auch eindrücklich in der jungen Welt beschreibt oder sind nicht vielmehr ganz andere neue Formen der Zusammenarbeit zu suchen, um die vielen Brennpunkte auszutarieren und zu bearbeiten?

Zumal in Anbetracht des forcierten Klimawandels und der vielen Brandherde dazwischen auf der "eurasischen Scholle"?

Wie ich schon andernorts einmal angedeutet habe: alleine das Thema "Wassermangel als Kriegsursache" und die Rolle Lowgars, die südlich an die afghanische Hauptstadt Kabul angrenzende Provinz für die Wasserversorgung der lange Zeit am schnellsten wachsenden Stadt Zentralasiens ist ein "Brennglas" für die Konflikte zwischen den verschiedenen "globalen Playern" und lokalen und regionalen Interessen und dem zudem lokal manifesten "Weltkulturerbe" dort. Darüber zu berichten jedoch wurde mir in Deutschland nie erlaubt. Weil man kein Interesse daran hat? Weil man lieber schweigt zu solchen Vorgängen und so die Menschen vor Ort in diesem Dilemma belässt?
Auch darauf habe ich nie eine adäquate Antwort erhalten. Ist "die graue Species" also grenzenlos überfordert mit den Themen einer globalisierten Welt? Oder ist dies auch Ziel "medialer Brenngläser im Dschungel der "Meinungsvielfalt", diese Verwirrung und Überforderung zu nutzen?
Wo bleibt da das "Erbe der Aufklärung"? Im Umgang mit "demographischen Mehrheiten" wie im Umgang mit den anderen Menschen, die da in der Mitte Europas leben und dies auch so zum größten Teil gewählt haben?

 

In den letzten 121 Monaten, in denen ich viel nachgedacht und aufgeschrieben habe aus und über die Welt und unsere Standorte darin, hat mich gerade der Zankapfel "Klimawandel" und der Umgang damit immer wieder befremdet. Es gab Zeiten, da konnte man das im Deutschen zusammengesetzte Nomen "Klimawandel" kaum aussprechen ohne gleich vehement angefeindet zu werden. Also ließ man es. Gleichwohl zeichnete sich schon damals, in den ersten Jahren der 2010er deutlich ab, dass die eher gemäßigten Prognosen und Berechnungen des gewaltigen Datenpools der Klimaforscher aus Geologie, Paläontologie, Archäologie, Biologie und Meteorologie und den Evolutionen all dieser und vieler anderer Wissenschaftszweige in Anbetracht des medial-politischen Umgangs damit wahrscheinlich viel zu konservativ waren. Der Kohleausstieg hier 2038 mit darin zu allererst festgeschriebener hoher Abfindung für Energiekonzerne ist so ein Beispiel langsamen Umgangs, bei dem zunächst die Absicherung der Oberen auf dem Programm steht. Bergbauarbeiter, Kumpel in der Lausitz wie im Ruhrgebiet und überall sonst jedoch stehen da nur vage auf dem Programm. Konzepte zur Integration ihrer Würde und ihrer Arbeitskraft in einen sinnfälligen und erforderlichen Umbau jedoch müssten zuvorderst stehen.
Würde, Respekt und Anerkennung, die der Mensch aus der Arbeit als soziale Aufgabe gewinnt, sind auch bei Mme Duflo und ihrem Ehemann, Mr Banerjee entscheidende Punkte bei einer der klügsten Auseinandersetzungen mit dem "bedingungslosen Grundeinkommen" für "entwickelte post-oder besser spät-industrielle Gesellschaften" , die ich bisher gefunden habe. Das "rudimentäre Grundeinkommen" für arme Länder ohne sozialstaatliche Tradition zudem ist etwas ganz anderes, das sie gleichfalls mit vielen Fallstudien vielerorts erörtern. (a.a.O. S. 440 ff.)

Für die Umsetzung solcher klug ermittelter Bedarfskonzepte bedarf es aber auch klarer Auseinandersetzungen mit den Begrifflichkeiten und dem Vorrang von "Gemeinwohl" über "ökonomisch abgesicherte starke private Rechte". Hier wie dort. Eine Kernaufgabe des Staates, die aber eben auch der "Aufklärung" und der immer wieder anzustrebenden Übereinkunft darüber bedarf, dass ein kühler Sommermonat hier in Mitteleuropa wie jetzt im Juli 2020 noch kein Zeichen für ein Abschwächen des Klimawandels ist, während gleichzeitig in Sibirien die Permafrostböden bei Temperaturen um 5-8 ° C über dem sonstigen Mittel zu dieser Jahreszeit zerlaufen und in der Sahara nicht nur in Marokko viele Oasen und ihre Bauern um das Überleben in einem aussichtslosen Kampf gegen die vorrückende Wüste kämpfen, wie es auch der Weltspiegel "im Brennglas seiner Berichterstattung" zeigt.  

 

"Ungleichheit, Armut, Migration, Handelsstreit, Wachstumsschwäche und Umweltzerstörung" sind die "sechs Überlebensfragen", die auch Mme Duflo und Mr Banerjee in vielen Fallstudien exemplarisch auf der Basis ihrer "Poor Economics" als "Gute Ökonomie für harte Zeiten" erörtern. Die vielen Widerstände gegen jegliche Veränderung werden sehr deutlich. Aber auch andere "Umsetzungsdefizite" weiter gehender Konzepte zur Bewältigung dieser Themen zeichnen sich ganz klar ab. 

Der Vordergrund des Begriffs der "Würde des Menschen" und des "Respekts vor der Lebensleistung" jedoch macht die Lehre der beiden zu einem bewegenden Moment. So ganz anders als viele andere nüchterne ökonomische Studien. "Interessensvertretung" und das Finden von "Interessensausgleichen" in diesem Sinne erfordern vielseitige und vielschichtige Betrachtungen. Ignoranz, Verdrängung und Täuschung von existentiellen Interessen der "grauen Species" per se wollen dies nicht auf dem Schirm haben. Die Instrumentalisierung der Pandemie zeichnet sich insofern deutlich ab im Stakkato der immer selben Schlagworte wie "Verschwörungstheorien" und des "Wartens auf den Impfstoff" oder "die zweite Welle "etc. 

Dies jedoch soll hier nicht weiter thematisiert werden. Nackter Machterhalt als priorisiertes Handlungsmotiv stehen da dem Gestaltungswillen und der Würde der meisten anderen Menschen gegenüber. Mme Duflo und Mr Banerjee verdeutlichen aber auch, dass die Aussagen vieler "Linker" mit unerschütterlichem Beharrungsvermögen, Alternativen zum Status Quo würden sich nicht abzeichnen so nicht stimmen. Sind viele Funktionäre da viel zu sehr in ihrem "Funktionärsdasein" gefangen, als dass sie die harte Arbeit und die dafür erforderlichen Lernprozesse der Veränderung überhaupt bemerken können? Das Ehepaar, das 2019 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hat jedenfalls geht da mit seinen vielfältigen Fallstudien noch etwas weiter als etwa David Graeber und Thomas Piketty in ihren Weg weisenden Werken.

 

121 Monate sind nicht viel Zeit. Zehn Jahre und ein Monat. Eigentlich habe ich ja schon 2006 angefangen zu schreiben. Niemals hat eines meiner Bücher einen Verlag gefunden. Gerade die randomisierten Fallstudien lagen auch meiner "Dissertation ohne Doktorvater" zugrunde, für die ich trotz vielfacher Anfragen keinen "akademischen Schutzraum" und einen bereitwilligen Doktorvater oder eine Doktormutter finden konnte. "Fragmentierte Stadtentwicklung 201_" würde ich heute, etwas mehr als fünf Jahre nach der Fertigstellung wahrscheinlich eher "Fragmentierte Stadt- und Regionalentwicklung" oder "Vom Fragment zum Fraktal: Stadt und Region im 21. Jahrhundert" überschreiben.

Auch würde ich gerade nach der Lektüre von Manuel deLandas und Graham Harmans "Rise of Realism" 2016 nicht mehr von einer Synthesis zwischen "angloamerikanischem Pragmatismus" und "europäischem Idealismus" sprechen, wie ich es dort in einem der einleitenden Kapitel noch tue. Die Erfordernis eines "neuen Realismus", wie ihn auch deLanda und Harman anhand ihrer eigenen Denkschulen postulieren erschließt sich auch durch die gewaltige Kumulation an Krisen, denen die "graue Species" sich zu Beginn der 2020er Jahre nun des 21. Jahrhunderts gegenübersieht. 


Gerade meine Arbeit in und zu Afghanistan hat hier immer wieder für Befremdung und Anfeindung gesorgt. Das Balancieren und Austarieren von gemäß einzelner Fallstudien exemplarisch zu verabschiedendem "rudimentärem Baurecht" zur Vermittlung zwischen starken privaten, oftmals nach langen Jahren von durch Krieg und Vernachlässigung zerstörten und verschütteten Land- und Eigentumsrechten und schwachen gemeinschaftlichen, nachbarschaftlichen Interessen von Siedlern, Pächtern, Anwohnern, Tagelöhnern und Wanderarbeitern jedoch halte ich weiterhin für einen Schlüsselmoment, um an einem solchen Ort einer menschlichen Tragödie sondergleichen Interessensausgleiche herbeizuführen. Und ich halte dies auch für uns hier in Mitteleuropa für existentiell erforderlich, solche Wege zum Wiederaufbau von Krieg und Vernachlässigung zerstörter Länder im Nahen und Mittleren Osten zu ergründen. Ignoranz und Verdrängung und stetiges Wegsehen helfen da nicht weiter. Die Würde der Menschen an diesen Orten ist die Würde anderer Vertreter der "grauen Species". Menschen wie Du und ich. 

Zur (Wieder-) Herstellung der erforderlichen Infrastrukturen alleine im Hinblick auf urbane und regionale Wasserwirtschaften und deren Kreisläufe im 21. Jahrhundert bedarf es allerorten vieler Adaptionsvorgänge. Vor allem aber auch bedarf es staatlicher und privatwirtschaftlicher Initiativen, um zu den erforderlichen Interessensausgleichen am jeweiligen Orte zu kommen. Mithin des politischen Willens, Stagnation und Verdrängung im Zeichen von bedingungsloser Besitzstandswahrung zu überwinden. 

 

Einmal mehr zum Thema der "Würde", das ja Mme Duflo und Mr Banerjee immer wieder in den Vordergrund stellen möchte ich nochmals auf meine denkwürdige Zusammenarbeit mit der Feuerwehr Kabul seinerzeit hinweisen. Als ich Anfang Dezember 2009 mit meinem afghanischen Senior Engineer die dortige Wache am Rande des Präsidentenpalastes unweit unseres Arbeitsplatzes in der Altstadt aufsuchte, kamen wir zuerst in einen Raum, in dem nur ein "Buchari", ein Kanonenofen stand. Ein alter Mann saß in eine Decke gehüllt vor diesem Ofen. Er nahm von unserer Ankunft dort zunächst kaum Notiz. Bald begannen wir das Gespräch, um auf den Grund unseres Erscheinens hier nochmals hinzuweisen. Wir sprachen von der Notwendigkeit, unser Wissen und unsere technischen Möglichkeiten zusammenzuführen im Rahmen unseres Aufbauprojektes. Bald löste sich die Zunge des alten Mannes. Er sprach von Hydranten im Straßenraum, der der Stadt den Namen gebende Fluss schien ein klares und nährendes Gewässer. Dann wurden wir unterbrochen. Der Chief der Feuerwehr Kabul kam von einer Übung herein. Wir vertieften das Gespräch zu einsatztaktischen und baulichen Maßnahmen im Rahmen der ersten dezentralen Kanalisations- und Low-Tech-Kläranlage wahrscheinlich weltweit, die wir in einen knapp vier Hektar großen Altstadtslum planten. Schnell glänzten die Augen des obersten Feuerwehrmannes der am schnellsten wachsenden Stadt Zentralasiens. Er verabschiedete uns nach diesem Gespräch draußen am Tor der Wache mit würdevollen Worten, wie ich sie häufiger von Afghanen seines Schlages gehört habe. Würdevolle Worte, wie ich sie in den letzten zehn Jahren im Westen nur selten mit dieser Tiefe ausgesprochen gehört habe. Worte, die Taten einfordern. 

Vorher, in dem Raum mit dem Kanonenofen hatte der alte Mann unserem Gespräch aufmerksam gelauscht. Er war der alte Chief der Feuerwehr Kabul. Ein einsamer, vielleicht auch verwitweter alter Mann, den der Traum von besseren Zeiten am Leben erhielt. Am wärmenden Feuer des Ofens an seiner alten Dienststatt sitzend träumte er von einer blühenden Stadt mit Hydranten auf den Straßen und Wegen und funktionierenden Infrastrukturen. So konnte er die von Staatsbankrott, Krieg und Vernachlässigung gezeichnete Realität der zutiefst verwundeten Stadt irgendwie noch ertragen. 

"Afghanistan, das verwundete Land" hat viele solcher Menschen. Der Westen hat ihre Würde ignoriert und verdrängt und hat die dieser Würde entsprechenden Taten versäumt. So wie alle anderen Eindringlinge und vermeintlichen "Helfer" zuvor wurde "der Westen" so einmal mehr zum Besatzer. 

Besonders im Hinblick auf Art.1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN vom 10. Dezember 1948 ist dies sehr schmerzlich. Und es fordert entschiedene Verbesserungen. Kein Wegsehen und Verdrängen, sondern deutliches Hinsehen.

Ein Hinsehen dort bewirkt unweigerlich auch ein genaueres Hinsehen bei uns hier in Mitteleuropa und sonst wo "im Westen". Und umgekehrt.

 

"Wir müssen noch sehr viel lernen. Aber solange unser Ziel klar ist, können wir es schaffen",
sagen Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee am Ende ihres Buches. (A.a.O. , S. 483).

Vor dem "Dank" kommt dann doch noch einmal ein "Schluss", der eigentlich ihren wesentlichen Ansatz nochmals auf den Punkt bringt:

"Der Aufruf zum Handeln richtet sich nicht nur an Wirtschaftswissenschaftler - er richtet sich an all diejenigen von uns, die sich eine bessere, gesündere und humanere Welt wünschen. Die Ökonomie ist zu wichtig, als dass man sie den Ökonomen überlassen dürfte." (A.a.O. , S. 490).

 

Eine sinnfällige Erweiterung der Begriffe von "Ökonomie" also im Sinne von Joseph Beuys' "erweitertem Kunstbegriff"? Vielleicht. Dies war ja mit der Erweiterung des Architekturbegriffes im Sinne des "Jeder Mensch ist ein Baumeister, Architekt und Städtebauer" auch eine der Synthesen von "Fragmentierte Stadtentwicklung 201_". In Zeiten, in denen Egoismus bis hin zu Narzissmus eher förderungswürdig erscheint als Solidarität und Empathie ein schwieriges Unterfangen. Aber durchaus kein aussichtsloses. Das zeigen die beiden Träger des Nobelpreises der Wirtschaftswissenschaften von 2019, das Ehepaar mit französischem und west-bengalischem Hintergrund auf eindrucksvolle Weise. 

 

Zu guter Letzt hier jetzt noch einmal eine sehr persönliche Stellungnahme. 

Auch zurück kommend zum Anfang dieses Epiloges: Hamlet als Komödie betrachtet.

Im Rahmen der "Koronaren Ministerialbürokratie" fühlen viele Menschen hierzulande sich ja genötigt, immer wieder auf ihre eigenen Risikofaktoren zu Sars CoV-2 hinzuweisen. Das erscheint ja auch durchaus begründet. Gleichwohl ist es jedoch sicher so, dass das Virus, das eine Pandemie verursacht, nach der nun eine globale (Wirtschafts- und Politik- und vor allem eine gesellschaftliche)Krise benannt wird allerorts auf Faktoren trifft, die seine Virulenz steigern. Viele dieser Faktoren schlummern im täglichen "Sein oder Nicht-Sein" von Menschen. Individuen und Gemeinschaften. Genetische Dispositionen, verschleppte Erkrankungen und Infekte: es gibt allerhand, was einen Menschen und seinen Organismus stärken oder schwächen kann.

Als ich persönlich mit 28 Jahren meine erste tiefe Beinvenenthrombose spontan am Abend der Rückkehr von der Beerdigung meiner geliebten Großmutter hatte, da war ich zutiefst entsetzt. Als ausgebildeter Krankenpfleger konnte ich die eindeutige Symptomatik sofort herleiten. Aber: konnte das sein? 
Die Diagnose dann in der Klinik, die Lysetherapie auf Intensivstation, die darunter erfolgenden Mikroembolien: das war alles sehr klar und deutlich. Im Laufe der Jahre habe ich mehrere weitere schwere Thrombosen und auch bisweilen wieder Mikroembolien gehabt. 

Alle Medikamente zur Blutverdünnung haben irgendwann zu Kopfschmerzen und damit massiver Beeinträchtigung meiner Denk- und Schaffenskraft geführt. Insofern nehme ich nichts mehr. Faktorenmangel oder sonstige dominant vererbte Dispositionen konnten nie eindeutig diagnostiziert und nachgewiesen werden. Meine Ärzte wissen inzwischen Bescheid. Auch über meine Eigenverantwortung "wider ärztlichen und medizinischen Rat". Mein Tod aufgrund eines solchen Ereignisses wäre also auch meine Eigenverantwortung.
Meinen "Heuschnupfen", der zuletzt 2003-2005 mit starker Dyspnoe, also „Heuasthma“ einherging, habe ich seit ca. 2006/07 im Griff. 2003 konnte ich vier Wochen nach einem Marathon gerade mal noch 400-500 Meter laufen. Danach hatte ich keine Luft mehr. Was mir in den letzten Jahren, insbesondere nach mehrjährigen Arbeitsaufenthalten an Orten mit hoher Luftverschmutzung wesentlich mehr zu schaffen macht, sind Feinstaubpartikel und andere sog. „Umweltgifte“, zumal kombiniert mit Löß-/ Sedimentstaub in ariden Regionen. Zu einer solchen Region werden wir hier ja auch immer mehr. Die Böden und ihr Austrocknen und Verhärten sind dabei nur ein Symptom, ein Teil einer lange verschleppten Kausalkette.

 

Es gibt viel zu tun. Viel anzupacken.
Ein afghanisches Sprichwort sagt: "Die Erziehung eines Kindes ist wie der Aufbau einer Stadt."

"Wir müssen noch sehr viel lernen. Aber solange unser Ziel klar ist, können wir es schaffen".

 

Danke, Merci, dona bat. 
 

 

 

 

07.07.2020

"Chimerica", die große Blase und "Europas Hamilton Moment"?

 

Immobilienblasen werden ursächlich klassisch in zwei große Sparten eingeteilt:

  1. Kreditinduzierte Immobilienblasen: hohe Nachfrage nach Grundstücken und Häusern wird durch geringe Markttransparenz und wenig bis gar keine Regulierung bei der Kreditvergabe befeuert.
    "Subprime-Kredite" mit geringer bis gar keiner 
    Deckung wie 2007/ 08 in den US treffen auf ein sich verknappendes Gut: Boden und Häuser. Gegenreaktionen des Marktes, etwa Zinserhöhungen bleiben aus. Die Preise schießen bei steigender Nachfrage immer höher durch die Decke. 
  2. Bei Fiskalinduzierten Immobilienblasen indes sind es weniger privatwirtschaftliche Anreize, durch die kumulierend immer mehr Luft in einen Ballon gepustet wird, sondern staatliche Eingriffe, die etwa über steuerliche Anreize erhebliche Fehlentwicklungen am Markt von Boden und Häusern nach sich ziehen. "Träge staatliche Steuerungspolitik und träge Marktentwicklung" führen dann zu einer wesentlichen "Problemverschleppung". 
    Als Beispiel wird die steuerlich begünstigte Erstellung von Gewerbeimmobilien in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren genannt.
    Der rapide Preisverfall im Falle einer Blase und deren Platzens ist hier wie auch bei anderen durch fehlerhaft gesteuerte staatliche Anreize erzeugten Überproduktion von Gütern, in diesem Falle von Häusern bedingt durch
    a) mangelnde, nicht kongruent mit dem Angebot wachsende lokale Kaufkraft
    .
    b) mangelnden Bedarf der Bevölkerung an der Nutzung oder Aneignung solcher Güter vor Ort
     
        selbst. In diesem Falle mit langer Lauf- und Produktionszeit hergestellte Güter: Immobilien. 

Die spanische Immobilienblase 2007/08 kann da sicher als eine Mischform der beiden im Sinne von "Public Private Partnership" bezeichnet werden: Nach der Einführung des Euro 2002 versuchten viele Unternehmer, "Schwarzgeld" in Peseten durch Immobiliengeschäfte zu waschen. Diesen mächtigen Marktteilnehmern wurde durch günstige Kreditzinsen geholfen. Die Preise für Häuser und Boden kletterten unaufhaltsam. Die "Flächennutzung" führte unter anderem auch zum Ausbau von Flughäfen ohne Passagiere in dünn besiedelten Regionen wie etwa "Spanisch Lappland". Im Zuge der nach der Pandemie benannten Krise ist da gerade Europas größter Flugzeugfriedhof im aragonischen Teruel wieder in die Schlagzeilen gekommen.

 

Wie verhält es sich aber vergleichbar dazu mit Gewerbebauten hierzulande, die im Zuge der Ablösung "klassischer Investorenmodelle" um die Jahrtausendwende herum entstanden? Bei ehedem "klassischen Modellen" erfolgte zunächst Entwurfs- und Genehmigungsplanung. Ausführungs- und Bauplanung wurden dann aber erst nach ca. 50 -70 % Vermietungsstand der neu zu erstellenden Flächen beauftragt.
Diese eher "solide Planung" wurde dann größtenteils abgelöst durch "neoklassiche Investorenmodelle", bei denen oftmals das Haus und der Boden schon in Planung und Rohbau mehrmals den Eigentümer wechselten. So entstanden gerade auch viele Bürogebäude, die oftmals über einen Vermietungsstand von 20 % nicht hinauskommen im Laufe ihrer physischen Existenz über rund ein bis zwei Jahrzehnte. Und in denen zum Beispiel die Firmen, die sich den Besitz an Grund und Boden und der Verwertung darauf zuspielen allzu häufig auch Tochterunternehmen der Bauträger und der Immobilienverwalter sind.
Wer unterstützt da welche Abschreibungs- und Handelsmodelle in welcher Form?
Und: was ist da "nachhaltig"?

 

Boden und Häuser und der Bedarf der Menschen vor Ort scheinen also ganz wesentliche Parameter bei der Entstehung von Immoblienblasen zu sein. Dort, wo dieser Boden sich in Flächen ausbreitet und  mit Häusern bepflanzt werden soll, scheint es immer auch mit dieser Art der Flächennutzung konkurrierende Bedürfnisse zu geben. Es gibt zu allererst also eine den physikalischen Gesetzen der Entropie entsprechende Begrenzbarkeit des physisch vorhandenen und nutzbaren Gutes Boden. Daneben steht dann auch die bisherige präferierte Nutzung von Häusern und Boden durch ortsansässige Bewohner. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, wie welche Eigentumsrechte an Grund und Boden am jeweiligen Ort über welchen Zeitraum per se auf welche Art verbrieft oder sonstwie dokumentiert sind. 

 

In diesem Zusammenhang gilt es hier, auf die größte Aktion gesellschaftlicher Umverteilung dieser unserer Zeit hinzuweisen: Privatisierung und Neubewertung von Grund und Boden, der seit der chinesischen Revolution 1949 im Besitz der Volksrepublik China war. Im Zuge der dortigen "Urbanen Revolution" gewann der in Deutschland nur am Rande ausformulierte "städtebauliche Entwurf" hier eine viel weiter gehende Bedeutung: hier wurden riesige, bisher staatliche Flächen im Zuge ihrer Nutzungsmöglichkeiten bildhaft bewertet und somit dann mit gewaltigen Preismargen dem privaten Immobilienmarkt zugeführt. Diese massenhafte Veräußerlichung von häufig auch von Dorfgemeinschaften kleinteilig landwirtschaftlich genutzten Ländereien im Namen der Partei begann schon vor 1992, als Deng Xiaoping Privateigentum eine Freigabe erteilte und nahm in den 2000er Jahren richtig Fahrt auf.
Auch der von irischen Vorfahren entstammende eher politisch linke, in L.A. lehrende US Stadtsoziologe Mike Davis spricht im auf die UN-Habitat-Studie von 2003 und viele andere Berichte aufbauenden, 2006 erstmals erscheinenden "Planet der Slums" von "Landraub" im Namen von Maos "Helden der Geschichte". Wahrscheinlich handelt es sich um den schnellsten und großflächigsten nationalen Akt, der diesen Namen verdient hat seit dem "Handel" zumeist britischer Siedler, Vorfahren der "Gründerväter" des nordamerikanischen Kontinents, insbesondere der US mit dortigen indigenen Völkern. 
(Planet of Slums, Verso, London 2006,
© Mike Davis; dt.: © Berlin, Hamburg 2007,
2. Auflage September 2011, Assoziation A, Berlin, S. 176)

 

Vor fast genau acht Jahren, im Juli 2012 bereits sagte eine befreundete japanische Investment-Bänkerin, die lange den chinesischen Immobilienmarkt beobachtet und in ihm gehandelt hatte: 

"Ich denke, der Crash wird von China her kommen. 

Laut Financial Times beträgt der Anteil des Bau- und Immobiliensektors am BIP in China 45%.

Als die japanische Immobilienblase 1990 platzte, lag dieser Anteil dort bei 30%.

2011 sind sage und schreibe 53% der weltweiten Zementproduktion, 48% der weltweiten Stahl- und 42% der weltweiten Aluminiumproduktion in China verbraucht worden. Dem gegenüber steht das BIP Chinas, das in der Summe aller Bruttoinlandsprodukte der Welt nur 15% ausmacht." (2011 / 12).

 

Ein "Zerbrechen der chinesischen Immobilienblase" hatten wir beide schon 2011 beobachtet. Die Frage schien nur, ob es eine harte oder eine weiche Landung geben würde. 

Die ersten Zahlen hatte ich ein Jahr zuvor, also vor rund neun Jahren erhalten. In "Chinas Geisterstädte und Malls" hatte ein australisches Journalistenteam die Blase genauer hinterleuchtet. Und Zahlen hochgerechnet. 64 Millionen leer stehende Neubau-Wohneinheiten und entsprechende Zig Milliarden Quadratmeter leer stehende Gewerbeflächen aller Art. Um dies einmal kurz mit einer dieser eher verkürzten Statistiken vergleichbar zu machen: In Spanien standen beim Platzen der Immobilienblase 2007/ 08 etwa 3 Millionen leer stehende Neubau-Wohneinheiten etwa 46 Millionen Einwohnern gegenüber: eine Wohnung auf  15,33 Spanier. In China standen 2011 etwa 64 Millionen leer stehende Neubau-Wohneinheiten etwa 1,34 Milliarden Einwohnern gegenüber: eine Wohnung auf den Schultern von 20,94 Chinesen. Eine zwar geringere Pro-Kopf-Belastung. Das aber bei rapide wachsender Ungleichheit in der Volksrepublik, laut Artikel 1 ihrer Verfassung ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" Dies zeigt auch der Einkommens-Verteilung und Wohlstand innerhalb der nationalen Volkswirtschaft eines Landes anzeigende Gini-Koeffizient, hier die letzte Karte von 2017 .  

Leider enthält das folgende Schaubild zur "Intergenerational Earnings Mobility" (IGE), zur Einkommensmobilität zwischen den Generationen, das da ins Verhältnis zum Gini-Koeffizienten gesetzt ist nur westliche Staaten. Ob China und die Entwicklung der Chancengleichheit bei den "Söhnen und Töchtern der Arbeiter und Bauern, die da Maos Helden der Geschichte waren" ähnlich wie gerade in den US, aber wie hier deutlich sichtbar auch Italiens und des britischen Königreichs sich zunehmend dem Stand der 1920er Jahre annähern, das wäre höchst interessant zu beobachten. Matthew Stewarts (Selbst-)Betrachtung der "9.9 %, des neuen amerikanischen Geldadels" geht da noch etwas weiter als Nick Hanauers "Ich sehe Mistgabeln" von Juli 2014, zumal Matt die Analyse des Untertitels im Text noch viel intensiver und vielseitiger vertieft:"Die Klassentrennung an sich ist schon toxisch und sie wird immer schwerer zu überbrücken. Aber auch Du könntest ein Teil des Problems sein."

 

Auch Paul Krugmans Besprechung mit Bill Moyers von Thomas Pikettys "Das Kapital im 21.Jahrhundert" 
von 2014, also zu Zeiten von US-Präsident Obama belebt diesen Diskurs noch einmal. Und zeugt zudem von intensivierten Diskursen, die aber in der Politik lange nicht angekommen sind. Weder in den US noch hier. Deren Dringlichkeit aber immer deutlicher wird. Zumal jetzt vor den Wahlen in den US. Aber auch den Wahlen in Deutschland 2021. Vor dem Hintergrund der nach der Pandemie benannten Krise. In der vieles noch sehr viel deutlicher "wie durch ein Brennglas" erkennbar wird. Insbesondere was Chancen und Möglichkeiten für ein sicheres Leben betrifft. Perspektiven für eine mögliche Zukunft. Oder die Frage: Zählen schwarze oder weiße Leben wirklich? Anders herum: Wenn schwarze Leben zählen, dann zählen alle Leben, denn (nicht nur) im gegenwärtigen Amerika zählen schwarze Leben am wenigsten.
Oder ist alles nur eine Frage der Klasse, des Geldes?
Was natürlich ganz klar "weißen Geldadel" begünstigt. Warum ist dies solch ein bleiern schweres und lähmendes Gift für unsere Gesellschaften? 
Wie kann dies geändert werden?

 

 

Als ich in Hangzhou an einem Städtebauprojekt, also in und an der Blase zwischen chinesischen und deutschen Partnern von November 2011 bis April 2012 arbeitete, da war anfangs noch eine sehr optimistische Stimmung im Lande. Ganz anders als im Sommer 1989, als ich China zum ersten Mal bereist hatte und die Angst vor Bürgerkrieg, Verfolgung und Denunziation in Anbetracht der Niederschlagung der Studentenbewegung und der zuvor gleichfalls sehr blutigen Geschichte des "Reichs der Mitte" im 20. Jahrhundert gerade mal 20 Jahre nach den Verheerungen der Kulturrevolution alles lähmte. 
China Daily und Global Times berichteten 2011 /12 ausführlich über die Blase und die Gefahr des Platzens. Auf CCTV gab es Programme wie "Crossover", wo Sino-Amerikaner, "Chimerikaner" intensiv und höchst lebendig Probleme der Wirtschaftsentwicklung diskutierten. Etwa wie kleinteilige Belohnungssysteme die Produktivität und die Zufriedenheit der Menschen erhöhen können. 

 

Mitte März dann erfolgte der Sturz Bo Xilais, des Parteisekretärs von Chongqing, der mit 32 Millionen Einwohnern  an der Mündung des Jialing in den Yangtse gelegenen größten Stadt der Welt. Eine sehr rätselhafte Geschichte, der letztlich ein Machtkampf zwischen "eher orthodoxen Sozialisten" und "eher marktkonformen Kadern" in der Parteispitze zugrunde lag.
Abgesehen davon erlebte ich zum ersten Mal eine flächendeckende Sperrung von Segmenten des Internets. QQ, das wir im Büro zum Datenaustausch nutzten war schon damals mit rund 750 Millionen registrierten Nutzern eines der größten Online-Portale und eine der wichtigsten Social Media Plattformen weltweit.  Es war rund zwei Tage lang abgeschaltet. Durch das Lesen deutscher Nachrichtenportale, primär ZEIT-online erfuhr ich von den "Putschgerüchten". Auch verstärkte Kampfflugmanöver und vermehrte Hubschrauberpatrouillen über der Stadt und dem im reichen Osten Chinas gelegenen Großraum Shanghai - Ningbo - Hangzhou zeugten von einer Ausnahmesituation. 

Im Herbst dann erfolgte die Ernennung Xi Jinpings zum KP- und bald auch zum Staatschef auf Lebenszeit. Im Gegensatz zum "Prinzling" Bo Xilai, dessen Familie also zu den engsten Machtzirkeln um Mao gehörte, war Xis Familie in der Kulturrevolution in Ungnade gefallen und hart bestraft worden. Xi selbst hatte daraus die absolute Anpassung an die Macht für sich als wichtigste Lehre gezogen. 

Sein Führungsstil, seine Machtfülle: China ist wieder sehr viel autokratischer geworden in dieser Form des "Markt-konformen Neo-Konfuzianismus". Xi schafft es auch, die Geschichte insbesondere nach den Opium-Kriegen mit ihrer Demütigung durch den Westen in einem neuen "nationalen Heldenepos" weiter zu erzählen. "Luo hou jiu yao ai da"; übersetzt: "Wer da hinten dran ist, wird die Schläge ab bekommen" wird nun als Motivation für Expansion und bedingungslose Vormachtstellung genommen. Schwächen, wie etwa der sich zeitgleich mit der Pandemie ankündigende Wachstumseinbruch auf eine Rate von
2-3% für 2020 darf solch ein Regime, solch ein Reich nicht zeigen. 

 

Das System der chinesischen "Schattenbanken", das nach 2011 die Blase abgewickelt und für eine "sanfte Landung" gesorgt hat: es dürfte unvorstellbare Ausmaße angenommen haben. Derzeit gibt es  nach David Graebers  "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" kein Vorbild für ein anderes "Geschäftsmodell". In als Unternehmen geführten Staaten ohnehin. 
Beide autokratisch regierten Staaten, China und die US sind "waidwunde Tiere". Beide haben das Platzen von gewaltigen Blasen erlebt. Und beide werden weiter Absatzmärkte für das Abladen und "ganz legale Umschichten" ihrer gewaltigen Schuldenlasten suchen. Bedingungslos. 

 

Unter derzeitigen "Geschäftsbedingungen" wünscht man keinem die Übernahme durch "chimerikanische" Unternehmen. Letztlich durch hungrige Geier, die zuerst alles Leben aus noch atmenden, vielleicht sogar noch völlig gesunden Organismen aushungern. Um dann ihre Eingeweide zu zerfleischen. Alles Muskelfleisch vom Skelett abzuziehen. Dem Ganzen eine neue Haut zu geben. 

 

"Die Würde des Menschen ist unantastbar". So lautet Artikel 1 des Grundgesetzes.

Wie die erste chinesische Verfassung 1949 eingesetzt. Nach dem Fanal des 2. Weltkrieges. Vor dem Hintergrund des bereits sich ankündigenden Korea-Krieges als erstem Stellvertreterkrieg nach dem großen Weltenbrand. Der "Kalte Krieg 2.020" führt diesen bedingungslos weiter. Mit vielen lange und immer noch ignorierten heißen Kriegen an weit entfernten und verdrängten Orten. Uns dazwischen. 

 

Die Macht ist ein widerlicher Verführer.

Zumal, wenn sie auf den fruchtbaren Boden von Dummheit, Ignoranz und Verdrängung fällt. Instrumentalisiert durch lautstark polarisierendes Tönen mit weit reichendem Presse-Echo, wie es aus den Mieteinheiten des Weißen Hauses und aus Downing Street 10 und anderen Gemächern kommt. 

Der Tod ist nun im Zuge der nach einer Pandemie benannten Krise zum Teil von Geschäftsberichten weltweit geworden. Eine seltsam paradoxe Art der gesellschaftlichen Lähmung ist über uns gekommen. Die lähmende Angst jedoch ist der schlechteste Berater für alle auch weiter gehenden Fragen und Perspektiven. Letztlich verhalten wir hier auf dem "Alten Kontinent" uns derzeit so, als möchten wir auf eine Insel mit Denkmälern für Boris Johnson in jeder britischen Provinzstadt hinarbeiten. In London in jedem zweiten Roundabout. Der Außenhandel mit dem UK ist ganz wesentlicher Teil der deutschen Exportwirtschaft. Das wird genauso verschwiegen wie die völlige Abhängigkeit der deutschen Automobilindustrie vom Produktions- und Absatzmarkt China. Wir arbeiten also auch auf Statuen und Denkmäler dort bei Maos "Helden der Geschichte", dieses Mal für Xi Jinping hin. Ob es dann für Trump etwa ein Denkmal in Greenwich Village in NYC gibt: das sei erst einmal dahingestellt. 

 

Böse Zungen in Frankreich sagen, die derzeitige Situation in Europa sei wie ein "Versailler Friedensvertrag ohne Krieg zuvor". Das, was John Maynard Keynes als "Arroganz der Sieger" bezeichnet hat, das betrifft jetzt das Land, das nun auch die "EU-Ratspräsidentschaft" inne hat. Jenes mit Regierungssitz in Berlin.
Böse Zungen in Deutschland behaupten, im Französischen haben die Wörter "Kapitulation" und "Kollaboration" dieselbe Bedeutung. So bleibt alles in einvernehmlichem gegenseitigen Argwohn ausgebremst. Interessensausgleiche, die weitere Signale für Umbau und Weiterbau einer möglichen europäischen innerhalb und mit einer globalen Zukunft sind, sucht man da (noch) vergeblich. 

 

"Post-Demokratie" und ihre Erzählweise der Corona-Pandemie scheinen zu bedeuten, dass das Virus über uns kam. Menschen sind an der dadurch bedingten "Naturgesetzlichkeit" unschuldig und verantwortungslos. Der Mob, der die Beamten in Prag aus dem Fenster gestürzt hat, der serbische Terrorist, der Franz Ferdinand in Sarajewo ermordete, die arabischen Flugschüler, die zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers hineinflogen: diese sind die Alleine Schuldigen. Die Befehlshaber des "Krieges gegen den Terror", die Kriege, Rache- und Eroberungsfeldzüge danach: da gibt es dieser paradoxen Logik zufolge keine Schuldigen. So wie Zübeyde Sürgit zum Ende des Love Parade Prozesses von Duisburg Anfang Mai diesen Jahres sagt: "Wenn alle ein bisschen Schuld haben, kann keiner bestraft werden". 

Wer Soldaten in sinnlose Kriege schickt, in denen Millionen Menschen getötet und verstümmelt werden, wer Menschen, die unbeschwert das Leben feiern möchten durch einen dunklen Tunnel schickt, der kann dieser Denkweise folgend nicht schuldig sein. Schuldig sind der Soldat und die Feiernden. Diejenigen, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Sie begeben sich in Gefahr. Selbst gewählte Gefahr. Selbstverständlich.

 

Nein. Ich habe mit US-Soldaten und mit den Töchtern und Söhnen chinesischer Arbeiter und Bauern unseren gemeinsamen Erzählungen gelauscht. Und mit vielen Anderen. Menschen von vielen Orten. An vielen Orten. Hier in Deutschland genauso wie an den Heimatorten dieser Menschen. Auch mit den Nachgeborenen und Überlebenden manchen Greuels. Mit Menschen, die dennoch hoffnungsfroh in eine gegenwärtige Zukunft sehen.

Doch diese unsere Erzählungen werden gerade einmal mehr abgespalten. 

Der Begriff der "Triage" ist einer der Begriffe, mit denen man in Deutschland im Zuge der Pandemie anfangs erneut wieder konfrontiert wurde. Mehr als 101 Jahre nach dem 1. Weltkrieg. 

Mike Davis spricht im Hinblick auf den "Planet der Slums" und die Urbanisierung ohne städtische Infrastrukturen von "dorfartigen Agglomerationen auf zur Stadt wucherndem urbanem Grund und Boden" von der "spätkapitalistischen Triage", die bereits stattgefunden habe. (a.a.O.; S. 209)

In der nach der Pandemie benannten Krise wird dies bedingungslos mit einer strikt "Wahrheit" eingrenzenden totalitaristischen Paradoxie weitergeführt. Der Blick auf ein zerfallendes und zum Teil mutwillig zerschossenes Haus soll abgewendet werden. Koste es, was es wolle. 

 

Erzählungen von Aufbau und Stolz werden so stetig gedemütigt. Das, was Großeltern empfinden mit den Enkeln im Arm,

 

wenn sie anderen stolz ihr Spielzeug präsentieren, das wird so von vorne herein abgebügelt. Es wird zu einer Geschichte der Vergeblichkeit von Geschichte, in der der Mensch das stetige Opfer eigener "Naturgesetzlichkeiten" ist. Diese gestalten aber dürfen nur diejenigen, die direkten Zugang zu den Futtertrögen haben. Alle anderen haben bedingungslos diesen zu gehorchen. 

Die Grundrente in Deutschland, die sicher ein Verdienst von Hubertus Heil ist, ist da ein kleines Mittel gegen diese Entwürdigung. Ein kleines Fünkchen Hoffnung. Leider aber auch nicht viel mehr. 

 

Europa wird diese Situation nur überstehen können, wenn es endlich selbst initiativ wird. Wenn es selbst die Änderungen einleitet. Wenn es eine Abkehr vom "Unternehmerstaat" für einige Wenige zu einem Aufbau in Würde und Freiheit für alle vollzieht. Dafür gibt es viele Programme und viele lange verdrängten Themen. Möglichkeiten für Interessensausgleiche zwischen mächtigen privaten und eher ohnmächtigen schwachen Interessen und Bedürfnissen von größeren Gemeinschaften bei Um- und Weiterbau.
Das weitere Ausbremsen dieser Kernthemen wird nur die Opferrolle zwischen "Chimerica" vergrößern. Es wird den "Alten Kontinent" einmal mehr auf die Schlachtbank führen. Eine andere vielleicht als zuletzt. Dennoch: keine gute Hoffnung und Perspektive. Kein Ziel. 

 

Jener Präsident in "Chimerica", der einst das französische Wort für "Entrepreneur" suchte, erfreut sich auch noch seines Ruhestandes. Obwohl er und seine Regierung seinerzeit eigentlich gewaltige Verbrechen zu verantworten haben. Eine "Zeitenwende" wie jetzt die nach einer Pandemie benannte Zeit. Aber ohne "Wendezeit". Letztlich sind Bush und seine Regierung auch hauptverantwortlich für den Scherbenhaufen in Afghanistan, wie ihn Michael von der Schulenburg, 30 Jahre lang UN- und 4 Jahre lang OSZE-Mitarbeiter in leitenden Funktionen in Konfliktländern in der NZZ schildert. 
Eine weiter gehende erschreckende Gleichgültigkeit und Ignoranz und Verdrängung der Folgen solcher Verantwortlichkeiten wird Europa sich nicht leisten können. 

Es fehlte schon als ich 2009 / 10 dort arbeitete jegliches Verständnis, jeglicher Wille, mit den Strukturen des Landes und seinen Leuten zu arbeiten. 
Vieles ist dabei einfach eine Frage der vorbehaltlosen Wertschätzung von Menschen. Die Korruption war dabei eher ein westlicher Import. Alleine mit Geld kann man kein Vertrauen, keine Hoffnung kaufen in einem Ozean der Verzweiflung.
Auch in einem Land ohne direkten Meereszugang. 

Im letzten Abschnitt zeigt von Schulenberg auch das Fünkchen Hoffnung: "Nach über vierzig Jahren verfehlter und leidvoller ausländischer Interventionen sollte Afghanistan das Recht haben, für sich selbst zu entscheiden. Um als Friedensmediator aufzutreten, fehlt es dem Westen definitiv an Glaubwürdigkeit."

Das ist korrekt. Der Westen hat neben Korruption auch mehr Ungerechtigkeit und mehr Armut gebracht. Von Schulenberg deutet ja auch an, dass die Opium-Produktion unter den Taliban gleich Null war. Spätestens seit 1840, also dem ersten Opium-Krieg gibt es im Westen massive Geschäftsinteressen an diesen Gütern. Diese und andere Geschäftsinteressen wurden leidlich mit alten und neuen Eliten bedient. Das Gros der Menschen darbte weiter und hatte nicht bis gar keinen Anteil daran.
Alleine die Tatsache, dass ich als "Aufbauhelfer" im Dezember 2009, also gut acht Jahre nach der Invasion des Westens der erste Mitarbeiter einer "NGO" war, der mit der Feuerwehr Kabul, also der wichtigsten örtlichen Zivilschutzorganisation zusammenarbeiten wollte sagt schon genug über Unwillen und Unfähigkeit des Westens, dort glaubhaft einen "Wiederaufbau" zu steuern. 
Die Feuerwehr Kabul war so dankbar, der Chief da war wirklich ein großartiger Partner. Es war mir immer wieder eine große Ehre, ihn zu treffen und mit ihm Details für ihre Einsatzmethodik in "unserem Altstadtviertel" (ca. 4 ha) zu erörtern. Für ihn war das nicht minder so. Lehmbau- und Fachwerk-Bauweise, enge Gassen. Ich habe alle Projektprotokolle mit meinem "Management" hier noch auf einer Festplatte. Eigentlich ein komplettes Dokument westlichen Versagens dort. Immer wieder hörte ich, dass es sich doch um eine fragmentierte und zersplitterte Gemeinschaft handle. Dass wirtschaftliche Not und Hoffnungslosigkeit diese Fragmentierung verstärkt und damit die Menschen alleine lässt in ihrem Elend: das sehen wir überall jetzt. 
Zählen schwarze oder weiße oder braune oder gelbe Leben wirklich? Welche Farbe haben unser Blut und unsere Tränen? Anders herum: Wenn schwarze oder braune oder gelbe Leben zählen, dann zählen alle Leben, denn (nicht nur) im gegenwärtigen Amerika zählen schwarze Leben am wenigsten. Nicht nur im gegenwärtigen Afghanistan, nicht nur im gegenwärtigen Europa, nicht nur im gegenwärtigen Lateinamerlka. Überall grassiert eine gefährliche Ungleichheit von Chancen und Möglichkeiten. Die letztendlich Gemeinschaft und Demokratie und Freiheit zerstört. 
Weil derzeit alles nur eine Frage der Klasse und des Geldes ist?
Und: der durch den Prince of Wales mit der Gründung jener "NGO", bei der ich in Kabul gearbeitet habe beauftragte junge Mann kandidiert derzeit mit guten Chancen als "unabhängiger Kandidat" für das Bürgermeisteramt von London. So etwas sagt sehr viel über "Philantropie" und solche Themen von "Eliten".
Von Schulenbergs Fünkchen Hoffnung indes teile ich auch mit einigen klugen Freunden, Afghanen und Deutschen hier und andernorts. 
 
Mut jedoch zu Initiative und selbständigem Denken scheint etwas, was diesem Kontinent verloren gegangen scheint. Was in "post-demokratischen Denkmustern" auch völlig ausgeschlossen wird. 
Die Einrichtung europäischer Fonds für Auf- und Umbau von Infrastrukturen, wie auch Moritz Schularick und seine Forscherkollegen aus Kalifornien schon 2014 angeregt haben erfordert aber auch wesentlich mehr Flexibilität bei Planung und Ausführung als vieles, was man bisher so in den letzten Jahren gesehen hat. Mehr Pragmatismus und vor allem auch weniger "Umsetzungsdefizite". Mehr vereinender Optimismus als ausgrenzende Segregation auch bei großflächigen Investitionsprogrammen. 
Auch für und in Europa im Angesicht des Kippmomentes. 
 
Dafür muss man sich auch zwangsläufig endlich mit "Angrynomics" auseinandersetzen. 
Marc Blyth, Professor für internationale politische Ökonomie an der Brown University auf Rhode Island macht da in seinem ersten Satz zur Klärung dieses Terminus mit Matt Goldwin schon klar, worum es ihm dabei geht: Anfangs in den US wurde er danach gefragt, wie Dundee sei, der Ort seiner Herkunft. Er sagte: "Es ist das schottische Flint Michigan. In einem Aufschwung haben wir 13% Arbeitslosigkeit. Wenn wir einen Abschwung haben, haben wir 14% Arbeitslosigkeit."
Dundee ist also in dieser Hinsicht wie Duisburg, Bochum und Oberhausen, Cottbus, Eisenhüttenstadt, Spremberg und Zittau, Bilbao und Lille, Manchester und Leeds, Napoli und Palermo und viele, viele andere Orte und Regionen in Europa und darüber hinaus. Orte, an denen so vieles schon so lange weg gebrochen ist. An denen aber nur fragmentierter Um- und Aufbau vorgenommen wurde. Und an dem Wut und Zorn, Verzweiflung und Resignation allgegenwärtig sind. Auch, weil Statistiken da Zahlen darstellen. Mehr aber auch nicht. Motivierende Konzepte gegen Ungleichheit und Chancenlosigkeit und für Interessensausgleiche bei Um- und Weiterbau existieren nicht. 
 
Am Ende heißt es darin unter anderem: "Eine der großen Erkenntnisse aus Corona wird sein, dass Sicherheit in einer komplexen, globalisierten und digitalisierten Gesellschaft eine Illusion ist – wenn wir sie überhaupt jemals hatten. Auch wenn uns Digitalisierung und Datafizierung glauben machen, man könne alles messen und berechnen, so gilt heute mehr denn je: eine Zahl allein ist nutzlos und mehr Zahlen bedeuten nicht automatisch mehr Wissen."
 
Die Pandemie und das Wecken verdrängter Lebensinhalte vieler Menschen - bis hin zum Tod bewirkt auch eine Renaissance ureigentlicher Ängste. Existentieller Ängste. Sein und Nicht-Sein. 
Das "Neue" ist immer etwas anderes. Häufig auch etwas Fremdes. Es ist vielleicht aber schon da gewesen. Oder es trifft auf etwas Bekanntes und bewirkt so etwas "Neues". Insofern ist es vielleicht schon lange angelegt gewesen. Kein Grund, in Panik zu verfallen. Kein Grund, überhaupt Angst zu empfinden. 
Alles ist immer da. Nichts geht verloren. Alles ist immer da gewesen. 
 
Der Rest ist Schweigen. 

 

 

 

 

 

28.06.2020

"Pleiten, Pech und Pannen": Blasen und andere "Krisen"

 

Jede "Krise" hat ja ihre Besonderheiten. Ihre eigenen, dem jeweiligen "Zeitgeist" folgenden Regeln. Dem Zeitgeist und dem Ungemach der Zeit, in der da Träume, Illusionen und Hoffnungen ganz vieler Menschen wie  Seifenblasen platzen. Während einige andere im Zuge dieses Geblubbers oft schon vorher nach oben gespült worden sind. Diejenigen, die dann auch in ihrer bauernschlauen und allzu häufig "beratungsresistenten Cleverness" dafür sorgen, dass die Landung der Blasen möglichst hart ausfällt. Damit ihre eigene Machtfülle ob der eingeschüchterten Massen entsprechend wächst und gedeiht. 

Andere wiederum wollen ja noch den Anschein der "Volksversteher mit demokratischer Legitimation" wahren. Die bedienen sich dann zumeist anderer Scharaden und Ablenkungsmanöver, um möglichst schuldfrei gewaschen zu bleiben in dem schon länger gärenden Geblubber. 

 

Den 1988 vom italienischen Wirtschaftshistoriker und Schriftsteller Carlo M. Cipolla verfassten klug aufeinander aufbauenden "5 Prinzipien der menschlichen Dummheit" mit dem fünften: 
"Eine dumme Person ist der gefährlichste Typ aller Personen."

könnte man durchaus insofern heutzutage ein 6. und ein 7. Prinzip hinzufügen:
6.; "Dümmer und weitaus gefährlicher als alle anderen sind die, die zum Erreichen größter Machtfülle stetig alle anderen für dumm verkaufen können und wollen".

7.: "Die Erforschung und Entlarvung der paradoxen Logik des perfiden 'für dumm Verkaufens' sollte eigentlich wesentlicher Bestandteil auch gerade 'ökonomischer Wissenschaften' sein."

 

Kollege Theo Fruendt empfiehlt in diesem Zusammenhang in der dem Namen der Pandemie folgenden Krise einen Blick über den Ärmelkanal: "Vollmundig und verlogen wird versprochen, dem NHS 350 Millionen Pfund pro Woche zu geben, aber verschwiegen wird, dass der Brexit die britische Wirtschaft von Juni 2016 bis Dezember 2019 wöchentlich 600 Millionen Pfund gekostet hat."

 

Flipcharts und andere Mittel zur Darstellung dieses durchaus glaubwürdigen Sachverhalts fehlen mir derzeit hier. Auch die Parameter dieser Erhebung sind eher unklar. Zweifelsohne jedoch ist der Mieter von Downing Street 10 zwar etwas klüger als der von Capitol Hill. Aber nur, weil seine Dummheit perfider ist in ihrer paradoxen Logik. Seine Dummheit und das "Für-Dumm-Verkaufen" der anderen ob des Durchziehens einer lange festgesetzten politischen Agenda. Gleichwohl fragt sich aber auch, warum "Reformen", die Ökonomen aller möglicher Denkrichtungen immer wieder fordern allzu häufig zu solchen kurzsichtigen Mangelerscheinungen zu Lasten der Allgemeinheit führen. Wie etwa dem Raubbau des nationalen britischen Gesundheitssystems, das noch in den 1980ern sicher eines der progressivsten Versorgungssysteme für die Gesundheit der "Systemerhalter aus allen Klassen der nationalen Volkswirtschaft" war.  Und warum etwa Vertreter "Neuen ökonomischen Denkens" noch im Sommer 2019 die größte Gefahr für die Weltwirtschaft primär in Cyber-Technologien und entsprechenden Handels- und Hackingformen sehen. 

 

Makroökonomen tendieren dazu, in behavioristischen Ansätzen zum "Verhalten der primär von Finanzen und deren Fluss diktierten Märkten Gier und Herdentrieb als wesentliche Antriebs- und Motivationsformen der Gestalter und Teilnehmer dieser Märkte" zu deklarieren. Die vielen legislativen und exekutiven Stellschrauben verwaltungstechnischer Besonderheiten in Korrelation zu "lokalen Attitüden" innerhalb einzelner mikroökonomischer Einheiten = stark vereinfacht: Staaten als nationale und föderale Gebilde und damit verfolgte politische Agenden im jeweiligen legislaturperiodischen Wettstreit in ihrer kurz-, mittel- und langfristigen Ausrichtung jedoch scheinen da eher wenig auf dem Schirm zu sein. 

 

In "The Rate of Return on Everything, 1870-2015 - Die Rentabilität von Allem, 1870-2015" fasst der in Bonn lehrende Moritz Schularick seine umfangreiche, mit Òscar Jordà and Alan Taylor von der University of California verfasste Studie zu "Korrelationen zwischen lockerer Geldpolitik, Kreditvergabe, steigenden Immobilienpreisen und Finanzkrisen" in diesen 145 Jahren zusammen. Eine sehr tief und präzise fundiert in die Breite gehende Studie. Zweifelsohne. Insbesondere was die Besonderheiten des Immobiliensektors und des Kapitaleinsatzes dort und die jeweiligen kurz-, mittel- und langfristigen Erträge betrifft. 

 

Warum jedoch ist in dieser nach der Pandemie benannten Krise im Gegensatz zu früheren Krisen die Immobilienwirtschaft so retardiert einerseits in ihrer Reaktion auf das allgemeine Marktgeschehen? Oder, anders herum gefragt: Sind auch hier föderale und nationale Besonderheiten ganz entscheidend für diesen verzögerten Verlauf, der sich zum Teil ja in der derzeitigen Situation geradezu als Immunität des Immobiliensektors gegen die Pandemie-Krise darstellt?

In seiner Rentabiltätsstudie beschreibt Moritz Schularick ja auch den derzeitigen Immobilien-Boom in Deutschland, das Schwächeln Kanadas nach längerer Überbewertung und "erhöhtem Blasenrisiko" und die eher "mäßig rentabel" dahin dümpelnden Immobilienmärkte Großbritanniens und der US. 

 

Wie verhält es sich aber mit dem Verhältnis von Rentabilitäts-Bewertung von Immobilien von Anlegerseite einerseits und der allgemeinen Kaufkraft insbesondere von Mietern, also Abhängigen von der Immobilien-Rentabilität andererseits auf den jeweiligen lokalen oder nationalen Immobilienmärkten? Zumal, wenn fast die Hälfte der Bevölkerung zur Miete wohnt, wie etwa in Deutschland? Zumal, wenn Netto-Einkommen stagnieren, wie dies ja auch in Deutschland mit seinem ausgedehnten Niedriglohnsektor der Fall ist? Welche Folgen hat das Platzen von Immobilienblasen, die ja lokale und nationale Phänomene sind für die beiden Seiten der Medaille? Wer wird da aufgefangen, wer fällt da eher vom schmalen Rand zwischen Kopf und Zahl herunter? Welche Sicherheit also genießt wer bei welchem Einsatz in diesem Spiel?

 

In "Gute Ökonomie für harte Zeiten" betrachten Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee auch die Studien von Mme Duflos Vorgängerin als erste Ökonomie-Nobelpreisträgerin 2009, Elinor Ostrom zu Allmenden und Gemeingütern und entsprechend traditionell verwurzelten "Formen der Gemeinwirtschaft". Nach  kritischer Bewertung auch von "Kollektivem Handeln" in sehr traditionell verwurzelten Gemeinschaften in engen identitären Bezugsrahmen geht es über "Statistische Diskriminierung" zu "Selbstverstärkender Diskriminierung". Die Dekonstruktion allgemein gültiger meist einseitiger "Wissenschaftlicher Betrachtungsweisen" in bi-, eher multipolaren Bezugssystemen gipfelt in dem klugen Satz:

"Um an den Standardpräferenzen festhalten zu können, haben wir Wirtschaftswissenschaftler uns sehr bemüht, all das zu ignorieren, aber es wird jeden Tag klarer, dass dies ein hoffnungsloses Unterfangen ist."
(© 
2019 Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo, © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 Penguin-Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S. 185).

 

Eine eingehendere Betrachtung des Kontextes ist also erforderlich. Auch hier und jetzt. Auch, um etwa der Frage nachzugehen, warum die Immobilienwirtschaft zumindest in Deutschland derzeit so krisenfest da steht. Obwohl andere Forscher, wie etwa der US-amerikanisch-britische Humangeograph und Sozialwissenschaftler David Harvey durchaus fundiert glaubhaft nachgewiesen haben, dass Wirtschafts- und Finanzkrisen immer das Platzen von Immobilienblasen vorhergeht. Zumindest im 20. Jahrhundert.
Wie Harvey in 
"Rebellische Städte - Vom Recht auf Stadt zur Urbanen Revolution" weit greifend darlegt: 
von New York im Vorfeld des "Schwarzen Freitag 1929" unter anderem über die so genannte Ölkrise 1973 bis hin zur so genannten Subprime-Krise in den US 2008, die ja auch als globale Finanzkrise mit dem Platzen von Immobilienblasen unter anderem in Spanien und Irland einherging. 
(edition suhrkamp 2657, © Suhrkamp Verlag Berlin, 2013; © David Harvey, 2012).

 

Um also dieser Frage nachzugehen, müssen wir erst einmal die spezifische Lage des deutschen Immobilienmarktes einerseits genauer betrachten. Und des deutschen Rechtsraumes per se, in den dieser Markt ja eingebettet ist. Also den Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020. 

Zunächst zum Immobilienmarkt und der Baubranche in Deutschland. Dazu einmal mehr eine Beobachtung aus dem behavioristischen Bereich, also der Verhaltensforschung vorangestellt: 

"Unsere größten Stärken und unsere größten Schwächen liegen zumeist weniger als eine Handbreit auseinander." Dies gilt umso mehr, als die "größte Stärke" eines einzelnen Menschen und seines Charakters oder einer Gemeinschaft und ihrer "Identität" im "Krisen- oder Ernstfall" ein Kippmoment beinhaltet, das diese herausragend ausgeprägte Fertigkeit ins Gegenteil umschlagen lässt. Und umgedreht: die "größte Schwäche" vermag in jener Situation zur herausragenden Qualität zu werden. 

 

 

"Sanierungsstau", "Mangel an 'bezahlbarem Wohnraum'", also Mietwohnungen, deren Miete weniger als 1/3 des lokalen Netto-Durchschnitts-Einkommens beträgt und viele andere "Schlagwörter" prägen die Debatten zur Bau- und Immobilienwirtschaft in den letzten Jahren. Der "föderale Rechtsdschungel" Deutschland zeigt insbesondere im Bauwesen, dass es oftmals eines sehr langen Atems bedarf, um Steine aufeinander setzen zu können. Steine also, die auch eine Hülle für menschlisches Sein und andere Formen der Begegnung bilden sollen. Auch Balken und Träger und andere materialisierte Ideen und Konzepte, die einen Ort neu ausformulieren sollen. Zum Wohle der Nachbarschaft! 
Die möchte aber jeder selber bestimmen.
Ein föderales Baurecht, also 17 verschiedene Landes-Bauordnungen, viele verschiedene spezielle Regelwerke, von Arbeitsstätten-Richtlinien bis hin zur Energie-Einspar-Verordnung, den neuen Regeln zur Barrierefreiheit, Wohnungsbau-Förder-Richtlinien und vielem Mehr: böse Zungen behaupten, seit man "die Regeln zum Bauen" vereinfachen wolle, seien aus 5 Tausend rund 20 Tausend Gesetze, Regeln, Normen und Richtlinien rund um das Bauen geworden.
Und: wer entscheidet darüber, was in der jeweiligen Stadt, der Gemeinde, dem Landkreis gebaut wird? Die Bauaufsichtsbehörden, Planungsämter, Gestaltungsbeiräte, Bezirksvertretungen, Stadtteilversammlungen, die OberbürgermeisterInnen, die (Stadt-)PlanungsamtchefInnen, die ChefInnen der "unteren Bauaufsichtsbehörden", Denkmal- und Umwelt- und Verkehrsamt, je nach Involviertheit. Etc. Und das dann auch immer wieder auf Stadt-,Kreis-, Landes- und bisweilen auch auf Bundesebene.
Je nachdem, was oder wer da gerade berührt wird. 

Ein "großartiges System des Protektionismus" ist so entstanden. Da benötigt man wirklich genaue Routenplaner. Böse Zungen nennen das "Lobbyisten". Kafkas Türhüterlegende und Josef K's Prozess vermischt mit Orwells 1984 und Huxleys Schöne Neue Welt in einem Hinterhof der Matrix, reinterpretiert von Denis Villeneuve in Blade-Runner-Hausen 2020'49.

 

Eine weitere Prämisse selbst betrifft die Gesetzestreue der Deutschen:
Gesetzestexte müssen für die Ewigkeit in Stein gemeißelt sein und entsprechend 
genau befolgt werden. Bei so vielen Gesetzen, Richtlinien und Regeln in Planung und Ausführung kein leichtes Spiel. Alleine die Schwellenhöhe bei Fenstertüren auf Terrassen, Balkone und Loggia-Austritte wird von Dachdecker-, Flachdach-Richtlinien und im Zuge der Regeln zur Barrierefreiheit völlig unterschiedlich interpretiert.
Nur so als Beispiel.

Im Bauablauf selbst gibt es da auch viele Anreize und Kreditsysteme, die entsprechend ihrer Prioritäten Schwierigkeiten bereiten und so lange Bauverzögerungen bewirken: Jahrelang wurden für Schulen und andere öffentliche Bauten KFW-Kredite zur "energetischen Sanierung" in großem Umfang bewilligt. 

Bei entsprechender Begutachtung erhielten zwangsläufig neben der per Kreditrahmen bevorzugten Fassade der dahinter liegende Brandschutz und ganz besonders die Schadstoffsanierung viel größere Priorität. Dafür waren aber die Kredite nicht bewilligt. Und die Kosten gehen derweil in die Höhe. Die Umbau- und Sanierungszeit zieht sich in die Länge. 

Die Umnutzung alter Industrieflächen offenbart im Zuge komplexer Umweltgesetze und in Ermangelung von wirklichen Recycling-Kapazitäten da erst Recht eine schwierige Grauzone: Kontaminierte Böden und deren Entsorgung sind zunächst einmal eine riesige Investition, für die keiner wirklich verantwortlich zeichnen will. Auch der industrielle Nutzer über oftmals viele Jahrzehnte. Also geschieht dort erst einmal lange Zeit nichts an solchen Orten. 

 

Was die Investoren betrifft: Auch da hat sich in den letzten Jahren aufgrund dieser schwierigen Ein- und Zutrittsmöglichkeiten ein verstärkter Protektionismus durch einheimische Akteure etabliert. Pensionskassen, Versicherungs- und Rückversicherungsfonds haben sich wachsende Marktanteile gesichert. 

Bei öffentlichem und Gewerbebau schlägt besonders die Tatsache zu Buche, dass mindestens die Hälfte der Investitionen zur Kommunalfinanzierung in Deutschland durch öffentliche Banken getätigt werden. Auch Leerstände und Verzögerungen im Sanierungsstau bilden da große Margen "in den Büchern". Lokale Präferenz- und Abschreibungsmodelle im "Bauboom", wie etwa die derzeitige zügige Erstellung großer Hotelkomplexe hier in Düsseldorf, die in diesem Ausmaß nur geringe Auslastungskapazitäten haben werden tun das ihrige dazu, dass bei vollen Auftragsbüchern der Baubranche die deutsche Immobilienbranche sich eher wie ein träge auf staubigem Grund schwabbelnder Wassertropfen verhält:

Da ein öliger Film die Oberfläche benetzt, nimmt der Tropfen sehr viel von dem lehmig sandigen Grund dort auf. Die deutsche Bau- und Immobilienbranche ist derzeit aufgrund ihrer Überhangkapazitäten mit drei- bis vierfach doppeltem Boden gegen das Platzen möglicher Blasen abgesichert. Auch andere lokale, oder besser: föderale Besonderheiten fördern da den Protektionismus, der ortsfremde Akteure abschreckt: "Mieten und Kaufpreise steigen fast überall in Deutschland wieder, unbeeindruckt von der weltweiten Krise. Mit einer großen Ausnahme: Berlin." Auswirkungen des "Berliner Mietendeckels". 

 

Vielleicht ist es auch das, was den Mieter im Weißen Hauses so erzürnte in Zusammenhang mit Berlin und seinen eigenen "Make America Great Again"-Träumen: Deutschland erscheint da vordergründig als Festung in der Brandung gegenüber internationalen Finanzströmen und deren Rentabilitätserwartungen. Wie jede Trutzburg jedoch ist diese gegen die kluge List von strategisch gewieften Belagerern nicht gefeit. Zumal, wenn diese Intra und Extra Muros lauern. 

 

Letztlich ist der US-Protektionismus derzeit nur vordergründig ein wirklicher Protektionismus. Hinter den stetigen Zoll- und Handelsattacken, die da der Chef der Corporate States und Herr über den Wahrheitsgehalt polarisierender Nachrichten immer wieder global ausstreut steht auch das verzweifelte Bemühen, das gigantische Außenhandelsdefizit der US und den damit weitergehenden Niedergang der Binnenwirtschaft zu verlagern. Wir befinden uns also nicht, wie manche oberflächlichen Betrachtungen glauben machen wollen "am Ende der Globalisierung", sondern in einer "heißen Phase von Abbruch und Umbau der Globalisierung". 

 

Und damit kommen wir nun auch zu jenem Akteur, der in den 2000er Jahren bereits massiv das Außenhandelsdefizit der US durch den massenhaften Aufkauf von US-Staatsanleihen gestützt und den Konsum in den US befeuert hat und zu der Frage, ob David Harvey nicht in gewissem Sinne doch Recht hat und auch der nach der Pandemie benannten Krise letztlich eine geplatzte Immobilienblase zugrunde liegt. Nicht aber die "Subprime" in den US 2007 / 08. Die war eher eine Art "Vorspiel". 

Die "stahlhart krisenfeste deutsche Immobilienwirtschaft" in dieser Situation erleichtert auch das Verständnis für Chinas Protektionismus einerseits und Expansionismus andererseits im Rahmen der Seidenstraßen-Offensive der letzten Jahre. 

 

Eine weitere "Qualität menschlicher Dummheit" zu den oben genannten ist sicher die "infantile Naivität" desjenigen, der in Zeiten des "Verschwindens" von 1,9 Milliarden Euro in einem Bermuda-Dreieck zwischen Österreich und Südostasien im Zuge des Platzens der "Wirecard-Blase" an die "Selbstlosigkeit chinesischer Entwicklungsarbeit" im Rahmen des Ausbaus des eurasischen Seidenstraßen Netzwerkes bis hin auf den afrikanischen Kontinent glaubt. 

Auch der von Niall Ferguson und Moritz Schularick 2006 geprägte Neologismus "Chimerica" bringt diese seltsame Symbiose zwischen den US und China wunderbar auf den Punkt. 

Im Umbruch dazwischen muss Europa ganz anders Stellung beziehen. Dazu nächste Woche mehr. 
Das Schlusswort in dieser Woche soll dieses Mal dem in Bonn lehrenden Makro-Ökonomen gehören:
"Die Globalisierung politökonomisch nachhaltig zu machen, ist die zentrale Herausforderung für die Weltwirtschaft und die wichtigste Einsicht aus dem Handelskrieg im Hause Chimerika."

 

 

 

 

 

21.06.2020

"Fragmentierte Halbwahrheiten": der Krieg gegen den Terror und der Krieg gegen das Virus

 

Im Laufe der Jahre habe ich sehr viel über Themen rund um die "Transformation unserer Welt in eine Welt auch für unsere Nachgeborenen" nachgedacht und aufgeschrieben. Insbesondere nach meiner Rückkehr aus Afghanistan vor zehn Jahren. Keine dummen Sachen. Denk ich und sage ich jetzt einmal so. Ich will auch nicht jammern. Oder klagen. Ich bin kein Opfer. Ich bin genauso Täter. Auch habe ich früh gelernt, "mich irgendwie zurück zu nehmen". Weil es für alles, was man bewegt mehr als einen Kopf und zwei Hände braucht. Die Füße und das Herz nicht zu vergessen. Auch das sind ja eigentlich zwei Stück. Nicht nur physiologisch betrachtet. Und selbst für den Aufbau eines kleinen Zeltes ist es oftmals besser, helfende Hände zu haben. Bei einem Haus wird's immer noch etwas komplizierter. Zumal unter heutigen Bedingungen. Rechtlich, ökonomisch, standorttechnisch. 
Nicht nur in Deutschland. Aber auch. 


Wie dem auch sei: es ist schon etwas verwunderlich, dass ich nur einmal zu einem Vorstellungsgespräch, niemals zu einem Vortrag eingeladen worden bin. Meine Bücher haben auch keine Verlage gefunden. Vielleicht bin ich also doch zu dumm? Oder zu überheblich, wie jemand vor Kurzem mir noch deutlich sagte. Nur weil ich auf seine Hoffnung, dass ja alles mit heutigen sozialdemokratischen Rezepten irgendwie gut zu machen sei sagte, dass ich schon manche Pferde habe kotzen sehen?
Auch nach Einlösen des Rezeptes auf dem Weg von der Apotheke?

Vielleicht. Aber den Vorwurf der Überheblichkeit hat derjenige nicht spezifiziert. Die Aussage jedoch steht im Raum. Worte sind ja wie Speerspitzen: einmal ausgesprochen kann man sie nicht mehr zurücknehmen. Sagt zumindest Gautama Buddha. 

Aber so ist es wohl: Scheinbar wissen alle über alles Bescheid. Austausch, der über "Meinungsaustausch" hinausgeht scheint nicht gewünscht. Die Erzählweise bleibt wie sie ist. Zunehmend polarisiert in jedem Falle. Die meisten scheinen sich aller Dinge sehr sicher zu sein. Schön. 

 

"Meinungsfreiheit", wie sie mir vor wenigen Tagen einmal mehr als Monstranz hochgehalten wurde:
wenn auswertende Erfahrungen aus manchen Bereichen nichts oder nur sehr wenig gelten und stetig ausgeklammert werden, dann habe ich irgendwie keine Meinung dazu. Weil die Erfahrung mit der Zeit ganz anders umgeht als die Meinung mit dem Zeitpunkt ihrer bedingungslosen Festsetzung? Vielleicht. 

Wie steht es mit der Lern- und Entwicklungsfähigkeit von Mensch und Gesellschaft, wenn Erfahrungen wenig bis gar nichts wert sind und Meinungshoheiten über allem stehen?

 

Bin ich, wenn ich das frage ein "Verschwörungstheoretiker"?

Nein. Ganz sicher nicht. 

 

So wie Michael Smith aus Jacksonville wahrscheinlich von schwarzen Freunden in seiner neuen Schule und der dazu gehörigen Nachbarschaft in Atlanta / Georgia herzlicher als "White Mike" aufgenommen und behandelt wurde als vorher in seiner Schule in Orlando / Florida, bin ich von Freunden mit brauner oder gelber Haut oft viel herzlicher aufgenommen worden als von Weißen. Natürlich gab's auch immer einige, die mich nicht da haben wollten. Die dies auch mehr als deutlich gezeigt haben. Das konnte manchmal durchaus "unangenehm" sein. War aber immer irgendwie abwendbar. Der Gewehrlauf, oder was auch immer da auf mich zielte. Der Rest ist normales Risiko. Und die Bedrohung gleich welcher Art war die Ausnahme, nicht die Regel. Und natürlich habe ich auch weiße Freunde, die ich über alles schätze. Vielleicht sogar liebe. Letztlich ist es völlig egal, wo der Mensch herkommt, wie sie oder er aussieht, welche Farbe seine oder ihre Haut hat. Wichtiger sind ganz andere Dinge.  

 

Dieser ganze "Krieg gegen den Terror", der da vor bald 20 Jahren ausgerufen wurde, nun der "Krieg gegen das Virus": es wird immer schwerer, aus diesem Dilemma von "Täter- und Opferschaften" herauszukommen. Eines ist jedoch sicher in dieser Hölle, die da kreiert wird: Opfer sind die Mehrheiten der Menschen überall. Ganz gleich, ob sie, ob wir schwarz, braun, gelb oder weiß oder grün rot kariert oder sonst was sind. 

 

Das ganze Dilemma etwa des "latenten weißen Rassismus" verdeutlicht David Ikard am Beispiel der Erzählung von Rosa Parks, die sein 9-jähriger Sohn erhielt: demnach war die Frau, die am 1. Dezember 1955 im Bus in Montgomery, Alabama nicht aufstehen und einem Weißen den Platz überlassen wollte damals nicht, wie die weiße Lehrerin der dritten Klasse den Schülern erklärte die müde alte Frau, die nach einem langen und schweren Arbeitstag nach Hause wollte, sondern eine 40-jährige hellwache Aktivistin, die sich mit allen Mitteln gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit wehrte. Deren Vater zudem immer seine Familie auch mit dem vorgehaltenen Gewehr, also ganz im Sinne der US-Verfassung, die ja bekanntlich auf dem Lauf eines Gewehres begründet ist beschützte. David Ikard, der Professor für afro-amerikanische und Diaspora-Studien an der Vanderbilt-University in Nashville ist, zeigt in dieser höchst lebendigen Erzählung, wie und von wem aber Geschichte geschrieben und so auch die Deutungshoheit ganz subtil und selbstverständlich behauptet wird. 

Rosa Parks erzählt dies mehr als 40 Jahre später, als sie dann endlich auch geehrt wurde für ihren Widerstand für viele, die ähnlich schon vorher oder nachher so gehandelt haben in ihrem wunderbaren Sweet home Alabama Akzent. 

James A. White Sr. indes zeigt in Columbus, der Hauptstadt von Ohio auf, warum auf seine persönlich erlebten 50 und mehr Jahre Rassismus Schweigen eben keine Antwort sein kann. Er zeigt aber auch, warum der Ratschlag vieler weißer Freunde, die der 9-fache Großvater heute erhält, sich gegen die alltägliche Diskriminierung mehr zur Wehr zu setzen zumal nach den jüngsten Polizeimorden an Afro-Amerikanern in den US so fatal sein kann.  

 

Es ist die Erzählung von Geschichte und die Deutungshoheit darüber, die zutiefst alle Ungerechtigkeiten im kollektiven Gedächtnis versenkt. Und dabei handelt es sich überwiegend um weiße Geschichte im jeweiligen nationalen Rahmen. Wenn der oder die Unterdrückte oder unfair und ungerecht Behandelte aufsteht und sich zur Wehr setzt, dann wird die Erzählweise allzu häufig gestört. Und bald wird der- oder diejenige "eingenordet". Wenn sein oder ihr Vergehen jedoch härter war, dann hält die Irritation an. Und er oder sie bekommt das zu spüren. Wenn er oder sie dann in seiner Verzweiflung gewalttätig wird, dann gehen die Dinge bald ihren unweigerlichen Weg.


Das "Einsüden" gibt es nicht. Im Norden liegt das Heil, die Wahrheit, was auch immer. Schon die Etymologie landläufiger Begrifflichkeiten zeigt, wo es lang geht. "Gender-Neusprech" hat das jedoch nicht auf dem Schirm. Weil es dabei nicht um die neu aufzumachende Polarisierung zwischen Mann und Frau geht, sondern um viel tiefer verwurzelte Ungerechtigkeit?

 

Wie steht es aber mit der ersten Weltkarte, der Tabula Rogeriana, die am Hofe des normannischen Königs Roger II. von Sizilien 1154 verfasst wurde? Die Karte gründet auf Al Idrisis Hauptwerk "Reise des Sehnsüchtigen um die Horizonte zu durchqueren", das er 18 Jahre dort am Hofe Rogers in Palermo ausgearbeitet hat. "Sie wurde auf eine große Silberplatte graviert. Aufständische Soldaten haben die Platte erbeutet, zerschlagen und stückweise verkauft, so dass das Original nicht mehr erhalten ist." 

Dort ist der Süden oben. Al Idrisi hatte den Horizont seiner Sehnsucht durchquert. 

 

Die aus den überlieferten Einzelblättern zusammengefügte, lateinisch transkribierte Gesamtkarte des deutschen Theologen, Naturwissenschaftlers und Kartographiehistorikers Konrad Miller von 1929 ist zumindest eine wichtige Rekonstruktion dieser Sehnsucht für uns Nachgeborenen aus einer anderen Zwischenkriegszeit. Über den Zustand von London, Paris, Rom und Berlin zur Zeit der Entstehung dieser Karte, mithin dieser Sehnsuchtsgeburt kann und will ich mich hier nicht auslassen.
Nichts ist als "Naturgesetz" bedingungslos gesetzt.

 

Als ich 1986 Ende September zum ersten Mal ein Flugzeug bestieg und nach Algier flog, da wusste ich nicht, was mich dort erwartete. Die Einladung eines Freundes, der im Jahr zuvor in Avignon an meinem Zelt kratzte und fragte, ob er Schutz vor dem nächtlichen Regen bei mir finden könnte. Im Gegenlicht des Mondes sah er in Ordnung aus. Nun der Flug über das Mittelmeer. Oben hier das traditionelle Hofhaus in Sidi Bel Abbes im Nordwesten Algeriens - der kleine Sohn des ältesten der 9 Söhne, der mit Frau und Kind im 2-geschossigen Haupthaus der Eltern wohnt. Daneben die drei Töchter mit den beiden Kindern der Ältesten. Einer Französisch- und Geografielehrerin, die als geschiedene Frau, also "Alleinerziehende" zu den Eltern zurückkehrte, um so weiter ihren Beruf ausüben zu können. Daneben vier der Brüder beim Mittagessen im Hof vor dem "Haus der Brüder".
Ich habe mich sehr wohl gefühlt dort. Den Grundriss des Hofhauses habe ich 30 Jahre später aufgezeichnet. Solche Orte und solche Momente vergisst man nicht. Auch den Tag, als die Mutter der Familie mir in ihrer Küche ihre Art der Zubereitung des Couscous zeigte.  

Darunter ein modernes kompaktes Hofhaus in einer Beamtensiedlung in Marrakesch in Marokko. Dort waren wir 1999 zu Gast. Hier ist der Hof überdacht. Unten sind die eher (halb-) öffentlichen Diensträume: Küche, Abstell-/ Speisekammer, Bad, den "Hof", das Wohn- und Esszimmer flankierend angeordnet. Oben im "Galeriegeschoss" die privaten Räume: Schlaf- und Kinderzimmer der Eltern, der drei Söhne und der drei Töchter, die natürlich bei Besuch immer zusammenrücken und ein Gästezimmer bereitstellen.

 

2001 dann der Beginn des "Krieges gegen den Terror". Nach einem Anschlag und einem Werk der Zerstörung, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Wie wir es wohl auch nie wieder so sehen und erleben werden. Die Kriege bald darauf. Der lange Zeit in original amerikanischer Übersetzung "Mittlerer Osten" von den meisten Medien hierzulande genannte Nahe Osten: ein Flammenmeer seitdem.
Immer wieder. Vielerorts.

"Naturzustand"? Nein. Herbst und Winter des "Arabischen Frühlings"? Auch das nicht.

 

Jährliche Gedenktage. Etwa der "Welt-Flüchtlingstag". Weiße Erzählungen. Eingenordet. 

"Fluchtursachen bekämpfen" heißt, soziale und ethnische Segregation bekämpfen. Das heißt, gleiche Chancen und Möglichkeiten für alle zu schaffen. Den Krieg nicht als "Naturzustand" zu betrachten.

Zugang zu sauberem Wasser. Wasserkreisläufe. Aufbau funktionaler Infrastrukturen zum Schutz vor Mangel.
Insbesondere vor dem Hintergrund des beschleunigten Klimawandels. 
"Die da unten. Die können doch keinen Frieden." Wie oft ist jegliches Gespräch darüber, was dort geschieht, im Keim erstickt worden mit solchen subtilen Abwiegelungen. 

Man weiß Bescheid. Man ist gut informiert. So ist das eben. 

 

Das Virus nun: einen Tag heißt es, das Virus mutiere nun! Jedes nicht ganz dumme lebende Objekt passt sich dem Wirt, den es vorfindet und anderen Gegebenheiten an. Zumal isländische Forscher das schon vor Längerem nun bei diesem Virus nachgewiesen haben. Auch einer der Gründe, warum es keine Impfung gegen Malaria, einen etwas länger bekannten Killer gibt.

Dann wird die Gefahr besonders schwerer Krankheitsverläufe bei bestimmten Blutgruppen erforscht und verkündet. Hier von Lars Fischer in einem wissenschaftlich fundierten Bericht dargestellt. In der verkürzten Nachrichtenversion jedoch weckt das die Angst von Halb-Wissenden, aber bestens informierten Bildungsbürgern. Sicher nicht ganz ungewollt. 

Bisher war der Tod exmatrikuliert aus den Geschäftsberichten. Nun wird der kleine, stille und private bescheidene Tod ganz anders ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt.
"Hochrisikogruppen". "Gefährdungsprofile". Und mehr.
Kalte Nachrichten. Überhitzte Öffentlichkeiten. 
Mediale Angsterzeugung? Vielleicht. 
Jede(n) kann es erwischen. Nicht sichtbare, nicht spürbare Gefahren. 

Die Geschäfte laufen weiter.

Die Abwicklung vieler anderer Geschäfte. Und der Schicksale von Menschen.

Naturzustand. Ist halt so. Da muss man schon sehr deutlich segregieren. 

Hennen und Eier. Wirtschaftskrisen, blubbernde Blasen allerorten, die irgendwann platzen mussten und völlig neue, nie dagewesene öffentliche Reaktionen auf Pandemiegeschehen. 

 

Und dann Afghanistan. Welch ein Land. 

Für die meisten hier: "Abenteuerurlaub", wenn eine(r) so bescheuert ist, dort hinzugehen. 

Nach dem Rumgeschubse von "Dorfschützenkönigen, die Globalisierung steuern" hierzulande eine Wohltat. Meine Arbeit als "Aufbauhelfer" 2009/10 in Afghanistan war die größte berufliche und mit auch die größte menschliche Herausforderung meines Lebens. Dieses verwundete Land und seine warmherzigen Menschen haben etwas besseres verdient als das, was ihnen spätestens seit 1979 geschieht. 

 

Vor wenigen Tagen traf ich hier, in "meinem Viertel" 
"
Zwischen Abkehr und Minztee - Klein-Marokko am Rhein"

Martin Gerner und Arian Hassib. Martin, "Journalist, Künstler und Konflikt-Analytiker" kannte ich noch aus Afghanistan. Vor einiger Zeit haben wir uns schon in Köln wieder getroffen. Arian, Ingenieur aus Bochum kannte ich bisher noch nicht. Letztlich teilen wir aber alle diese Sehnsucht. Irgendwie. 

Zumal als Menschen mit Familie. Als Väter. Und Arians Sohn ist noch ganz klein. 

Arians Familie in Kabul ist anders von der Pandemie betroffen als unsereine(r) hier.

Seine 65-jährige Mutter ist schwer erkrankt. Krieg, Not und Hoffnungslosigkeit schwächen das Immunsystem. Er muss sehr viel Geld derzeit dort hinschicken, um ihr Überleben zu sichern.
„Ich habe die starke Vermutung, dass nach dem Fastenmonat ihre Körper sehr schwach geworden sind. Dann kamen die Festtage und durch Kontakt muss das Virus irgendwie mit reingebracht worden sein in die engen Räume, wo es schwer ist, Abstand zu halten“, so Arian Hassib.

 

"Selbst dran Schuld", "Wir können doch nicht die ganze Welt retten".
Oft werden solche Sachen so direkt nicht ausgesprochen. Aber das sind die landläufig "eingenordeten Gedanken". Mehr als 18 Jahre nach der Invasion des Westens in Afghanistan.

In Ländern, in denen man in (a)sozialen Medien an Welt-Flüchtlingstage erinnert. In denen der Krieg des Nordens gegen den Süden, von reich gegen arm als Naturgesetz medial nicht weiter hinterfragt wird.
Wo aber alle "eingenordet" irgendwie Bescheid wissen. 

 

Martin Gerner zitiert im Deutschlandfunk-Artikel Massoud Sahel, einen seit rund 50 Jahren in Deutschland lebenden Intellektuellen afghanischer Herkunft:
"Wie soll ein afghanischer Arbeiter, der sehr wenig verdient, sich zuhause halten? Er muss arbeiten!
Und in einer Stadt wie Kabul, wo drei Millionen Leute leben, ist die Einhaltung von social distancing sehr schwierig. Da muss man sogar Militär einsetzen.“

Zufällige Ähnlichkeiten zu Wanderarbeitern vom Balkan in westfälischen Fleischfabriken sind rein zufällig und nicht wirklich gewollt. 

 

Massoud spricht von 3 Millionen Menschen in Kabul. Die Zahlen variieren schon seit 2010
zwischen 2,5 bis 6 Millionen. Wikipedia spricht einer
Schätzung von 2017 / 18 zu Folge von 3,9 Millionen. 

Rund 70 % "informelle Siedlungen". Das ist der einzige mehr oder weniger gleich bleibende Wert. 

Titelbild zu den “A-Seiten” der Foto-Dokumentation der "unsichtbaren Städte 201_”: 
Die Altstadt Kabuls im Frühjahr 2009: Blick von den Überresten der Festung Bala Hissar, die wie so viele Orte am Hindukusch Alexander, dem Großen zugeschrieben wird und der Stadtmauer. Das 1949 dem großflächigen Siedlungsgeviert am Ufer des hier noch recht viel Wasser vom Winter führenden Kabulflusses eingeschriebene Achsenkreuz der Jade Maiwand und der Jade Nader Pashtoon zeichnet sich als Bilddiagonale ab. 
Die zweibändige Foto-Dokumentation, die ein 1972 von dem italienischen Schriftsteller Italo Calvino entworfenes literarisches Konzept in Foto und Bildbeschreibung weiter führt, habe ich 2013-2014 zusammengestellt. Damals wollte ich keinen Flieger mehr ohne Auftrag und Bezahlung von hier betreten.

 

Titelblatt meiner "Dissertation ohne Doktorvater", die aufgrund der fachübergreifenden Ausrichtung  nirgends ins Programm passte. Verlage gab es dafür auch nicht. Nach meiner Rückkehr aus Afghanistan am 1. Juli 2010 brauchte ich jedoch das Schreiben und Auswerten dieser Themen und Arbeiten, um wieder Hoffnung zu schöpfen. Für meine Kinder. Und viele andere Menschen in anderen Lebensräumen auf dieser Welt. Menschen, die mir vielerorts ans Herz gewachsen waren. Gerade einmal mehr in Afghanistan. Diesem großartigen Land mit seiner stolzen Kultur. Aber auch dann 2011/ 12 in China.
Ein weiteres ganz wichtiges der 4 Großkapitel mit jeweils 7 Unterkapiteln hier.
2015 habe ich diese Arbeit fertig gestellt. 

Es geht dabei maßgeblich um "Ausgleich". Um das Bearbeiten dessen, was sich in der "Corona-Krise" jetzt eigentlich manifestiert. Global und lokal. Mit Fallstudien an verschiedenen Orten. 

Die immer gleichen Stereotypien jedoch in Talk-Shows und anderen Formaten. In Parlamenten:
wenn immer weitere Regionen der Welt unbewohnbar sind und Flüchtlinge auf der Suche nach Lebensräumen herumirren und Bürgerkriege zunehmen, auch in Europa: dann wird es zu spät sein. 

 

Keiner sage mir, man habe es nicht ahnen können. 

Stattdessen muss ich mir aber von Juso-Stadtchefs anhören, ich sei überheblich. Und von anderen, die die "deutsche Angst" zutiefst verinnerlicht haben muss ich mir sagen lassen, dass es mir doch nur um "meinen eigenen Vorteil" ginge. Und vieles mehr. 

 

In Englisch und Italienisch, meinen anderen zweiten Sprachen kann ich nicht ganz so gut schreiben. 

Insofern bleibt "Fragmentierte Stadtentwicklung 201_" nicht übersetzt. Die Zeit und vor allem: die Bezahlung dafür habe ich nicht. Ich habe niemals "akademischen oder sonstigen Schutzraum" genossen. Angefragt habe ich sehr wohl. Auch sehr freundlich. Scheinbar nicht freundlich genug?
 

Das Leben ist schön. Und die Welt ist ein wunderschöner Ort. 

Ich habe mich irgendwann vor langer Zeit entschieden, die Welt als meine Heimat zu begreifen. 

Wir sollten sehen, dass wir diesen unseren Lebensraum für unsere Kinder und deren Kinder aus- und umbauen. Dafür bedarf es weniger Geld als Hoffnung und Perspektiven.

Die hatten unsere Eltern in den 1950ern auch. 

Und was geschah davor?

 

 

 

 

 

 

15.06.2020

Wetter, Klima, Corona: Disposition, Exposition, Reform, Um- und Neubau

 

Die Versorgungskrise unserer selbst und unserer Lebensräume umfasst marode Infrastrukturen, die zudem wesentlich den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts entsprechend aus- und weitergebaut werden müssen.
Und vieles mehr. Viele Dinge, die die meisten Politiker nicht auf dem Schirm haben (wollen).
Erleben wir nun also eine gezielte Steuerung des Niedergangs und der Abwicklung, sprich "Ausweidung der öffentlichen Güter"? Weiter gehende "Privatisierung der öffentlichen Angelegenheiten"?
"Ignoranz im Business as Usual"? Das Ganze aber als "Versehen"? Im Rahmen der "Naturgesetzlichkeit des Rechts des Stärkeren auf freien Märkten" quasi "ganz von selbst geschehen"? "Völlig absichtslos" und "der menschlichen Unzulänglichkeit und Überforderung geschuldet"?
Oder bewirkt die "Corona-Krise", bei der wir auf eine fünf Meter hohe Flutwelle vor uns reagieren, dass wir da endlich andere, weitaus höhere Wellen, die sich dahinter auftürmen zur Kenntnis nehmen und entsprechend (re-) agieren? So wie Sven Plöger es klug auf die Frage "
Ist die aktuelle Dürre noch Wetter oder schon der Klimawandel, Herr Plöger?" darlegt. Wo die geforderte Einstimmigkeit nicht nur bei Klimakonferenzen letztlich zum Ausbremsen aller mutiger Ansätze zu Veränderungen und zu schwachem Konsensbemühen führt. Und wo Politiker sich so landaus landein stetig immer noch im Absolutismus demokratischer Legtimation zu sonnen meinen.

 

130 Milliarden Euro "Rettungspakete für krisengeplagte Unternehmen". Und natürlich etwas dabei für private Haushalte. Gehaltskürzungen als "Ausgleichsmaßnahmen für nicht betriebsbedingte Kündigungen und Kurzarbeit". Keine Debatten über Boni-Kürzungen und Steuererhöhungen für Großunternehmen. Die Erhöhung der gemeinsamen Schuldenhaftungssumme der EU von 500 auf 750 Milliarden innerhalb von rund eineinhalb Wochen: soll also alles so weitergehen wie bisher? Nur ein kleines bisschen anders?
Ein kleines bisschen mehr wird da dem "Verbraucher", die ja zum E-Autokauf und Konsum angeregt werden sollen geschenkt. 3 % Reduktion der Mehrwertsteuer. Ein halbes Jahr lang.
Die entscheidenden Themen werden weiter in eine ungewisse Zukunft verschleppt. Schuldenerzeugung und Geld pumpen in dystopische Wirtschaftskreisläufe. Aber keine wirklichen "realwirtschaftlichen Maßnahmen", um da eine Zukunft für uns und auch für unsere Kinder auf einem bewohnbaren Planeten zu begünstigen. Wertstoffzyklen, Recyclingwirtschaft und dazu die Prämissen von "fairem globalen Handel" bei gleichzeitigem Schutz kleinteiliger lokaler Versorger und Produzenten von allerlei Gütern und Dienstleistungen innerhalb eines solchen globalen Außen- und Binnenhandels sucht man in diesen Maßnahmen (noch)vergeblich.

 

Nur wenn man Menschen motivieren kann, dann kann man sie auch für eine gemeinsame Zukunft gewinnen. Die jetzt in primär einige große "systemrelevante" Unternehmen gegossenen Geldsummen werden so größtenteils eher verdampfen. Und versickern. 

 

Helfen "Reformen" da? Oder bedarf es völliger Um- und Neubauten?
In Minneapolis hat der Stadtrat nach dem Polizeimord an George Floyd dort und den massiven Protesten nun die Auflösung der Polizei und eine völlige Neu-Aufstellung der "öffentlichen Sicherheit" beschlossen.  Man gibt der Polizei da das Attribut "Nicht-Reformierbar". 
Ein mutiger Schritt. 

Der Tod nun eines weiteren Afro-Amerikaners, des angetrunken panisch auf seine Verhaftung reagierenden Rayshard Brooks in Atlanta durch eine Polizeikugel und der Rücktritt der Polizeichefin der Hauptstadt von Georgia, die angetreten war, die Reputation der Polizei und den Dialog zwischen Bevölkerung und Polizei zu fördern zeugen einmal mehr von der angespannten Situation in den US. Es geht dabei um Rassismus und viele dunkle Kapitel der eigenen Geschichte, die nie aufgearbeitet wurden, um tief durch alle Schichten und von Menschen aller Hautfarben empfundene Ungerechtigkeit und vieles mehr. Für Afro-Amerikaner, Junge wie alte. Aber auch für viele Weiße, so wie "White Mike" Michael Smith aus Jacksonville, der wie so viele einmal eine Welt erleben möchte, in der Mord an schwarzen und braunen Menschen nichts normales und alltägliches mehr ist. Der aber gerade in dieser Hinsicht auch weiße Stereotype, die maßgeblich in ihrem subtil "latenten Rassismus" zu solchen traurigen Tatsachen beitragen entlarvt. Womit natürlich auch der Fingerzeig zu uns hier angedeutet ist: meiner Erfahrung gemäß würde Michael Smith in Deutschland als "Selbstdarsteller , der nur eigene Ziele verfolgt" spätestens von den Eltern der "Friday for Future Kids" zerfleischt werden. Seine Erfahrung als "White Mike", der in schwarzen Neighborhoods in Atlanta einen wesentlichen Teil seiner Sozialisation erlebt hat würde bei der derzeitigen Stimmung in Deutschland nicht gehört und entsprechend auch nicht geschätzt werden. Eine der wenigen Personen hierzulande, mit der ich persönlich diese Frage gerne erläutern würde indes ist Mo Asumang. Mit den Worten "Nazis raus" schreien, reicht nicht: So raubt Afrodeutsche Rassisten die Worte" ist da ein Interview mit ihr im Focus überschrieben. Diesen "Integrationskampf" ohne Wenn und aber jedoch gehen die wenigsten Menschen in Deutschland derzeit wirklich an. Vielleicht, weil die Wurzeln des "latenten Rassismus" in Deutschland viel tiefer reichen?


Bill de Blasio als mit vielen Hoffnungen progressiver Kräfte 2013 ins Oberbürgermeisteramt von New York City gewählter "linker Demokrat" hat allein was die Reform des NYPD betrifft lange viel versprochen, aber nur wenig bis gar nichts davon gehalten.

Die Polizei als wichtiges Exekutivorgan hat eine eine ganz andere Rolle in den US als hier. In Afghanistan habe ich mehrere längere Gespräche mit deutschen EUPOL-Ausbildern geführt, die mit Schrecken feststellten, dass die US ihnen ihre Ausbildungsformen immer stärker reglementierten: hin zu kürzeren Ausbildungszeiten mit wesentlich drakonischeren Inhalten. "Menschenkenntnis" und genaues Studium von Täter- und Opferprofilen wurden so dem rein strafrechtlichen Vollzug geopfert. Dies jedoch beschreibt das Dilemma bei zunehmendem "Racial profiling", bei zunehmender "umgekehrter Beweislast" auch im Alltag hierzulande. Wo also der oder die Einzelne erst seine oder ihre Unschuld beweisen muss gegenüber staatlichen Organen. Oder gar paradoxerweise der oder die Polizeibewerber erst seine oder ihre nicht rassistische Gesinnung darlegen muss. Sehr viele Attribute stigmatisieren da den oder die Einzelnen. Zumal im Moment, der Situation selbst der Konfrontation, des Konfliktes. Einer asymmetrischen Situation, die sowohl für den Schützer der öffentlichen Ordnung PolizistIn als auch für die Person, die sich genötigt sieht, seine oder ihre Unschuld zu beweisen nervlich aufreibend ist. Bildung und Schulung für solche Einsatzfälle sind entsprechend das Maßgebliche. Für den Bürger wie für die Polizei. 

Insofern: Reform und Umbau sind da immer entsprechend abzuwägen. Ausbildung und die gesellschaftliche Anerkennung, also auch die Bezahlung von Kontaktbeamten und Schutzpolizisten ist da ein ganz wesentliches Thema. In den US so wie hierzulande. 

 

Abgesehen davon: "Im Zweifelsfalle für den Angeklagten" erscheint in Anbetracht von 120 Jahren NSU-Aktenverschluss, dem Sommermärchen-2006-Korruptions-Prozess, der dann medial primär zum Fanal für die Schweizer Justiz erklärt wird und somit die Ausklammerung von "Kavaliersdelikten" solcher Leute wie Blatter und Beckenbauer in den Hintergrund drängt, dem Duisburger Love-Parade-Prozess ohne Schuldige und anderen "Justizrätseln" oder "Justiz-Kunststücken" eher als Anspruch aus grauer Vorzeit. Denn dieser Anspruch von Justitia wird ja in demokratischen Zeiten auch mit der "Gleichbehandlung vor dem Gesetz" verknüpft. Je nach Kasten- und Klassenzugehörigkeit jedoch scheint da manches eher etwas "juristisch durchgescheuert" in diesen "postdemokratischen Zeiten", um da den Namen eines anderen Kavalieres mit Vornamen Andreas aus der Politikergarde vorne mal zu bemühen. Von der nach Brüssel beförderten Mckinsey-Familien-Verteidigungsministerin wollen wir jetzt gar nicht mehr anfangen. Wer sich keinen teuren Anwalt leisten kann jedoch ist ja selbst dran schuld an seinem Glück oder Unglück. Auch das verspüren viele Menschen immer wieder, wenn sie mit dem Gesetz in Berührung kommen. Ob verschuldet oder unverschuldet. Oder andersherum gefragt: Ist die Unschuldsvermutung käuflich?

 

Ein Foto aus der Altstadt von Delhi mit der großen Freitagsmoschee im Hintergrund an einem von Tiefdruck und Smog gezeichneten Tag im April 2010.

 

 

 

In "Gute Ökonomie für harte Zeiten" schildern Wirtschafts-Nobelpreisträger Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee eine Studie in einem Slum in Delhi, wo Abhijit zugezogene Bewohner fragte, was ihnen am Leben in der Stadt gefalle. "Danach gefragt, welche Probleme in ihrem Lebensumfeld vordringlich behoben werden sollten, nannten 69 % Entwässerung und Kanalisation und 54 % beklagten sich über mangelhafte Müllentsorgung" (© 2019 Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo, © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 Penguin-Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S. 58).

Neben der Luftverschmutzung ist es das, was Mike Davis schon 2006 als "Slum-Ökologie" bezeichnet, was den Menschen auf dem "Planet der Slums" zu allererst zu schaffen macht. Und unter solch "unwirtlichen Bedingungen" leben nicht wenige Menschen auf dieser Welt. Die gewaltigen Preissprünge bei den Unterkünften selbst, also zwischen einer Slumbehausung und einer "hübschen kleinen Wohnung, die völlig unerschwinglich ist", wie Duflo und Banerjee sagen (a.a.O, S.59), der Ausgleich zwischen Stadt und Region, insbesondere, was dabei auch den Ausbau der Infrastrukturen betrifft: im "globalen Süden" findet man viele Dinge, denen wir uns im Norden auf bisher noch höherem Niveau durchaus immer mehr annähern. Vor allem, was Ungewissheit und Prekarisierung der Lebensumstände betrifft. 

 

Solange Arbeit als gesellschaftliches Gut nicht neu bewertet und anerkannt wird, also von einer Schuldenerzeugungspolitik zu einer zukunftstauglichen würdevollen Bewertung von Arbeit im Sinne des Dienstes an der gesellschaftlichen Fortentwicklung und hierzulande damit auch des Grundgesetzes umgeschaltet wird, wird der wirkliche Zusammenbruch eines zerschossenen Hauses nur weiter notdürftig hinausgezögert. Das "zerschossene Haus" ist dabei ein "Wirtschafts- und Handelssystem", das uns dem kurzfristigen Profit einiger weniger Menschen verpflichtet, uns aber kaum Perspektiven für "gesunde Entwicklungen" für uns und unsere Familien, mithin "Gesellschaft als Ganzes" eröffnet. Das insofern vermehrt Abhängigkeiten und Unfreiheiten, nicht aber Freiheit und hoffnungsfrohe Perspektiven eröffnet. Aber ohne wirkliche Sicherungsmaßnahmen für die darin gefangenen Menschen einzuleiten. Ohne wirklich einen Umbauplan zu entwickeln.

Ein Haus, für dessen Planung und Ausführung viele kluge Köpfe und Hände erforderlich sind. Menschen, die man überhaupt einmal dazu motivieren können muss, wieder an eine Zukunft für ihre, für unsere Kinder zu glauben. Und daran zu arbeiten. Jede(r) nach seinen oder ihren Kräften. Nicht als "Humankapital", mit dem letztlich genauso umgegangen wird wie mit anderen Schuldensummen. Sondern als in ihrer Würde, ihrer Freiheit und ihrem Willen zu diesen sie bereichernden Themen der Gesellschaft geachtete Menschen. 

 

In "nationalen Konkurrenzkämpfen" wird man keine "globalen Krisen" lösen können. Die deutsche Exportwirtschaft kann durchaus auch wieder auf die Beine kommen. Dafür jedoch muss diese sich gesellschaftlichen Bedürfnissen hier wie dort öffnen. In Infrastrukturen und Wasserleitungen, in die Entwicklung und angemessene Bepreisung kollektiver und sauberer Formen der Mobilität und die entsprechenden Dienstleistungen darum investieren statt in Rüstung. Zum Beispiel.
Auch das Zauberwort "Digitalisierung", wie es da immer wieder angeführt wird, ist da nur ein Werkzeug. Kein "Allheilmittel". Werkzeuge muss man auch entsprechend ihrer Formung und ihrer Funktionsweise gemäß einsetzen. Ein Hammer hilft einem nicht, wenn der Reifen platt ist. Wohl aber vielleicht ein 16er Schlüssel. In Ermangelung anderer Werkzeuge kann dieser mit etwas Geschick auch dazu dienen, den Schlauch von der Felge zu entfernen. Dieses "handwerkliche Feingefühl" und die entsprechende Flexibilität jedoch scheint kaum nachgefragt. Insofern finden wir uns immer wieder fassungslos und oft auch voller Häme vor den Dingen.

 

Wasserverbrauch und Wasserverschmutzung ohne entsprechende Schutzvorkehrungen sieht man derzeit wieder in erschreckendem Ausmaß am Diesel-Unglück in Sibirien.  Auch hier hätten vorbeugende Investitionen in marode Infrastrukturen helfen können, eine Umweltkatastrophe zu verhindern. Aber bei dieser Sache verhält es sich wie bei Paul Watzlawicks Elefanten an der Straßenecke. Derjenige, der da meint, sie durch Klatschen in die Hände zu vertreiben sieht sie, derjenige, der ihn fragt, warum er in die Hände klatscht eben nicht. Was war also zuerst da: die Gefahr durch die alles panisch und orientierungslos nieder walzende Herde der Dickhäuter oder die Ahnung von ihr? Henne oder Ei?
Dies soll natürlich nichts gegen Colonel Hathi und seine Artgenossen heißen.

 

Wasserkreisläufe sind keine nationalen Güter.
Wasser, die Luft und Viren kennen keine nationalen Grenzen. 

 

 

 

 

Ende März hatten Entwicklungsminister Gerd Müller und viele andere schon vor den wirtschaftlichen Folgen der "Corona-Krise" gerade auch im "globalen Süden" gewarnt. Die nun offenkundige Rezession im Norden verschärft neben der größeren Vulnerabilität gegenüber dem Virus im Süden nochmals soziale Unterschiede. Global wie national. Überall auf der Welt. Ganze Volkswirtschaften sind da vom Zusammenbruch bedroht. Einzelne Menschen, die da gedrängt leben und als Tagelöhner arbeiten können gar keine Ausgangssperren einhalten. Dasselbe gilt für auf engstem Raum lebende Familien bei uns. Menschen, die ohnehin zumeist schon aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen sind. 

 

Auch Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee sprechen davon, dass viele klassischen wirtschaftspolitischen Denkansätze wie etwa das Stolper-Samuelson-Theorem von 1941 als wichtiger Lehrsatz der Außenhandelstheorie im Zuge der Liberalisierung der Weltmärkte in den letzten Jahrzehnten eigentlich von vielschichtigen und vielfältigen Realitäten eingeholt worden sind. Petia Topalova, die in den 2000er Jahren eher die Starrheit und Unbeweglichkeit "liberalisierter Märkte" nachwies und die Exposition verschiedener Distrikte und Regionen für negative Verwerfungen wie etwa wachsende Ungleichheit im Zuge der Liberalisierung lokaler Märkte untersuchte, wurde danach vielfach angefeindet. Es bedarf also anderer und neuer, die alten Theoreme erweiternde Ansätze, um die Realitäten zu bewältigen. Zumal in dieser nach der Pandemie benannten Wirtschaftskrise. 

 

"Lockdown in Dhaka. Wo Social Distancing eine Illusion ist" wird ein Fotobericht von Noor Alam über die rund 21 Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Bangladeschs in der Corona-Ausgangssperre betitelt. Das Schlusswort soll auch hier jemand anderem, dieses Mal dem in Mirpur in der ost-bengalischen Metropole lebenden Verfasser dieser schönen Foto-Dokumentation gehören:

"Nichts desto weniger, diese Pandemie hat uns die Zeit gegeben, uns selbst zu betrachten und zu entscheiden, was wichtig ist. Sie erlaubt uns, darüber nachzudenken, welche Art von Zivilisation wir geschaffen haben und was wir der Natur angetan haben. Wir können nicht gut in Isolation leben - die Welt ist besser verbunden als jemals zuvor. Unser wichtigstes Tun sollte sein, zu leben, um anderen zu helfen und gemeinsam gegen die Krise anzukämpfen, der wir uns gegenüber sehen, sei es nun die Pandemie oder der Klimawandel."

 

 

 

 

 

 

09.06.2020

"Krisen" oder "Chancen"?

 

Es gibt manche, die sagen, dass China wohl als allererstes von "der Krise" profitieren würde. 

Auch das ist zunächst einmal eine "steile These", die einige Themen, die da in den Vordergrund gekehrt werden derzeit nach vorne bringt, aber viele andere Facetten aus Gegenwart und Vergangenheit außer Acht lässt. Wie so oft bei "kalten Nachrichten", die "heiß rezipiert" werden wollen.
Und dies wohl auch sollen. 

 

 

 

Zunächst noch einmal meine Erfahrung : "DIE Krise" gibt es nicht. Es gibt mehrere Situationen, die zusammenstoßen und sich gegenseitig bedingen. Die Pandemie und eine damit einhergehende Rezession sind zwei Ereignisse, die auf verstärkte Polarisierungen und Auseinandersetzungen auf globalen und lokalen Ebenen treffen. Klimawandel und "Kampf der Kulturen" sind zwei andere lange mehr oder weniger im Hintergrund verlaufende Vorgänge, auf die Pandemie und Rezession nun treffen. Dadurch wird diesen Vorgängen ein weiterer Schub in ihrem Verlauf gegeben. In die eine oder andere Richtung.
In den Vordergrund oder weiter in den Hintergrund.
Wesentlich ist aber derzeit bei allen Vorgängen, dass dabei Segregation und Disintegration, nicht aber Inklusion und Integration Einzelner und von Gesellschaften als Ganze zu Tage gefördert werden. Trotz der immer wieder viel beschworenen Solidarität: Das Zusammenwirken der Vorgänge und der Ereignisse verstärkt derzeit mehr Ängste und Hoffnungslosigkeit. Krisen können so kaum als Chancen wahrgenommen werden. Dies sollten sie aber. Dort sollten wir hinkommen. Der Zorn über Rassismus und Ungerechtigkeit insbesondere nach dem Polizeimord an George Floyd alleine genügt da nicht. 

 

Ein anderes Bild aus Hangzhou mit deutlich ablesbar mehreren Generationen Bautätigkeit, Stadtwachstum und Verdichtung

 

 

 

Nochmals kurz zu China: die "Werkbank" der Welt hat neben vielen Produktionsfaktoren und viel Wohlstand in den letzten Jahren viel Selbstbewusstsein in ihrem Auftreten gewonnen. Der chinesische Importstopp für Müll, insbesondere Plastikmüll, auch den deutschen mit dem "Grünen Punkt" Anfang 2019 führte zur Verlagerung dieses Problems in weitere "Abnehmerländer", wie die Philippinen, Indonesien und andere. Problemverschiebungen, die nicht zu mehr, nur örtlich verlagerter Zerstörung des Planeten führen. Lösungen als Wege zu wirklichen Wertstoffzyklen werden so weiter hinausgezögert.
Wie seit mehr als 40 Jahren. 

 

China hat in einem gewaltigen Strukturprogramm einige Phasen der Industrialisierung, für die wir hier mehr als ein Jahrhundert benötigt haben innerhalb von rund einer Generation bewältigt. Aber: was heißt dabei: bewältigt? China steckt in vielen Entwicklungsvorgängen, die alle nur fragmentiert vonstatten gehen können genauso fest wie wir hier. Vorgänge die zunächst einmal gewaltigen Rohstoff- und Ressourcenverbrauch bedeuten. Das heißt aber, dass so auch im "Reich der Mitte" derzeit kein "nachhaltiger Umbau zu Wertstoffzyklen" erfolgen kann. Der "Erdverbrauch" des chinesichen Wachstums war zuletzt sogar weitaus höher als der "Erdverbrauch" in den "alten westlichen Industrienationen". Die gewaltige Umweltzerstörung, die gleichfalls gigantische Immobilienblase von 2011 im "Reich der Mitte": der Wille zu einem "Green New Deal" oder überhaupt; einem globalen Programm zum Umbau unserer Produktionsbedingungen und unserer Handelsbeziehungen ist hier wie dort nicht vorhanden. Ein "Green New Deal" als Paradigmenwechsel kann nur global und in Einvernehmen der mächtigsten Akteure als entsprechendes Verhandlungs- und Vertragswerk gestartet werden. 


"Konkurrenz belebt das Geschäft" heißt es. In Anbetracht solcher gewaltiger Beschleunigungsvorgänge jedoch fährt dieser Vorgang nun mit der Zerstörung der Erde und damit unserer Lebensräume in atemberaubender Geschwindigkeit fort. "Alternativlos" sozusagen. Denn die bedingungslos vorherrschende "Schattenwelt der Konkurrenz" zwingt uns zu diesen (selbst-) mörderischen Beschleunigungs- und Abbremsvorgängen, die in erster Linie auf Kosten zukünftiger Generationen vonstatten gehen. Umbauvorgänge werden weiter in eine ferne Zukunft verlagert. Die Angst vor dem Kontrollverlust des gegenwärtigen Momentes überwiegt bei der Erwägung zukünftiger Erfordernisse. Zukünftiger Umbau- und Reparaturmaßnahmen aber, die längst überfällige gegenwärtige Umbau- und Reparaturmaßnahmen sind. "Kauf Dich grün!", wie da das Konjunkturpaket der Bundesregierung in der Zeit überschrieben wird, soll das nationale Konsumverhalten des Verbrauchers in Deutschland anregen. Vor den "globalen Ursachen der Krisen" kapituliert der nationale Alleingang. Der "Kalte Krieg 2.02" wird als Conditio sine qua non betrachtet. Konkurrierende Systeme können nicht kooperieren, wird da impliziert.

 

Wenn man "die Corona-Krise" als singuläres Ding und als alleinigen Auslöser der anderen Krisen  betrachtet und höchstens die Rezession direkt mit ihr in Zusammenhang bringt, dann ist China zweifelsohne "Gewinner der Krise". Dadurch, dass China mit der Ausgangssperre in Wuhan im Zuge der Pandemie-Meldung bei der WHO die ersten drastischen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung als nationalen Alleingang mit globaler Verpflichtung vollzogen hat, konnte es Ursache und Wirkung dieser (Teil-) Krise selbst am besten kontrollieren. Alle anderen "fragmentierten Folgen bestehender Vorgänge mit Krisencharakter" bleiben erst einmal im Hintergrund verborgen. "Klimawandel" und "Kampf der Kulturen" und nationale und globale Folgen dieser lange schleichenden Vorgänge werden weiter verdrängt. Konzentrations- oder "Umerziehungslager", in denen gerade in Sinkiang im Nordwesten Chinas Millionen Uyguren eingesperrt sind und Einschränkung von Bürgerrechten insbesondere in Hongkong werden marginalisiert. Der "Kampf der Kulturen" und das Brechen muslimischen Widerstands gegen Pekings Gleichschaltung und "neuer Autoritarismus" werden selbstverständlich weitergeführt. Umweltzerstörung und Unterdrückung von Minderheiten sind im Angesicht des durch die Pandemie verursachten Sterbens ohnehin kein Thema mehr. 

 

Einer meiner Lieblingsorte in Hangzhou, wo ich 2011 /12 für ein halbes Jahr auch an und in der chinesischen Immobilienblase arbeitete: Das, wie ich es nannte "Zick-Zack-Tao", ein Steg am Westsee, der seit 2011 auch UNESCO-Weltkulturerbe ist. 

 

 

 

 

Auch die westliche Version des "Heldenepos von Wuhan" betont vorwiegend die Opferrolle der eigenen an SARS-Covid 2 (19) Verstorbenen. Der Tod und das eigene offene Grab, nicht aber die anderen Krisen, die unmittelbar damit kommen oder schon da waren werden betrachtet.
Das Tagebuch der Schriftstellerin Fang Fang dazu und die Tatsache, dass die Frau immer mehr in den Propagandakrieg zwischen China und dem Westen gerät verdeutlicht das noch einmal. Es handelt sich bei Fang Fang nicht um eine Dissidentin, sondern um eine bisher staatlich anerkannte Schriftstellerin. Nun, da sie das Leiden der Armen und Schwachen in den mit Corona und der Ausgangssperre einhergenden Krisen beschreibt, wird sie von der Partei zur Verräterin stilisiert. 
Offene Oligarchen und Patriarchen werden so zu Gewinnern. Die anderen können den Umbau zu "verdeckten Oligarchien" besser tarnen. Ein "Win-win" der Herrschenden allerorten zeichnet sich ab. 

Fang Fangs Satz: "Die Regierung ist die Regierung des Volkes. Sie ist dazu da, dem Volk zu dienen. Nicht umgekehrt" wird im westlichen Korporatismus auch des Konjunkturpaketes zu:
"Die Wirtschaft ist die Wirtschaft des Volkes. Sie ist dazu da, dem Volk zu dienen. Nicht umgekehrt."

Bei der Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber dem Vaterland und der stetigen Verunglimpfung jeglicher Kritik bis hin zur Maßregelung hat jedoch China kein Alleinstellungsmerkmal.

Zumal in diesen Tagen. 

Insofern soll hier auch Fang Fang das Schlusswort für den heutigen Tage gegeben werden:
"Ohne Reform und Öffnung gäbe es kein Heute, einschließlich meines Rechtes,
ein öffentliches Tagebuch zu schreiben."

 

 

 

07.06.2020

Rassismus: Jedes Leben zählt

 

 

 

Die hier abgebildete Grafik und die ihr zugrunde liegende statitische Erhebung ist einige Donnerstage alt. Rund 350, also 7 Jahre. Dennoch: viel dürfte sich da kaum verändert haben. 

Dass man mit Statistiken viel und nichts sagen, aber kalte zu heißen Diskursen bewegen kann, das zeigt gerade auch die  "Unstatistik des Monats", bei der lange drei, nun vier Forscher des RWI Essen seit 2012 monatlich eine prägnante und Aufsehen erregende Statistik analysieren und geschickt tranchiert und filettiert dann darbieten. Für Veganer: sie geben ein äußerst fein abgestimmtes Dressing dazu.  

Insofern: diese Grafik zeigt, wie gewalttätig insgesamt die US Gesellschaft ist. Oder eben auch nicht. Es ist kein Land im Bürgerkrieg. Aber wir leben in einer immer stärker polarisierten Welt. In der die Dinge gezielt oder ungezielt erhitzt werden. Und manchmal brennt's dann eben an. 

 

Colin Kaepernick ist dagegen aufgestanden. Besser: er ist bei der US-Hymne niedergekniet. Als Adoptivsohn wohlhabender und kluger, fürsorglich liebender weißer Eltern stand er als braunhäutiger Mensch immer irgendwie dazwischen. Viele sagten ihm eine große Zukunft schon vor seinem rasanten Durchbruch als Quarterback der San Francsico 49ers ins Super Bowl-Finale 2016 voraus. Doch er entschied sich so wie Tommie Smith und John Carlos 1968, kurz nach der Ermordung Martin Luther King Jr.'s dafür, seine Stimme gegen Ungerechtigkeit und Rassenmorde zu erheben. Und bei der Hymne niederzuknien. 

 

Szene aus der arte Dokumentation "Ein amerikanischer Held: Die Geschichte des Colin Kaepernick":
Colin in der Mitte hier neben seinem Mannschaftskameraden bei den 49ers Eric Reid niederknieend.
Der neben ihm stehende US-Army Veteran Nate Boyer, der in Darfur, im Irak und in Afghanistan gekämpft hat, hatte ihm dazu geraten, nicht sitzen zu bleiben bei der Hymne, sondern seinen Protest durch das Niederknien darzustellen.

 

Die ambivalente Geschichte von Sport und Politik und Sportlern, die sich gefälligst nicht äußern, sondern nur der Unterhaltung der Fans dienen sollen ist endlos lang. Die Geisterspiele der Bundesliga derzeit nehmen da eine besondere, aber "andere" Rolle ein. Muhammad Ali als Tänzer und vordergründig großmäuliger Entertainer im Boxring und daneben steht hier als einer der imposantesten Kämpfer gegen Ungleichheit und für Chancengleichheit einmal mehr ganz außen vor.


In den US als einer ohnehin stark polarisierten Gesellschaft ist auch die Geschichte der Ureinwohner der US oft sehr verzerrt in Ritualen und Vereinsinsignien dargestellt. Neuseelands Rugby Team der All Blacks nutzt den Haka, einen rituellen Tanz der indigenen Maori auch zur Integration der Ureinwohner in ihr ursprünglich weiß dominiertes, in den letzten Jahren aber auch zunehmend mit Maoris besetztes Team.
In den US aber sind NFL und andere noch weit von solchen integrativen Maßnahmen entfernt. Das diesjährige Super Bowl Finale hatte da mit den SF 49ers, also Colin Kaepernicks früherem Team und den Kansas City Chiefs zwei Teams, deren Namen und Rituale indigene Stammesgeschichte eher "folkloristisch" abtun. Insofern sind kulturell übergreifende Gesten und Bewegungen, wie der US-Veteran Nate Boyer sie ihm in einem versöhnlichen Gespräch geraten und wie Colin sie populär gemacht hat wichtig, um endlich diese Diskurse in den US auch im Alltag aufzuweiten.
Und Ungleichheit von Chancen und Möglichkeiten zu bekämpfen.
Freiheit und Demokratie für alle zu stärken. 

 

Sophie Aschenbrenner hat also Recht, wenn sie sagt: "Es reicht nicht, schwarze Kacheln zu posten".

Auch was sie da von der schwarzen Aktivistin und Autorin Tupoka Ogette erläutert, ist in sich sehr stimmig: So fordert Tupoka in "Exit Racism" auf, das "Happyland", das jegliche Art von Rassismus immer als "das Problem der anderen" weit von sich weist zu verlassen. "Anerkennung und Eingeständnis von unangenehmen Wahrheiten", also auch dem "latenten Rassismus vor und hinter der eigenen Haustür" erfolgt dabei in ähnlichen Phasen wie etwa die "Trauerarbeit" bei Elisabeth Kübler-Ross und anderen.  

 

Was also jetzt an den Unruhen in den US "systemisch" oder "systematisch" ist: das kann keiner beantworten. Die Frage an sich ist schon fragwürdig. Ich persönlich würde sie gerne mit Colin und mit Nate oben auf dem Bild erörtern. Vielleicht, weil wir irgendwie ähnliche Erfahrungsbereiche haben. Zumindest gibt es da vielfältige Schnittmengen. Lee, einen britischen Freund von mir würde ich am liebsten dazuholen. Ehemaliger Soldat, dann Entwicklungshelfer, begnadeter Handwerker: ein großartiger Mensch. 

Insgesamt haben Rassismus, Ungleichheit und Ungerechtigkeit sehr viele Gesichter. Nicht nur in den US.
"Es wird Weißen viel zu leicht gemacht, sich über Schwarze zu erheben" steht da über einem Erfahrungsbericht von zwei Männern mit unter anderem afro-amerikanischen, einem mit unter anderem ägyptischen Wurzeln aus dem Großraum New York. 
"Es wird Menschen mit Geld viel zu leicht gemacht, sich über Menschen mit weniger Geld zu erheben".
So könnte man es auch sagen. 
 
Man kann auch etwas euphemistisch sagen: In den US "splattert" sich das zersplitterte Establishment mit Trump derzeit selbst. Chris Hedges, Angus Deaton und viele andere haben das jüngst auch ganz gut umschrieben. Und John W. Whitehead weist unter der Überschrift: "Dies ist keine Revolution. Dies ist eine Blaupause für eine Ausgangssperre der gesamten Nation" in eine ähnliche Richtung.
Siri Hustvedt sagte jüngst noch: "Die Krise legt alle Schwächen bloß." Als in Brooklyn ansässige Schriftstellerin hatte sie da noch die Pandemie und die Exponiertheit ihrer Stadt im Fokus. Und die Rolle Trumps als Außenseiter in New York City, der nie so richtig zu ihrem "Establishment" gehörte. Und der sich nun an der Stadt rächen würde. Aber ist dem wirklich so? Oder: ist das vielmehr eine weitere eher persönliche Reduktion von Komplexität? Bush und Cheney als Leute aus Texas und Wyoming haben die Küstenstädte im Westen und Osten auch gehasst. Aber sie waren besser vernetzt in ihrem "Business trail". Was gerade Cheney schamlos mit Halliburton und anderen Firmen im Zuge des "Kriegs gegen den Terror" zur eigenen Bereicherung genutzt hat. Der Bush-Clan war auch im Ölgeschäft ganz groß.
Eben der Typus "Dorfschützenkönig, der Globalisierung steuert."
Trump ist ein "loner", ein Einzelkämpfer als Emporkömmling.

Obama hat dazwischen die "Diskurs- und Konkursverwaltung" des Imperium des Chaos, wie Pepe Escobar es nennt nur geschickter gesteuert. Nicht mehr, nicht weniger. Umso wichtiger sind solche Leute wie Colin und Nate. Und viele andere, die das Momentum spüren, um ihre Stimme zu erheben.
Und die anderen eine Stimme geben. 
 
 
 

 

03.06.2020

"Wissenschaftliche Deutungshoheiten" und andere sehende (und blinde) Flecken

 

"Nationaler Eskapismus" scheint derzeit ja die überwiegende Antwort auf die "Corona-Krise" in postfaktisch informierten und postdemokratisch regierten Staaten zu sein. Insofern kann man auch nicht mehr von der "Demokratie als Tyrannis der Dummen" sprechen. Wie weit da der "Föderalismus" und andere Themen zum "blinden Fleck des Nationalismus" werden jedoch: das hängt auch von unsereinem ab. 

 

Gleichwohl zeigt die „Corona-Krise“ einmal mehr, wie „kalte Wissenschaftliche Fakten“ politisch instrumentalisiert werden. Wissenschaftliche Richtungsstreitigkeiten werden dazu genutzt, eigene Unbeholfenheit und Überforderung mit den Dimensionen beschleunigter Veränderungen zu überspielen.

Von Seiten politischer Akteure wie auch von Seiten der ins Rampenlicht gestellten Virologen und Epidemiologen als Vertreter der medizinischen Wissenschaften in dieser Situation. Es geht dabei in „überhitzten Mediendebatten“ um Deutungshoheiten, die bald immer mehr die eigentlichen Themen aus den Augen verlieren helfen. Henne- und Ei-Diskurse aber führen nur zu Symptomverschiebungen.
Niemals zu Lösungen. Im medizinischen Kontext: zu Heilungsverläufen.


Was da inwiefern "aus der Not und Unbeholfenheit heraus" von der Politik gewollt ist: das ist etwas anderes. Mögliche Konsequenzen sind nun etwa in den US die Verschiebung der Wahlen und die Ausformung einer "Trump-Dynastie" mit dem Ausnahmezustand als Regel. Und bald auch "notwendiger Gewohnheitszustand". Dass Verfassungen in "liberalen Demokratien" je nach Richter äußerst "biegsam" sind, das zeigt sich ja nicht nur in den US. Das zeigt sich eigentlich spätestens seit dem 12. September 2001. Oder dem Tag davor. Obama hat die "Rechtsbeugungen" von Bush und Cheney nur eleganter verpackt in seiner geschickten Konkurs- und Diskursverwaltung. Und alle turnen mit den Führern der Weltmacht. Irgendwie. Besonders in dem Land, das ja seinen Führungsanspruch in EU-Land weiter behauptet. Zumal man ja jetzt auch in Brüssel wichtigstes Personal stellt. 
Ist "Idealismus" ein naiver Traum von Realitätsverkennern?

 

Auch Caitlin Johnstone beendet einen klugen Essay auf MEDIUM unter der Überschrift:
"Wir erleben die Geschichte Amerikas, das kopfüber in die Realität Amerikas hineinstürzt" zu den Protesten nach dem Polizeimord an George Floyd und die Reaktion der Politik mit den Worten:
"Wer immer die Erzählweise kontrolliert, der kontrolliert die Welt. Das Imperium verliert die Kontrolle über die Erzählweise. Auf lange Sicht gesehen kann dies nur eine gute Entwicklung sein. Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel und die Wahrheit ist der Erfindung immer überlegen." 

 

 

SARS-CoV 2 (19) ist sicher in seinen vielen Mutationsformen kein harmloses Virus. Resilienz und Resistenz jedoch sind nicht nur in der Immunologie ganz wichtige Themen. Das Thema „Kreuzimmunität“ wäre insgesamt sicher spannender als die dumm virulent gestreute Hoffnung auf eine „All Heil“ bringende Impfung. Zumal diese auch für die Malaria, einen der größten Killer weltweit nicht existiert. 
Geschweige denn für AIDS, Ebola oder andere jüngere, häufig tödlich endende Erkrankungen. 

 

In Bergamo und Umgebung lag dem Massensterben auch eine Föderalismus- und Versorgungskrise zugrunde. Welches Interesse haben Faschisten wie die in der Lombardei regierende Lega an Grundelementen der Daseinsvorsorge? Zumal gebeutelt durch von Berlin und Brüssel diktierte europäische Austerität? Von "politischen Auskennern" verwaltet?

Die statistische Aufarbeitung von Letalitätsraten hilft da auch nur bedingt. Die Krise ist primär eine Krise der Versorgung. Der mangelnden Fürsorge für die Menschen in ihren jeweiligen Lebensräumen.
Der Überforderung mit der Vielfalt der verschiedenen akkumulierten Krisen. "Privatisierung" von grundlegenden Infrastrukturen und politische Beratungsresistenz, um nicht zu sagen: völlige Inkompetenz der Politik, diese aber hochdotiert: das sind zudem die Hauptgründe für das durch 
SARS-CoV 2 (19) zutage tretende Versagen. Und das unkontrollierte Wüten der Pandemie an dem einen oder anderen Ort. Sozusagen: Eugenik durch jahrzehnte lange soziale und medizinische Inkompetenz von politischen Entscheidungsträgern. Zumeist geriatrische Eugenik, die aber auch dann viele jüngere Menschen dort hinweggerafft hat. Besonders Pfleger und Mediziner, die ständig dem Virus und der Hoffnungslosigkeit ausgesetzt waren. Deren Immunsystem dann eben einen "Burn-out" erlitt. Zumal manche "Grunderkrankungen und genetischen Dispositionen" allzu häufig gar nicht bekannt sind.
Was bisweilen auch nicht immer das Schlechteste ist. 

 

Angst als nicht persönliches, sondern als „kollektives Gefühl“ wird schnell zu Panik. Diese birgt viele hoch gefährliche Momente in sich. „German Angst“ ist zudem sprichwörtlich. Von daher muss man das Aufeinandertreffen mehrerer Krisen derzeit und die entsprechenden (Re-) Aktionen und deren mediale Kommunikation mit großer Skepsis betrachten. Überforderung von Politikern, aber auch Beratungsresistenz habe ich in manchem persönlichen Gespräch erlebt. Die Instrumentalisierung medizinischen Halbwissens derzeit kann insofern auch nicht im Sinne vieler Mediziner sein. Zumal die Politik dann ohnehin weiter die Themen so austariert, dass sie irgendwie auf Sicht gefahren gut dasteht. Aber grundlegende ursächliche, also "Systemfragen" dabei vermeidet. 

Wie schon gesagt: ich will mit all dem nicht medizinische Fachkompetenz einzelner Mediziner und auch nicht die Medizin per se als Wissenschaft schlecht machen.
Ganz im Gegenteil. Wir sind alle Menschen. Als solche fehlbar.

 

Ohne Antibiotika hätte ich wahrscheinlich mein 55., bald 56. Lebensjahr nicht erreicht. Mein letzter chirurgischer Eingriff erfolgte im Licht einer Taschenlampe bei den Schwiegereltern in Bangladesch 2013 im Monsun bei Stromausfall. Ein aufgeplatzter Ellenbogen, nachdem ich auf nassen Fliesen meinen Sohn im Arm haltend auf der Treppe ausgerutscht war. Abfangen konnte ich mich mit dem Kleinen im Arm ja nicht. Flipflops und weniger als R9 eben. Dumm gelaufen. Oder gerutscht. 
„Sterile Kautelen“ sind etwas anderes und die Antibiotika damals waren dringend erforderlich. Insofern: auch medizinischer Fortschritt ist immer situativ einzuschätzen. Erfahrungswerte sind da ganz wichtig.
Aber das gilt für alle Arbeiten und alle Lehren.

 

 

Einen ähnlichen „Wissenschafts- und Deutungsstreit“ wünscht man sich eigentlich nun im Schatten der Pandemie um die weitere Entwicklung unserer Lebensräume. 

Beim derzeitigen „Social Distancing“ und vielen diffusen Prognosen für ungewisse Zukünfte und lineare Verlängerungen dieser Maßnahmen sehe ich viel größere Gefahren als bei einer entsprechenden Einleitung entscheidender Maßnahmen zur Bearbeitung viel drastischerer Gefahren für soziale Gemeinschaften und ihre und unsere Lebensräume. Dies betrifft sowohl meine persönliche Gesundheit als auch die von Gesellschaft. Und unsere Heilung. So es denn eine gibt. Der Bewegungsmangel zudem, das Verbot sozialer Wärme auch gegenüber „erweiterter Kernfamilie“, das Versammlungsverbot, das Kultur, Musik, Malerei, Theater immer mehr einschränkt:
es entwickelt immer mehr eine pathogene soziale Dimension. Hoffnungslosigkeit und Zynismus jedoch sind keine gesunden Berater. Für mich persönlich wie für viele Mitmenschen. Stagnation und Hoffnungslosigkeit zudem gepaart mit „deutscher Angst“ waren in jüngster Vergangenheit nicht gut für die Menschen.
Nicht nur hierzulande.

 

 

 

 

02.06.2020

Haymatland: Fremdbestimmt zwischen "heißen und kalten Medien"

 

Ken Jebsen bewegt sich immer wieder auf des Messers Schneide. Er vermittelt dabei auf tief fundierte und hoch eloquente Weise zwischen "rechtem" und "linkem" Gedankengut. Das hat ihm vielerlei Feindschaften auf beiden Seiten verschafft. Dass er zu keinem "politischen Lager" (mehr) gehört, das sagt er hier auch selbst. Er fordert seinen Zuhörern immer wieder sehr viel dabei ab. Gleichwohl kann er sehr gut zuhören. Auch hier in einem Interview mit Thorsten Schulte, früherer Investmentbänker, Unternehmensberater, langjähriges CDU-Parteimitglied. Ein kluger Mann aus Hamm in Westfalen. Für viele, die da in überhitzten medialen Diskursen von "Wissenschaftlichkeit und dem Recht auf Irrtum" auf dem Weg zu "Annäherung an objektivierbare Wahrheiten" darin reden im Zuge der "Corona-Krise" ein "rotes Tuch" und ein "durchgeknallter Verschwörungstheoretiker" mit AfD-Nähe. Einer aber auch, der sagt, wir brauchen eine "Apo 2.0". Eine "neue politische Streitkultur". 

 

Jebsen betont  im Gespräch zu "Fremdbestimmt: 120 Jahre Lügen und Täuschung", dass es sich gerade heute darum handeln solle, Geschichte nicht mit einseitigen Schuldvorwürfe "aufzuarbeiten", sondern vielmehr die "Konstruktion von Kriegen" aufzudecken. Dies geschieht hier durchaus streitbar auch anhand von vielen historischen Quellen gerade zum vermeintlichen "Schlafwandeln in den 1. Weltkrieg".
Parallelen zur heutigen Situation drängen sich dabei unwillkürlich auf. Zumal für jemanden, der in Afghanistan mit Briten und US-Amerikanern gearbeitet hat. Der aber auch im Ministerium für Stadtplanung in Kabul einmal beeindruckt vor einem großen Druck des sowjetischen Masterplans stand und der das Gespräch mit einem afghanischen Ingenieur, der rund 40 Jahre zuvor mit den Sowjets die Kläranlage für die große Plattenbausiedlung "Macrorayon" dort erstellt hatte und diese Anlage weiterhin wartete nie vergessen wird (Im unteren Foto der Mann in Blau).

 

 

Schultes prägnantem Satz dazu, dass Kriege nicht von Völkern geführt, sondern nur ausgeführt werden und die Völker stets die Opfer ihrer Regierungen sind kann hier nur zugestimmt werden. Wie kommt es aber, dass unsereiner über seine Arbeit für einen systematischen Wiederaufbau in Afghanistan in Deutschland nie berichten durfte?  Dass dies eher wohl gemeinhin als „gut bezahlter Abenteuerurlaub“ und „Idealismus“ abserviert  wurde? Dass weitere Tätigkeiten im Bausektor auch hier, die maßgebliche Ausgleiche zwischen schwachen gemeinschaftlichen und starken privaten Interessen vorsahen eher wegggeschlossen und verschwiegen wurden? 

 

Manche Aussagen Schultes sind zwar vielfach von den historischen Quellen her belegt. Dennoch würde ich auch darüber bisweilen mit ihm streiten. "120 Jahre Lügen und Täuschung" stehen da David Graebers "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" gegenüber. Etwa, was die "Dimensionen des Schlafwandelns" auch von westlichen Staatsoberhäuptern wie FDR später dann zum 2. Weltkrieg hin betrifft. Leute, die dann "Gefangene ihrer eigenen Politik" werden. So wie es auch Philip Roth in seinem "Plot Against America", seinem Roman "Verschwörung gegen Amerika" ausdrückt. Wobei Roth letztlich aber auch vor der Größe und Gewalt der Geschichte mit dem preisgekrönten Roman kapituliert. Und anderes.
Wichtig jedoch ist, diese Debatten überhaupt zu führen. Sie zuzulassen. Geschichtswissenschaften werden so eben auch zur 
"Annäherung an objektivierbare Wahrheiten" vielfältiger genutzt. 

 

Etwas, was auch Verfechtern offener Diskurse in den Meinung maßgeblich gestaltenden Medien wie Dunya Haylali durchaus anstehen würde. Der Begriff "Haymatland" in eben dieser Schreibweise stammt ja von ihr. Vor wenigen Tagen habe ich einer jungen, in der Türkei aufgewachsenen Kollegin gesagt, dass sie aus einem Land käme, das in den letzten Jahren mehr und mehr in eine Diktatur entglitten wäre, die meisten Leute hier aber denken würden, sie lebten noch in einer "freiheitlichen Demokratie".

Auch über diese "steile These" in Zeiten der "Corona Pandemie" kann man sicher reden. Dafür ist jedoch ein offener Diskurs, keine abgeschlossene Blasen-Meinungsbildung erforderlich. 

 

Das Interview mit Ken Jebsen ist am 4. April 2020 hochgeladen worden. In einem anderen Video vom Pfingstmontag, 1. Juni 2020 wird ein Auftritt Schultes auf einer Pegida Kundgebung in Dresden gezeigt. Nach wenigen Minuten Zusehen dort wird klar, warum Ken Jebsens Versuche, "Brücken nach rechts" zu bauen auch mit seinem eigenen Verbrennen enden. Leuten wie Schulte ist nicht zu trauen. Ihre schönen Worte verbergen vieles, was eher revisionistisch, dies aber auf eine höchst subtile und gefährliche Art ist. Hetze kann viele Gesichter haben. Auch die von Schulte so hoch gepriesene "Wahrheit" zeigt hier ein anderes Gesicht. Schade.

 

 

 

01.06.2020

Offenbarung durch Verhüllung

 

Das haben Christo und Jeanne-Claude immer wieder geschafft.
Die Reinheit der Form des Reichstages mit seinen geschichtlichen Instrumentalisierungen durch die bewegten Zeiten von der wilhelminischen Bauzeit über den Brand bis zum Mauerblümchendasein haben auch Schäuble und Kohl damals nicht verstanden. Zum Glück gab es andere Befürworter, insbesondere Rita Süßmuth damals, die das Werk in diesem historischen Moment vehement unterstützten. 
Die 14 Tage des mächtigen Baukörpers in silbrig-weiß glänzendem Faltenwurf, himmelblau vertäut gehören zu den schönsten Momenten der deutschen Wiedervereinigung. Geschichte schien wieder offen und hoffnungsfroh. Auch die Ölfässer im Oberhausener Gasometer und zuletzt die Mastaba
auf der Serpentine in London 2018 durfte ich live erleben. 
Wie schön, dass er jetzt wieder mit Jeanne-Claude vereint ist. 
Ihr Werk wird die Menschen weiterhin einwickeln und ihnen viele Dinge offenbaren darin.
Das Prozesshafte, die harte Arbeit ihrer Kunst wird zu allererst überdauern. Denn das ist es,
was jegliches Bildnerische, jegliches Schaffen von Kunst ausmacht.
Und das kann jede(r), die sich und ihr Wirken als Teil der sozialen Skulptur Gesellschaft begreift.
Auch wenn da mancher Weg durch Ölfässer und andere Barrikaden versperrt scheint. 

 

 

 

 

31.05.2020

Soziales Experiment, Stufe 2.

 

Wo und wann sind wir bei Stufe 3? Diese Frage hat wie jede Frage in Zeiten rasanter Beschleunigungsvorgänge, die zugleich Rückräume öffnen für manche anderen Themen und
deren Bewältigung oder Vertuschung viele Facetten. Das gilt logischerweise auch für die Antworten

auf Fragen dieser Art. 

 

Was ist also so in den letzten rund zwei Monaten "unter den Tisch gefallen"? Juristisch und (real-)politisch.
Nur ein kurzer Auszug, ohne wirklichen Anspruch auf Vollständigkeit:

 

Besser kann man zudem kaum "Steilvorlagen" an rechte Gruppen aller Schattierungen geben. 
Auch an neuen "Dolchstoßlegenden" wird da munter gewerkelt. Von Ken Jebsens Interview mit 
Thorsten Schulte, Verfasser eines Buches mit dem Titel "Fremdbestimmt: 120 Jahre Lügen und Täuschung" habe ich persönlich mir einmal kurz die ersten rund 5 Minuten angesehen. Dann nochmals Kens steile Anfangsthese dazu angehört. 1871, der deutsch-französische Krieg mit der Folge der in Deutschland so benannten "Gründerzeit", die also eine "deutsche Blüte" darstellte, aber auch maßgeblich durch französische Reparationen begünstigt wurde und für die "Grande Nation" eine Zeit des Niedergangs war. Auch ein Grund, warum der 1. Weltkrieg in Frankreich "La Grande Guerre", der große Krieg" heißt, weil er diese Schmach beendete. Was dann wieder in den "Versailler Frieden 1919" mündete. Jenen "falschen Frieden", den John Maynard Keynes dann 1920 voller Zorn kommentierte. Der dann in das mündete, was bei den Amerikanern einfach "The War" heißt: der 2. Weltkrieg. Mal im Schnelldurchgang. 

 

Gleichzeitig erleben wir ja auch ein "subtiles nationales Erwachen der Mittelschicht". Standardsprüche wie Clintons "It's the economy, stupid!" wurden ja immer in den letzten Jahrzehnten mit Hinweis auf "die Globalisierung" beantwortet. Da musste man sich als Arbeiter halt einordnen. In China und sonst wo gab's ja genügend Leute, die seinen oder ihren Job tun konnten. 

Jetzt hört man immer öfter, wie gut doch Deutschland ist und das beste, solidarischste und so weiter und so fort Land. Rassismus, wie jetzt in den US und anderswo nach dem Polizeimord an George Floyd in Minneapolis - nein! Auch so etwas gibt es doch nicht in Deutschland!
Und NSU-Morde, 120 Jahre Verschlusssache und und und?

Aber der postdemokratische Richter über den Wahrheitsgehalt von Nachrichten weiß ohnehin am besten, was da alles geschieht. Die in den Städten der US revoltierenden Menschen nach dem Polizeimord an George Floyd sind alle von der Antifa angestachelt. So kann man schnell 40 und mehr Jahre Zerstörung von Gesellschaft und 300 und mehr Jahre Rassendiskriminierung in einem Handstreich erklären. Und in Deutschland schweigt man wie so oft dazu. Auch das hat man von anderen ehrenwerten Gesellschaften gelernt. Was soll man auch sagen? Problemverschiebung ist für den eigenen Machterhalt immer am besten. Die Eleganz Machiavellis indes erreicht da derzeit niemand.

 

Was einmal mehr unterstreicht: 

Auch vor 1871 gab es eine sehr vielfältige und vielschichtige "globale Geschichte".
Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht im 17. und 18. Jahrhundert, die von britischen Geschäftsleuten der "Ost-Indien-Kompanie" maßgeblich verursachte "soziale Krise" durch millionenfachen Opium-Missbrauch im Reich der Mitte und dann der Opiumkrieg 1840 mit dem "Frieden von Nanking" und dem Niedergang Chinas durch das gesamte restliche 19. Jahrhundert, die barbarische Zerstörung des Sommerpalastes und vieles mehr bis zum Ende des 20. Jahrhunderts: auch da gibt es tiefe Wunden, die aber in Geschichtsbüchern hierzulande eher Randnotizen darstellen. Die Reparationen, die China von den Angreifern aufgezwungen wurden damals: natürlich hat das um seine Mitte ringende Reich gelernt, mit solchen "diplomatischen Winkelzügen" umgekehrter Beweislasten umzugehen. Bis heute. 
"Pures Silber. Oder: Wie China zur Weltmacht wurde"  dokumentiert diese Entwicklung sehr spannend.
Nicht nur in Deutschland sollte man endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass "globale Geschichte" nicht mit der Dampfmaschine oder der französischen Revolution beginnt. Und schon gar nicht mit den nationalen Katastrophen Deutschlands. Dass es aber erforderlich ist, endlich diese Geschichten in einen neuen Rahmen zu stellen.
Und somit auch neu zu schreiben. 

 

 

 

 

 

 

12.-21.05.2020

Aus dem Schatten der Krise heraus: wohin?

 

Ein letztes Essay hier am Ende meines am 18. Januar 2020 begonnenen "Tagebuchs in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts" hinein wird sich der Frage stellen, wohin wir von wo gehen können in der jetzigen Situation. Einer Situation, in der nicht nur ich meine Welt in Trümmern erlebe. Eine Welt, die in Argwohn, Missgunst und anderen solcher Eigenschaften oder Befindlichkeiten unterzugehen droht. In der wir uns nicht einmal Trost und Halt im anderen findend umarmen dürfen. Eine Welt aber, in der wir uns auch noch entscheiden können, ob wir den Blick von den Trümmern abwenden. Oder aber, ob wir Teile der Trümmer für einen Wiederaufbau wieder verwenden können. Sei es, indem wir sie zermahlen und das Gesteinsmehl weiter verarbeiten. Sei es, indem wir sie komplett nach Begutachtung und Bearbeiten der Bruchkanten in einen Um- und Neubau wieder aufnehmen. 

 

"Bist du ein Optimist oder ein Pessimist?" fragt eines Abends in einer Gute Nacht Erzählung der Juwelen hassende, das Juwelengeschäft der Familie weiter führende Thomas Schell seinen Sohn Oskar.
Nach zögernder Ratlosigkeit des Kleinen fährt er fort:

"Ein Optimist hat eine positive und hoffnungsvolle Einstellung. Ein Pessimist hat eine negative und zynische Einstellung." "Ich bin ein Optimist" ist die prompte Antwort des Jungen. Die Antwort des Vaters dann:

"Sehr gut, denn nichts auf der Welt ist unwiderlegbar. Jemanden, der partout nicht überzeugt werden will, kann man nicht überzeugen, selbst durch die besten Argumente nicht. Auf der anderen Seite gibt es reichlich Indizien, an die man sich klammern kann, wenn man unbedingt etwas glauben will."

Oskar ist in Jonathan Safran Foers Roman "Extrem laut und unglaublich nah" ein 9 Jahre alter, überaus klar denkender und handelnder Junge, der seinen am 11. September 2001 verstorbenen Vater in den fünf Bezirken New Yorks sucht. Und darüber hinaus. (15. Aufl. 12/ 2015, Fischer Taschenbuch Verlag, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Mai 2007, S. 293 / 294).

 

Zuletzt hat mich ein Freund darauf aufmerksam gemacht, dass Ken Jebsen wohl Unterstützung aus der rechten Szene bekommt. Dass ich dies in jedem Abspann sehen könne. Mit einem anderen Freund, der an der stetigen "Alternativlosigkeit" des Status Quo gerade in dieser Situation unseres gemeinsamen Gefangenseins einmal mehr verzweifelt, hatte er einen heftigen Streit in meinem Beisein. Als ich den Erst genannten darauf aufmerksam machte, warum man sich immer so auf einzelne Themen und einzelne "Ketzer" stürze, aber bei den "Alternativen" zwar manchmal zuhöre, aber "Klassenkampf" oder wie man dies auch immer nennen mag in erster Linie die Bekämpfung und Ausgrenzung von anderen betreffe, da bekam ich keine Antwort. Dazu muss ich auch sagen: ich sehe mir den Abspann oft gar nicht mehr an. 

Ein anderer "strammer Linker" verwies darauf, dass zur "Überwindung des derzeitigen Kapitalismus" ein fortschreitender innerer Verfall und gleichzeitig das Moment eines heftigen Stoßes von außen mit der Abrissbirne erforderlich sei. Er sagte auch, "dass eine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus derzeit nur in vagen Umrissen existiert. Deshalb ist es grundfalsch, dem Wünschbaren den Rang eines wahrscheinlichen Zukunftsszenarios zu verleihen.“ 

 

Der Verfall des Gebäudes scheint aber weit fortgeschritten. Der Zutritt zum Haus ist aufgrund der inneren Mängel schon nur noch unter erhöhten Vorsichtsmaßnahmen erlaubt. Haus-, Bauordnung und Sigeko finden da kaum noch gemeinsame Regelungen beim Umgang mit der Ruine. Die Abrissbirne von außen muss noch warten. Nicht einmal ein Kostenplan, geschweige denn eine Projektsteuerung ist auszumachen. Der Verfall ist gar kein Thema.
Ein kleines Virus jedoch lässt keine Gemäuer erbeben.
So boshaft und gefährlich dieses Virus auch sei. Weil jede klar abwägende Rationalität in der Berichterstattung fehlt? Vor allem: jegliche die ganze Gesellschaft mit der Vielfalt von Lebensentwürfen und Sachzwängen darin betrachtende Sichtweise? Zudem über Deutschlands Grenzen hinaus? 
Wird aber dabei nicht allzu deutlich, dass da ganz andere Themen vorherrschen? Dass auch Virologie und Epidemiologie und ihre Vertreter keinen gesamtgesellschaftlichen Plan haben? Dies aber stetig fordern und bisweilen gar in geradezu absolutischer Manier behaupten? Während ganz andere verschlafene Tendenzen die Ruine weiter zerschießen? Im Dauerbeschuss? 

 

In Zusammenhang mit Ken Jebsen und seiner Selbstdarstellung zitiert ein Anderer Herbert Marshall McLuhan: "The Medium ist the message". Das Medium selbst ist also die Botschaft. Mcluhan spricht auch vom "Globalen Dorf". Dieses ist schon längst zur "Globalen Stadt" geworden, seit spätestens im Jahre 2007 mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten, oder vielfach "dorfartigen Agglomerationen auf urbanisiertem Grund und Boden" lebt. 

Wenn das Medium also die Botschaft ist, was ist dann das Medium der Politik der "liberalen Demokratie" als Organisationsform von Staat und Gesellschaft? Zumal zum jetzigen Zeitpunkt? Welche Botschaften vermittelt Politik über welche "magischen Kanäle", um hier nochmals einen anderen Titel Marshall McLuhans einzubringen?

McLuhan unterscheidet auch grundsätzlich zwei Arten von Medien: "heiße" und "kalte".

"Die Detailarmut kalter Medien verlangt Ergänzung und Vervollständigung der Mitteilung  vom Rezipienten, diese Medien erfordern persönliche Beteiligung des Publikums."

Sprache und Telefon gehören zu diesen "kalten Medien". Die "magischen Kanäle" fassen eigentlich posthum 1995 das Werk des 1980 verstorbenen kanadischen Denkers zusammen.
Das Internet mit seinen entsprechenden vielfältigen Kanälen erlebte dieser große Mensch nicht.
Er nahm es aber weit vorweg. In einem Artikel von 2008 nimmt in der Zeit-online Community idog auch die "Gutenberg-Galaxie" Mcluhans wieder auf. Der Artikel ist nicht mehr auffindbar. 

Was fällt also durchs Netz, welche "heiße" oder "kalte" Nachricht? 

 

Welche Kanäle prägen also die heutige Politik? Wieso existieren keine "Alternativen" zum "Kapitalismus"? Welche Bauart weist dieses Gebäude auf? Ist es also heile und ein strahlend schönes Stück Baukunst? Ein unauffälliges Mietshaus in einer städtischen Blockrandbebauung? Ein Gushof in einem dörflichen Weiler? Oder handelt es sich um eine zerschossene Ruine? Hier wie dort? In einem stetigen Verfallsprozess befindlich. Der Verfall beschleunigt durch "Flächen- und Punktbombardements" gleichermaßen im globalen Wirtschaftskrieg und in vielen heißen Kriegen an anderen Orten?

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Dominanz des Wortes "Corona" als Erklärung und als verknüpfendes Element für alle Vorgänge, die derzeit vonstatten gehen? Gibt es ein Wechselspiel von "heißen" und "kalten" Medien in diesen Tagen, die uns, das Publikum dabei stetig in Befangenheit halten? Die aber auch wesentliche Teilelemente von "Wahrheiten" in diesem stetigen Wechselspiel immer weglassen und uns also zur Ignoranz verpflichten? Oder aber aufhetzen sollen, weil viele einfach überfordert mit diesen Dingen sind?
Zumal wir ja sonst im Nu zu "Verschwörungstheorien" greifen müssen, die eben auch abwägende und ausgleichende Gedankengänge zur jeweiligen Botschaft des "heißen" oder "kalten" Mediums hervorbringen? Wie entkommen wir dieser Gefangenschaft?

 

Die Umweltbewegung, hierzulande im Parteienspektrum vertreten durch die Grünen erlebte einen wesentlichen Auftrieb durch die unerschütterlich stoische Haltung einer damals 16 Jahre alten jungen Frau aus Schweden und die Schülerbewegung "Fridays for Future" in ihrem Gefolge. 

Die "soziale Bewegung" indes weist kaum diese Momente und Impulse auf. Beide Themen jedoch sind nur gemeinsam zu lösen. So wie eine "globale Krise" nur als "globale Krise" zu bearbeiten ist, sind die damit einhergehende "Umweltkrise" und die "soziale Krise" auch nur jeweils als solche zu bearbeiten. 

Welche "Alternativen zum Kapitalismus" existieren, wenn die Opposition sich medienwirksam letztlich derselben Mittel bedient wie die Regierung?

 

Glaubwürdige Alternativen zum Kapitalismus existieren in vielerlei Erfahrungen von ganz vielen Seiten. Diese pragmatischen Auswertungen des Gemachten liegen weit entfernt von dem "Wünschbaren", das sich in Form des "Business as Usual. Wird schon gut weitergehen wie bisher" darstellt.
“Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better."

"Du hast es schon mal versucht. Du bist schon einmal gescheitert. Kein Thema. Versuchs nochmal.
Scheitere wieder. Scheitere besser."
Der Titel von Samuel Becketts "Worstward Ho!", das vorletzte publizierte Werk des irischen Querkopfes, aus dem diese Textzeile stammt  ist eigentlich nur sinngemäß mit "Schlimmer geht immer!" zu übersetzen. 

 

So wie es "heiße und kalte Medien" als Sender gibt, so gibt es auch "heiße und kalte Wahrnehmungen" beim Empfänger von Medienbotschaften. Zumal im damit einher gehenden stetigen Wechselspiel des Informationsflusses. Argwohn und Missgunst sind da vielleicht als "kalte", Hass und Gewaltbereitschaft bis hin zu blinder Wut als "heiße Ausdrucksformen der Angst" zu bezeichnen. Diese können situativ über entsprechende Reize verstärkt oder abgeschwächt werden. Die momentane "Befindlichkeit" des Empfängers selbst bestimmt den Kern seiner oder ihrer Aufnahmefähigkeit. Die "Impfung" von außen durch "heiße und kalte Medien" beeinflusst maßgeblich "aktive und passive Steuerung von heißer und kalter Angst" und den Umgang des Empfängers damit. Steter Tropfen höhlt auch da den Stein. 

 

Wie gut, dass es da endlich auch viele Stimmen von außen gibt, die auf ihre klug vereinende Art mahnen. Sei es Helge Schneider aus Mülheim an der Ruhr hier, der sagt, nur als "Auftreter" auf der Bühne könne er seine Kunst darbieten, nicht vor Autos und maskierten Menschen mit 1,5 Meter Sicherheitsabstand. Wer Helge jemals live auf der Bühne erlebt hat, der weiß, was er meint. Er ist ein begnadeter Künstler, der mit seinem Publikum agiert. Ein "Arbeiter", der seine Bühne und uns, sein Publikum braucht, wie er ja auch selber sagt. Wie so viele "Bühnenarbeiter", Künstler, Kulturschaffende, Clubbetreiber mit großen und kleinen Bühnen. Menschen, die angemietete Räume füllen mit Leben, mit Kunst aller Art, mit Kultur, mit Musik, mit Tanz. Angemietete Räume, die menschenleer und blutarm eher traurige Einöden sind.

Etwas, was auf Fußballprofis, von denen man keine Stimmen zu "Geisterspielen" in der DFL gehört hat scheinbar nicht zutrifft. Merken die eigentlich nicht, dass sie ohne Fans gar nichts sind? Oder haben sie alle einen Maulkorb, weil es letztlich um die 300 Millionen Euro Fernsehgelder geht?

 

Auch Senator Bernie Sanders ist nach seinem Abschied von der Gegenkandidatur zu Trump am
3. November gemeinsam mit der Minnesota Abgeordneten Ilhan Omar mit einem von mehr als 300 Politikern aus aller Damen und Herren Länder erst unterzeichneten Aufruf an IWF und Weltbank zum Schuldenerlass der ärmsten Länder der Welt wieder aufgetaucht.
Ein sehr, sehr richtiger und wichtiger erster Appell dieser Art. Viele spanische und lateinamerikanische Politiker gehören zu den mehr als 300. 
In Anbetracht der Tatsache, dass damit ein erster massiver Schritt zum Umbau des gesamten Systems als "globaler Schnitt" getan wird eine ganz entscheidende Maßnahme. Die damit weitere Grenzen öffnet. Auch im von "heißen und kalten Medien" allzu oft in diesen Tagen eingegrenzten Denken. 

Ein globaler Schuldenschnitt und Neuaufbau eines Systems, in dem soziale und ökologische Schwerpunkte globalen Handel und Austausch bestimmen ist letztlich erforderlich. Das geht nicht mit Gängelung und kleinlichen Verboten und Verzichtsgeboten, sondern das geht einher mit viel lokaler Arbeitskraft, die zu Auf und Umbau örtlicher Infrastrukturen und des Gemeinwohls erforderlich sind.
Und mit der entsprechenden Würdigung und fairen Entlohnung dieser Arbeitskraft. 

 

Der Aufruf "Demokratisiert die Wirtschaft!", ursprünglich von Isabelle Ferreras, Dominique Méda und Julie Battilana in "Le Monde" veröffentlicht, dann von über 4000 Wissenschaftlern weltweit gegengezeichnet und hier in der "Gegenblende" in deutscher Übersetzung dargelegt widerspricht deutlich dem visions- und alternativlosen Beharrungsvermögen vieler "Linker" hierzulande. Wichtig ist es, die Dinge gemeinsam und über den Tellerrand hinaus zu betrachten.

Warum hat man in Deutschland so große Angst vor solchen Blicken?

Solchen Ausblicken auch? 


Der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva hat die Tage angekündigt, dass sein kleines, sicher nicht reiches Land bereit ist, 500 allein fahrende Kinder und Jugendliche aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. Auch solche Vorstöße weiten die in Europa gefesselten Diskurse auf. 
António Costa, der portugiesische Regierungschef gehört nicht zu den Erstunterzeichnern von Sanders und Omars Aufruf. Wohl aber Jeremy Corbyn und Diane Abbott als führende britische Labour Abgeordnete. Und zumindest Corbyn ist auch ein guter Freund Costas.
"Solidarität" wächst also auch auf anderen Ebenen weiter. 

 

Das in lokalen Ängsten gefangene Denken in der "Corona-Krise" weckt Urängste vor den vielfach verdrängten persönlichen Themen Krankheit und Tod. So sind es auch vermehrt in diesen Tagen "kalte Medien", die auf einen "heißen Nährboden beim Rezipienten" treffen. Etwa wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum "neuartigen Corona-Virus", die ohnehin verwirrte und überforderte Menschen ohne Vorkenntnisse in Sachen Anatomie, Physiologie und Pathologie einmal mehr in Panik versetzen. Tobias Huber, Nephrologe und Internist am UKE, also der Hamburger Uniklinik hat festgestellt, dass SARS CoV-2 (19) viele Organe befallen kann, bevorzugt neben der Lunge auch Nieren, Hirn und Leber. Abgesehen davon, dass ein "kluges Virus" sich "seine Schwachstellen und Angriffspunkte bei seinem Wirt" sucht absolut nichts Neues unter der Sonne.

Bei der Tuberkulose ist es zwar ein Bakterium, aber das Leiden, das Thomas Manns Romanhelden Hans Castorp auf den Zauberberg entführt kann neben der Lunge auch bevorzugt die Nieren befallen.   
Viele Mediziner freuen sich ja wahrscheinlich auch, dass ihre Forschungsarbeit nun auf so breites Interesse  in der Öffentlichkeit trifft. Andere, so wie Rechtsmediziner Klaus Püchel, der wie Huber am UKE in Hamburg lehrt und arbeitet indes schlagen ja eher besonnene und mahnende Töne an
Es ist vielmehr so, dass die "kalte wissenschaftliche Aussage" Hubers in der medialen Fokussierung auf das "Pandemie-Geschehen" als Ursache für alles derzeit aufgeheizt wird im alltäglichen Streit um Deutungshoheiten. Das "Post-faktische" im "Post-Demokratischen Diskurs" macht jedes "kalte Medium" bald zum "heißen Medium". Ob dies so beabsichtigt ist oder war: das lässt sich derzeit kaum sagen. Es handelt sich um "Herdenphänomene". Der "Herdentrieb" wird jedoch maßgeblich immer durch "Leitwölfe und Schäferhunde" bestimmt. Letztere Abkömmlinge des Wolfes sind ja zumeist auch von Schäfer oder Schäferin abgerichtet. Wenn dies ein anderer für den Anführer der Herde getan hat, dann unterliegen die Schäferhunde zumindest ja der Befehlsgewalt von Schafhirt oder -hirtin. Ihr Verhaltenskodex wird also maßgeblich bestimmt durch die Weidegründe der Herde. Den Boden, auf dem das Gras da wächst. Den Boden, der durch Regen und Grundwasser, aber auch durch Blut und andere Substanzen genährt wird.

 

Wieso werden der Meldung von Hubers Forschung nicht auch die Ergebnisse isländischer Forscher zur Seite gestellt, die deutlich die verschiedenen lokalen Mutationen des Virus in ihrer Arbeit differenziert haben: SARS-CoV 2 (19) aus Wuhan sieht anders aus als sein Bruder in der Lombardei und auf ihrer Reise in die US hat ihre Schwester sich nochmals gänzlich verändert, ist aber in den primär afroamerikanischen Opfern dort im Kern immer noch dasselbe Virus. Afroamerikanische Opfer, deren genetische Disposition sie leider wohl auch durch Jahrhunderte der Rassendiskriminierung maßgeblich geschwächt hat.

Pandemische Mutationen erfordern kluge und abwägende Antworten des Wirts dieses Krankheitserregers. Nicht aber plump verkürzte Meldung von "scheinbar wissenschaftlichen Fakten mit Alleinstellungsanspruch". Resilienz, Aufnahme- und Abwehrkapazitäten sind da wichtigere Themen der Aufklärungsarbeit als Angst und Panik, die durch kalte Verkürzung geschürt werden. Passive und aktive Impfung erfordern auch Mitarbeit des Probanden und seines oder ihres Immunsystems. 

Die Petrischale des Nährbodens der kalten wissenschaftlichen Information benötigt zur Erhitzung beim Empfänger auch einen Bunsenbrenner. Die Einstellung der Temperatur der Flamme und der Dauer der Erhitzung liegt beim Sender der kalten Botschaft.

Dies alles soll immer noch nicht das Virus per se verharmlosen. 

 

Wie kommen wir aber aus diesen scheinbar endlosen Schleifen wieder heraus? 

Es gibt unzählige Alternativen, die von den regierenden Dogmen der Alternativlosigkeit in den letzten Jahrzehnten verdrängt worden sind. Nicht nur meine Arbeiten. Auswertungen vielfachen Scheiterns. Die aber eben auch Lernprozesse beinhalten. Und diese einfordern von den Verantwortlichen über uns. 

WIR sind ganz viele. Mütter und Väter, die jetzt zu LehrerInnen im Home office werden. Zwangsläufig und nicht freiwillig. Manche machen das sicher sehr gut. Andere können das nicht (mehr). Und während manche da vom "drohenden Verlust einer ganzen Generation" nach rund zwei Monaten Schulschließung im "Lockdown" sprechen, droht immer mehr eine ganze Gesellschaft einer Art "Kaspar-Hauser-Syndrom" anheim zu fallen. Die einen mehr, die anderen weniger. Die Pandemie ist ein Katalysator.
Besser: die Angst ist ein Katalysator, der viele Prozesse des Niedergangs in der Krise beschleunigt. 

Das Einzelhandelssterben, der Konkurrenzdruck in der Gastronomie, der Niedergang ganzer Branchen, die Prekarisierung von Künstlern und Freischaffenden. Die Blasenbildung an vielen Orten, insbesondere in der Schaffung von flexibel nutzbarem Wohnraum, den die meisten gar nicht mehr bezahlen können, die Vernachlässigung der Region, der erhöhte Konkurrenzdruck insbesondere im tertiären Sektor in den Städten. Und mehr. 

 

Zum vielzitierten Thema Bildung und Bildungsarmut lohnt es sich, darauf hinzuweisen, wieviele Diskurse zum Niedergang des Schulsystems im Zeitalter bedingungsloser Austerität, der "schwarzen Null" blind folgend schlicht abgeblockt wurden: Als mein jetzt 9, bald 10 Jahre alt werdender Sohn eine "Integrationshilfe" für die Einschulung bekommen sollte schrieb ich 2016 an Regierungspräsidenten und Kultusministerium, dass eine solche "Integrationshilfe" eigentlich als feste Planstelle in jeder Grundschulklasse mit mehr als 50 % Migrantenkinder eingesetzt werden müsse. Eine als Erzieher,  Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge ausgebildete Kraft, die hinten in der Klasse sitzt und darauf achtet, welche Kinder an diesem Tage Schwierigkeiten haben, sich wegträumen, Wut und Angst nicht mehr im Zaum halten können etc. Die somit die Lehrkraft beim Unterricht vorne ganz wesentlich entlastet. Selbstverständlich bekam ich keine Antwort. Der Kapitalismus der "schwarzen Null" ist immer noch alternativlos. Auch in der Rezession werden die immer gleichen Mantras wiedergekäut. 

Systemrelevant sind nicht nur DAX-Unternehmen. Systemrelevant sind auch diejenigen, die am Boden sind. Und diejenigen, die da ihre Arbeit verrichten. Oftmals auch in mühsamer Kleinarbeit die Scherben auflesen und wieder zusammenfügen. Wenn sie ihre Arbeit noch haben genauso wie, wenn das "System" sie schon entsorgt hat. 

 

WIR sind ganz viele. Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben und nun vor einer kümmerlichen Rente stehen. Und die nun gar neue Diskussionen um die Grundrente erleben. Menschen wie Susi Neumann. Und viele andere, ohne die hier nichts laufen würde. 

 

WIR sind ganz viele. Ohnehin schon lange ins soziale Abseits gedrängte "bildungsferne Familien", gemeinhin nach einem vorbestraften ehemaligen VW-Manager und Politberater "Hartzer" genannt: WIR alle brauchen Hoffnung und Perspektiven zum (Über-)Leben. Und wir sind Probanden in einem sozialen Experiment, möchten aber nun den Versuchsleitern einige Hinweise geben. Und mehr. WIR möchten nicht ertrinken in dieser überhitzten Petrischale. WIR möchten selbst die Temperatur des Mediums dort bestimmen können. Des Mediums, vorwiegend Wassers auch, in dem unsere Kinder weiter schwimmen lernen sollen. 

 

"Wenn du fast stirbst, denkst du an Mama und Papa", sagt Manuel Bortuzzo, der über die 1500 Meter als größtes Schwimmtalent Italiens galt. Dann traf eine Kugel ihn im Rücken. In einem äußerst spannend aufbereiteten Interview von und mit Claudio Rizzello erklärt er, warum er weiter schwimmen muss. Und warum er gerade auch über diese Strecke nun, zwei Jahre danach, mit 21 Jahren längst nicht "zum alten Eisen" gehört. Im Gegenteil. Er war eben zur falschen Zeit am falschen Ort an einem Samstagabend in Roms Hafenstadt Ostia. Passiert. Ich hatte im Januar 2010 mehr Glück, als eine auch nicht für mich bestimmte Polizeikugel in Kabul meinen Schädel im Getümmel eines klug konzipierten Anschlages der Taliban knapp verfehlte. "Friendly fire" eben.

Manuel fing eine Kugel im Rücken, wenige Millimeter verfehlte diese die Bauchaorta.
Also eigentlich auch "Glück im Unglück".

Ein schöner und würdevoller Mensch.
Ich war auch Leistungsschwimmer. Vom 8. bis ca. 16. Lebensjahr.
Aber auf kürzeren Strecken unterwegs. Irgendwann hatte ich eine Art "Kachelallergie".
Rund 15 Jahre später lernte ich dann wieder das Schwimmen auf längeren Strecken kennen und lieben. Genau das, was Manuel sagt: Der Kampf dabei mit sich selbst, die allmähliche Beruhigung der Atmung nach rund 200 bis 300 Metern. Die dann erfolgte Regulierung der Sauerstoffversorgung der gesamten Muskulatur bis hinein in den kleinen Zeh. Das Dahingleiten dann mit gelegentlich aktiverem Beinschlag. 2000 Meter, nach denen man sich wie neu geboren fühlt. Auch wenn es weh tut.

Aufgrund von Lungen- und Herzbeschwerden bisher unklarer Genese kann ich dies seit rund zwei Jahren nicht mehr. Aber bei Sportlern wie Manuel Bortuzzo würde ich am Beckenrand alles geben, um sie zum Sieg anzufeuern.

 

 

Meine Lungen- und Herzbeschwerden indes haben wahrscheinlich eine wesentliche Ursache, die mein Hausarzt jetzt auch mit Kollegen intensiver quer zu diagnostizieren sucht: eine schleichend verlaufende koronare Herzkrankheit mit ständigen Mikroembolien im Lungenkreislauf. Meine genetische Disposition halt. Das dominant vererbte "alte Kriegsleiden" meiner beiden Großväter. 

Meine erste tiefe Beinvenenthrombose mit Mikroembolien unter Lysetherapie auf Intensiv hatte ich in jener Phase, als Jimi Morrison, Janis Joplin, Amy Whinehouse, Kurt Cobain und Jimi Hendrix und viele andere vor und nach ihnen von uns gingen. So wie auch zum Beispiel ein Herr Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg. Und viele mehr, von deren Ableben aber keiner Notiz nahm. 
Just am Abend des Tages, als meine Großmutter beerdigt wurde hatte ich plötzlich diese erste tiefe Beinvenenthrombose. Völlig spontan. Ohne jegliche Vorwarnung, also vorher auftretende Symptome.

 

Meine Oma, die ich mit sechs Jahren einmal habe weinen sehen. Die in diesem Moment so wie Oskar Schells Oma nichts anderes wünschte, als dass die Tränen wieder zurück in ihre Augen flössen. Oskars Oma, die bald nach der Bombardierung Dresdens nach New York ausgewandert war.

Die wie meine Oma allzu oft wünschte, dass dieser Tag endete mit dem Morgen, an dem sie aus dem Bett aufstand. Aber auch dieser Tag voller Mühen endete mit einem Abend. Einem Abend, an dem sie der nörgelnde und grantelnde Schmerz des an seinem Leben zerbrochenen Ehemannnes, meines Opas überkam. In einem Moment der Schwäche, in der plötzlich der geliebte Enkel vor ihr auftauchte, der noch gute Nacht sagen wollte. Der Ihre Tränen nur in einer kleinen, hilflosen Umarmung in dieser in diesem Moment überwältigend großen Küche trocknen konnte. Was ihren Fluss gar noch beschleunigte. Tränen, die zurück in die Augen fließen sollten. 

 

 

Seitdem habe ich immer wieder Thrombosen und kleine Embolien gehabt. Alle Medikamente zur Blutverdünnung vertrage ich auf Dauer nicht. Also erzählt mir nichts von "Risikogruppen des Virus". Wenn es darum geht, dann bin ich das wahrscheinlich in mehrfacher Hinsicht.

Wir alle sind als Menschen sterblich. Auch unsere tierischen Freunde müssen irgendwann in die ewigen Jagdgründe gehen. Alles andere wäre die Hölle auf Erden

Das stockende, in den Adern erstarrende Blut, der gestörte Fluss des Lebenssaftes: nicht nur beim "Urvater westlicher Medizin", Hippokrates von Kos spricht das für "stagnierende Lebensumstände". Paracelsus hat diese seine "Säftelehre" später wieder aufbereitet. Auch traditionelle chinesische Medizin spricht von "gestörten Energieströmen" in solchen Fällen. Da geht's dann eben um "Drachen und ihre Energiefelder". 

In jedem Falle geht es um Hoffnung und Perspektiven. Darum zum Beispiel, dass unsere Kinder noch Chancen haben, eine für Menschen bewohnbare Welt zu erleben. Und diese selbst weiter bewohn- und erlebbar zu machen. 

Manche Wissenschaftler sprechen von rund 10, andere von rund 30 Jahren bis zum "Kipppunkt" der Erdatmosphäre. Bis also weite Teile des Planeten unbewohnbar und diese Vorgänge unumkehrbar werden. Sagen wir also mal 20 Jahre. Dann ist das auch "Wissenschaft, auf Sicht gefahren". Auf Sicht für unsere Kinder. Oder ist es so, wie manche jetzt wieder im Schatten der Krise sagen: wer Kinder in die Welt setzt, der ist hauptverantwortlich für den Klimawandel? Seltsam, welche Stimmen wie laut werden in solchen Zeiten. Und wie da die Barbarei hoffähig wird.

 

WIR alle werden für unsere bescheidenen Leben kämpfen müssen. Hier genauso wie in den US. Wie in China. Wie überall, wo "Krisen" verschärft werden durch "falsche Flaggen", unter deren Namen verdeckt wird, dass es bei der "Krisenbewältigung" nur um bedingungslosen Machterhalt der maßgeblichen "Krisenverursacher" geht. Ob in den Slums von Kalkutta und im umkämpften Kashmir  oder an der Kriegsfront in Idlib und an anderen Orten in Syrien, ob im UNESCO-Weltkulturerbe Schibam mit seinen bis zu 12-geschossigen Lehmhäusern oder in Sanaa im Jemen, ob in Kabul oder in Kandahar, ob in Tripoli oder Benghazi, ob in Berlin oder in Wanne-Eickel oder in Mülheim an der Ruhr, wo ja die Grenze zwischen Nord und Süd des Aldi-Imperiums gezogen wird: es geht derzeit nur darum, die Themen der "Krisenbewältigung" weiter nach unten durchzureichen. 

Oder denkt einer der "alternativlosen Linken" einmal daran, endlich dem Steuerzahler zu ermöglichen, seine oder ihre Steuererklärung mit der Option zu versehen, dass der Anteil für Krieg und Rüstung stattdessen für Aufbau von Resilienz und Infrastrukturen an Einsatzorten deutscher Soldaten und deutscher Rüstungsgüter verwendet wird? Ein Vorschlag, den unsereiner auch schon 2010 gemacht hat. Der wie so vieles im "alternativlosen Getöse" unterging. 

 

Der "EU-Wiederaufbauplan" zwischen Frankreich und Deutschland, der in der Zeit unter der Überschrift "Endlich wieder Liebe" kommentiert wird: In Anbetracht der Tatsache, dass der 500-Milliarden Wiederaufbaufonds über Steuern beglichen werden soll: Augenwischerei. Der Euro wird weiter zerschossen. Das Ganze ist ein kurzer Inflationsausgleich für "Schlüsselindustrien" wie Peugeot, Renault und VW, bevor sie zwischen US Black Rock und chinesischen Teilhabern verscherbelt werden. 

Zumindest bei VW ist China ohnehin schon seit mindestens 10 Jahren Haupt-Produktions- und Abnahme-Standort. Insofern waren Wuhan und die niedrigen Wachstumsprognosen für die chinesische Wirtschaft 2020 ein deutliches Signal gerade für Volkswagen. Und für die Bundesregierung.

Der "EU-Wiederaufbauplan" nun ist nur ein Tropfen im Ozean, den der oder die fleißige SteuerzahlerIn begleichen soll. Diesen wird weiterhin vorgegaukelt, dass eine globale Finanzkrise mit zerschossenen Märkten und zunehmender Inflation über "den kleinen Mann und seine Frau" bearbeitet werden kann.

Für einen "Green New Deal" bleibt da am Ende gar nichts. Das Ganze ist schon Asche, wenn sich die 27 nicht darauf geeinigt haben. Und Österreich, die Niederlande und Dänemark haben ja schon ihr Veto angekündigt. Aber: auch die US und China werden an dieser Rezession mit den Waffen des Weltwirtschaftskrieges scheitern.


Überall auf der Welt werden die Menschen um ihre jeweiligen bescheidenen Existenzen kämpfen müssen. Und wir werden gewinnen. Weil wir ähnliche Trümmer in diesen Tagen sehen wie in deutschen Städten 1945. An vielen Orten dieser Welt. Und dieses Mal waren es nicht die Deutschen, die den Krieg begonnen haben. In jedem Falle muss diese US-Regierung Demut lernen. Ignorante Politiker mit ihren "Business as usual Mantras" in Brüssel und Berlin gleichfalls. Sie sollten lernen, was es bedeutet, mit den Trümmern eines Weltkrieges umzugehen. Bevor die Dinge gar weiter eskalieren. 
Ohne die Ignoranz und Arroganz der Sieger des Versailler Vertrages 1919 hätte es vielleicht die Weltwirtschaftskrise 1929 und dann 1933 bis 1945 in Deutschland mit der Katastrophe des 2. Weltkrieges gar nicht gegeben. Aber das werden wir niemals wissen. 

Das ist Geschichte. Und ihre Tragik. Die Zukunft aber ist etwas anderes. Ein Fenster der Möglichkeiten und Gelegenheiten im Strom zwischen Vergangenheit und Gegenwart. 

 

WIR wissen, dass wir diese Krise nicht versäumen dürfen, ohne eine wirkliche Veränderung zu bewirken. Ohne wirklich wieder Frieden und Freiheit herzustellen. Und soziale und ökologische Themen zu vereinen. Den wirklichen Bedrohungen entgegenzutreten. 

Wir und unsere Vorfahren haben zwei Weltkriege in unseren Knochen. Und in unserem Gedächtnis. Die Maximalverdränger dieser Geschichten indes tun so, als wäre das eine Situation, die ihre bedingungslose Kontrolle weiterhin erfordert. Wo waren aber ihre Vorfahren 1929? Was geschah mit ihren Großeltern 1933 bis 1945? Haben sie all das vergessen und verdrängt? Was dachten Ihre Eltern beim Mauerbau 1961, Frau Dr. Merkel? Warum wollten Sie, dass 2003 auch die Bundeswehr sich an einer "Koalition der Willigen" beim Einmarsch der US im Irak beteiligen solle? 

Meinen Sie nicht, dass der Kampf der Kulturen schon zu viel zerstört hat und dass WIR nun an eine neue Bewertung vieler Güter - und des kulturellen Erbes der Menschheit an diesem und an anderen Orten, global kommen müssen? Und dies betrifft sowohl Hamburg und die Ueckermark: Orte, die Sie als Heimat empfinden, als auch Simmern im Hunsrück, die Steiermark, Palermo auf Sizilien, Feni in Bangladesch, Sidi Bel Abbes in Algerien und Kart-e-Parwan in Kabul, San Francisco in Kalifornien: Orte, die für mich Wohnort und Heimat und der Herkunft meiner Vorfahren und meiner Familie sind und waren.
Und Düsseldorf, neben Jacksonville, Florida, der Heimat eines afghanischen Freundes, "Afghane vom Blut her, 'weißer reaktionärer Hinterweltler' durch die Gnade Gottes" die einzige "Großstadt" der Welt, die mir bekannt ist, die das "Dorf" im Namen trägt. 

 

 

Am 18. Januar 2010 waren diese drei hier im nächsten Bild unter meinen wichtigsten "Bauherren".

Besonders die Älteste der drei in der Mitte habe ich häufig fotografiert. Obwohl sie bereits in der Pubertät war sah ich sie niemals einen Hijab tragen. Ob die anderen beiden Schwestern oder Cousinen sind: ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, das ist, dass es in Deutschland nie jemanden von offizieller Seite gab, der danach fragte, was es bedeutet, in Murad Khane, einem von Krieg und Staatsbankrott verwüsteten Teil der Altstadt Kabuls zu arbeiten. Warum ich das tat, das interessierte erst Recht niemanden. Dass ich Anfang Dezember 2009 der erste Mitarbeiter einer "Nicht-Regierungsorganisation" war, der die Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr suchte: auch das interessierte niemanden. Die da jetzt von "Helden des Alltags" sprechen: werden sie diese unterstützen auch beim Kampf für bessere Bezahlung, bessere Würdigung also ihrer "systemrelevanten" Arbeit? Bessere Ausrüstung auch der regionalen freiwilligen Feuerwehren? Größere Anerkennung also der wichtigen Arbeit auch dieser kommunalen Organisationen in der Jugendarbeit?

 

 

Als an diesem Morgen um 9 Uhr rund 50 Meter vom rechten Bildrand hier die ersten Sprengsätze losgingen stand ich auf einem Gerüst mit diesem Ausblick. Ein "Maidan", eine Kriegszerstörte Fläche in einem dicht bebauten Altstadtgeviert. Das Hofhaus der Familie der drei Mädchen liegt auch rechts am Bildrand. Unser Punkt- und Flächenaufmaß der knapp vier Hektar Altstadt stand kurz vor dem Abschluss. Am 31. Januar hatte ich alle Ausführungspläne für eine gravitationsbasierte Kanalisation mit Low-Tech-Kläranlage am Flussufer "meinem" Wasserbau-Ingenieur in Berlin zugesagt.Ob es noch mehr Projekte dieser Art weltweit in "dorfartigen Agglomerationen auf urbanisiertem Grund" gab, die maßgeblich auch "Kriegsursachen bekämpften" - das weiß ich nicht. Das interessiert in Deutschland erst Recht niemanden. Was diese drei Mädchen jedoch betrifft und viele ihrer AltersgenossInnen dort in Murad Khane, jenem Altstadtviertel Kabuls: ich wüsste so gerne, was sie heute denken und fühlen. Wo sie heute sind.

 

Als mehrere Taliban die Dächer "unseres Viertels" als Fluchtwege benutzten, beobachtete ich die im unteren Bild dargestellte Fläche von meinem Standpunkt aus. Erst als ich sah, dass keine der Kinder mehr draußen spielten und alle in den Hofhäusern halbwegs "sicher" waren, ging ich hinunter und gesellte mich zu den Arbeitern, die zurück in das Hofhaus gingen, wo unsere Ingenieursabteilung und unsere Büros und Pausenräume waren.

 

Später, so gegen 11 Uhr war mir bei andauernden Gefechten klar, dass ich mindestens drei Tage nicht mehr hier arbeiten können würde. Meine Unterlagen zur weiteren Arbeit jedoch befanden sich im Büro. Also schlich ich unbemerkt auch von unseren afghanischen Sicherheitsleuten in einer Gefechtspause aus unserem Versteck, ging die schattige Treppe hinauf und musste dann eine Terrasse im ersten OG überqueren, um unser Büro mit Laptop und allen Unterlagen zur Komplettierung des Aufmaßes zu erreichen. Als ich aus dem Schatten der Treppe ins Licht der Terrasse kam, bemerkte ein Polizist, ca. 8 Meter entfernt auf dem Dach des gegenüberliegenden Teils des Hofhauses mich und legte an, verfehlte mich aber mit einem Schuss aus seiner kleinkalibrigen Pistole knapp. Natürlich ging ich unbeeindruckt weiter, holte die Sachen und ging dann wieder hinunter. Später dann, gegen 13 Uhr wurden die drei ortsfremden Architekten und Ingenieure von einem unserer Fahrer evakuiert. Reza fuhr wie immer unglaublich konzentriert und sicher durch die leeren Straßen der vor Schreck gelähmten Stadt. 

Wahrscheinlich habe ich dem Polizisten genauso einen Schrecken eingejagt wie er mir. Aber was soll's.
Er hat gut und richtig reagiert. 

 

 

Allen Entscheidungs- und Abwägungsprozessen liegen entsprechende Risiko-Kalkulationen zugrunde. Auch politische Entscheidungen und deren mediale Vermittlung bedürfen dieser Berechnungen. 

Mit der chinesichen Pandemie-Meldung an die WHO und der Ausgangssperre in der 11-Millionen-Stadt Wuhan und bald auch anderer Städte dort im reichen Osten Chinas war klar, dass die deutsche Automobilindustrie und ganz besonders Volkswagen aufgrund des Zuliefer- und Nachfragestaus in die Knie gehen würden. Jede Regierung nutzt die Pandemie in ihrem Rahmen zu ihren Zwecken.
Das ist menschlich. Allzu menschlich. Aber die Synergien verschiedener Momente von sich überlagernden Vorgängen sprechen verschiedene Sprachen. Dass Statistik und "Unstatistik" nicht weit voneinander entfernt liegen, das weiß man nicht nur am RWI in Essen.
 

Auch als ich nach meiner Arbeit 2011/12 zur Vermittlung zwischen deutschen und chinesischen Partnern im schönen Hangzhou über die gigantischen Dimensionen und Verwerfungen der chinesischen Immobilienblase berichtete, da wurde mir in Deutschland der Mund verboten. 

 

Nicht nur in den letzten 10 Jahren habe ich deutsche Behörden als alles andere als "Fürsorglich" erlebt. "Empathie" hat im deutschen Beamtenwesen nur selten einen Platz. Auch im Alltag wurde mir immer wieder mit Häme und Verachtung begegnet. Insbesondere nach meinem Austritt hier aus der SPD, in dem sich manche ermutigt fühlten, mir ihre Urteile über mich entgegen zu schleudern. In einem Falle war es wahrscheinlich die Äußerung meinerseits, dass ich schon manches Pferd habe kotzen gesehen, die mir den Vorwurf der "Überheblichkeit" einbrachte. 

Der inflationäre Gebrauch des Wortes "Verschwörung" mit allerhand anderen Zusätzen spricht derzeit wieder für sich. Sind es "eiskalte Medien" als Sender, die da die Empfänger "überhitzen" wollen?

 

Oskar Schells Opa, der zusammen mit seinem Enkel am Ende seine Briefe an den am 11. September 2001 in den Trümmern des Nordturms des World Trade Centers in New York verstorbenen Sohn, Oskars Papa Thomas begräbt sagt dabei in seiner stummen Sprache zu dem 9-jährigen Enkel:

"Das Leben macht mehr Angst als der Tod." (J.S.F. "Extrem laut und unglaublich nah". S.o. S. 432)

 

Die Landesregierungen und die Bundesregierung in Berlin sind uns den Beweis schuldig, dass wir nicht bereits in der dritten Diktatur auf deutschem Boden seit 1933 leben. Diese Beweisführung sind deutsche Politiker in Berlin, Brüssel und anderswo auch der Würde und der Freiheit unserer Nachgeborenen schuldig.

 

 

 

 

 

11.05.2020

Im Schatten der Krise (2): Die Nerven liegen blank

 

Auch meine. Das Chaos ist groß. Ich persönlich habe mein Leben lang versucht, eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Die Zukunft als aus der Gegenwart heraus sich öffnendes Fenster. Für uns. Und mit uns meine ich: meine Familie, ganz besonders meine Kinder. Und meinesgleichen. Menschen, die arbeiten wollen aus denselben Gründen. Die somit ein bescheidenes Leben für sich und ihre Liebsten ermöglichen wollen. Rücksichtnahme und Respekt ist und war immer eines der wichtigsten Prinzipien im Umgang miteinander. Auch gegenüber Menschen, die mich zuerst etwas befremden. 

 

Ich sehe immer mehr davon in Trümmern. 

Mein Leben lang habe ich in Lernen und Bildung viel Zeit und Mühe investiert. Ursprünglich wollte ich Theaterregisseur werden. Dann wollte ich Kunst studieren. Beuys' "erweiterter Kunstbegriff" und die "soziale Plastik" von hier haben mich immer fasziniert. Durch den Zivildienst in der Krankenpflege bedingt merkte ich, dass ein "gefährliches Halbwissen" über Anatomie und Physiologie, über körperliche und geistige Themen von gesundem und krankem Menschsein und -werden mir nicht ausreichten. Ein Medizinstudium schien mir aber zu lang. Als "Entscheidung für's Leben". Also machte ich eine Krankenpflegeausbildung. Gerade das Thema der Sterbebegleitung wurde mir dabei sehr wichtig. 

Als ich bald nach dem Examen dann ein Architekturstudium begann, finanzierte ich dies auch anfangs über Nachtwachen in der Pflege. Damals war AIDS ein wichtiges Thema. Die Isolationsstation in der Uniklinik meiner Heimatstadt, in die ich wieder zurückgekehrt war, war gut ausgestattet. Auch mit Hilfe vielfältiger privater Spenden. Damals gab es einen Moment, in dem ich dachte, das Studium sausen zu lassen und dort weiter zu arbeiten. Gerade das Thema Sterbebegleitung zu vertiefen dabei. Auch ich hätte einer dieser meist jungen Männer sein können, die dort starben. Die ich vorher pflegte und deren Hand ich hielt, deren Freunde und PartnerInnen ich zum Trost umarmte, wenn ihre Atmung abflachte und dann ganz erlosch. Ich war zwar nicht schwul. Aber viele Freunde von mir waren eher dem gleichen Geschlecht zugetan. Und diese Entscheidung war ihre Wahl. Und sie respektierten ja auch meine Wahl. Was ich machte und tat war genauso in Ordnung wie das, was sie machten und taten. 

 

Auch andernorts habe ich viele "Krisensituationen" meistern müssen. Eine hohe Resilienz und ein gutes Immunsystem halfen mir immer dabei. Sei es die Hepatitis B, die ich mir wahrscheinlich im Zivildienst zugezogen hatte und die Jahre später bei einem Test diagnostiziert wurde. Mit dem bestmöglichen Ergebnis: hoher Antikörpertiter, Antigen negativ, also nicht ansteckend. Nur Blut spenden durfte ich danach nicht. Grippe-Erkrankungen bedeuteten einen Tag plötzlicher Schwächung mit hohem Fieber, ein Zusammenbruch ins Bett mit am nächsten Morgen völlig durchnässter Matratze, dann Weiter schlafen, aber vermehrtes Trinken insbesondere von Literweise aufgekochtem Ingwer und Zitrone mit Honig dazu. Dann eine weitere Nacht im frisch gemachten und durchlüfteten Bett nach kurzem Aufstehen dafür:
am nächsten Tag war ich dann allmählich wieder fit. 

2010 starb mein bester Freund und Mitbewohner aus Heidelberger WG-Zeiten, der jetzt in Berlin gewohnt hatte. Der, wie er selbst auch immer verschmitzt sagte, großmütige "Fiesiker", der in Hannover geboren und im Schwabenländle aufgewachsen war. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle kombiniert mit medizinischen Fehlentscheidungen, die den Vater der Berliner Freundinnen meiner Tochter hinwegraffte. Meine erste Grabrede zur Überwindung unserer Trauer. Letztlich steht man immer der eigenen Sterblichkeit am offenen Grabe gegenüber. 
Bald zehn Jahre her.

 

An meinem Arbeitsplatz in Hangzhou in China 2011 / 12 hatte ich zwei schwere Grippeerkrankungen. Sie dauerten jeweils rund einen Tag länger als "normal". Ob es sich um SARS oder MERS handelte: keine Ahnung. Die erste SARS-CoV-Pandemie trat 2002 / 03 von Südchina ausgehend auf. Ich war zwar beide Male im Frühjahr 2012 kurz in der Ambulanz einer dortigen Polyklinik. Habe aber keine Unterlagen darüber. Das Thema "Kreuzimmunität" wäre sicher sehr interessant in diesem Zusammenhang für die Forschung. Zur Testung. Auch für mich. Aber ich musste immer "die Füße still halten". Ich bin kein "Systemrelevanter Fußballprofi" oder so was. Insofern interessiert das auch keine(n). 

 

Natürlich habe ich in Afghanistan 2009 / 10 auch andere "brenzlige Situationen" erlebt. Und ich habe Menschen erlebt, die für andere einstanden. Ob mit oder ohne Waffe. Großartige und sehr warmherzige Menschen. Gute Freunde. Auf allen Seiten.

Aufgrund der hohen Achtung und dankbaren Zuneigung, die ich gegenüber "bewaffneten Sozialarbeitern" empfinde und von ihnen erlebt habe, würde ich heute nicht mehr den Wehrdienst verweigern. Zumal als "Kampfsportler" - Kampfkünstler, wie man im Englischen sagt. Die meisten Soldaten, ganz gleich welchen Landes Uniform sie tragen sind so wie viele von uns immer nur "Kanonenfutter" für andere. Für mächtige Menschen. Politiker. Monarchen. Machthaber.

Zu allen Zeiten. In allen Kriegen. 
 

Teil 14 von 14 der Dokumentation "The War - der 2. Weltkrieg aus Sicht der USA"  trägt den Titel:

"Eine Welt ohne Krieg". Wie Ken Burns dort aus Sicht von Bürgern von vier US-Provinzstädten das Geschehen auf einigen der tausenden von Gefechtsfeldern der Katastrophe von 1939-45 zeigt:
das ist großartiger Geschichtsunterricht.
75 Jahre ist das her. Die rote Armee befreite damals letztlich Berlin. Auch wenn Stalin ein fürchterlicher Diktator war: Die Sowjetunion hatte an der Ostfront den größten Blutzoll für Hitlers Größenwahn und verletzten deutschen Nationalstolz in Folge der Versailler Verträge nach dem 1. Weltkrieg zu zahlen. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum 75. Tag der Befreiung am Freitag,
8. Mai 2020 in Berlin das nicht erwähnt, weil nach Kaltem Krieg 2.014 die Annexion der Krim durch den Rechtserben der Sowjetunion ein Verstoß gegen das Völkerrecht sei, ist eine abgrundtiefe Beleidigung der Völker Russlands.
Und vieler Familien von den mindestens 27 Millionen sowjetischen Opfern des
2. Weltkrieges. Ein souveräner und versöhnlicher Umgang mit Geschichte und beiderseitiger Schuld und Sühne darin sieht anders aus. Eine solch bewusste Auslassung steht 75 Jahre nach Ende des Grauens einem deutschen Staatsoberhaupt nicht zu. Das ist widerlich infam. 

 

Zumal, wenn man in Erwägung zieht, was nach dem Einsturz und Fall von drei Hochhäusern des World Trade Center-Komplexes in New York City am 11. September 2001 geschehen ist. Die Twin-Towers waren ausgelegt für den Aufprall einer voll betankten Boeing 707, zur Bau- und Planungszeit der beiden damals höchsten Häuser der Welt das größte Verkehrsflugzeug der Welt. Die beiden in die Türme hineingerauschten B 767 waren das Nachfolgemodell der 707. World Trade Center 7, das in annähernd freier Fallgeschwindigkeit am Nachmittag des selben Tages einstürzte stellt den ersten und einzigen völligen Zerstörungsfall eines Gebäudes dieser Bauart - ein 47-geschossiges Hochhaus als Stahlskelett-Konstruktion mit Verstärkung und Aussteifung durch mineralische Elemente, also vorwiegend Beton und Naturstein - durch Bürobrände in der Baugeschichte und der Physik dar.
Ein Artikel im Philadelphia Inquirer von Mike Sielski hat mich in diesem Zusammenhang zutiefst bewegt: "Wie Kobe Bryant's Tod Bobby McIlvaiine, einen Sportler, einen Mitschüler, einen Freund, den ich besser hätte kennen sollen wieder zum Leben erweckte." Eine verschüttete Videoaufnahme eines High-School Basketballspieles von 1992 zwischen den Teams des späteren Idols und des bei den Anschlägen vom 11. September verstorbenen Bobby hat die ganze Familie dort zutiefst bewegt. Bobbys Vater Bob ist mit Architects and Engineers for 911truth und vielen anderen Familien, die Angehörige in den Twin Towers verloren haben im "Bobby Mcilvaine Act" auch einer der wichtigsten Akteure zur Aufklärung und Neu-Untersuchung der Ereignisse von diesem Tage. 

Die Invasion im Irak 2003, die die ganze Region bis heute zerrüttet, kann leider auch nicht als "humanitäre Aktion" im völkerrechtlichen Sinne bewertet werden. Und Libyen, und Afghanistan und Syrien. Und und und. Haben der Westen und die NATO nicht überall auch dort die Finger im Spiel gehabt?

 

Ich persönlich habe mehr Angst vor neuen Kriegen und einer tiefen Rezession, in die wir jetzt mit denselben Vorzeichen weiter hinein und hindurch gesteuert werden sollen als vor SARS-CoV-2 (19). Die Angst und Panik jedoch, die im Zuge der Pandemie gestreut wird und zumal das "gefährliche Halbwissen", mit dem da jegliche Panikattacken weiter gestreut werden und sich verselbständigen in einer solchermaßen eingeschüchterten Bevölkerung: das befremdet mich teilweise sehr. Es wird immer schwerer, ein ruhiges und sachliches Gespräch über die Themen zu führen. Zumal, wenn zu der Keule  "Verschwörungstheoretiker" noch diese panische Angst vor Krankheit und Tod kommt. 

 

Eine wie auch immer geartete Invasion nun in Venezuela, die einen Machtwechsel in dem ölreichen Land einleiten sollte, ist sicher zu befürchten. Kluge Militärs im Pentagon wissen jedoch durchaus, dass dies zum derzeitigen Zeitpunkt größere Eskalationen auslösen kann. Auf und über den Atlantik hinüber. Der fragile Friedensprozess im Nachbarland Kolumbien, Heimat von einem meiner besten Freunde ist dabei noch das geringste Problem auf dem großen Schachbrett der Weltpolitik.

Zwar hat man sich seit 1991, dem ersten Golfkrieg bemüht, konventionelle, lokal begrenzte Kriegsführung als "machbar" und "notwendig" darzustellen. Bei den derzeitigen militärischen Machtverhältnissen und der entsprechenden Einsatzbereitschaft jedoch würde ein Krieg in Lateinamerika auch bald die USA zum Angriffsziel von vorwiegend russischen und chinesischen Flugverbänden machen. Oder von anderen "Zwischenfällen vielfacher Art" in Luft- und Datenräumen. Damit könnte sich dann bald wieder Albert Einsteins Aussage bewahrheiten: 
"Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen."

 

Wir leben weiter in bewegten Zeiten. Das wichtigste Ereignis jedoch betrifft die gesamte Menschheit und ihre Zukunft auf dem Planeten: der erstickende, überhitzte und verdurstende Planet, der unsere gemeinsame Heimat darstellt, erfordert wirklich eine "Generalmobilmachung". Nicht jedoch zur einseitigen Sicherung von Ölquellen. Sondern vielmehr zur Verstärkung unseren Schutzes gegenüber diesen Entwicklungen. Um Frieden mit unserem Heimatplaneten zu finden. Endlich Frieden.

Jeder und jede nach ihren oder seinen Kräften. 

 

Das "neuartige Virus SARS Co-V 2 (19)" ist so neu für uns wie die Herausforderung einer gemeinsamen menschenwürdigen Zukunft auf einem Planeten, der endlich unseren gebührenden Respekt, unsere gebührende Achtung einfordert. Unsere Fürsorge. Und unsere Liebe. Ob es sich nun um "Mutter Erde" oder um den Vater, der uns da diesen Planeten, seine Bewohner und die Erfahrung dort lehrt handelt. 

Wir dürfen diese Chance nicht vergehen lassen. 

Schönen Tag. Einen guten Start in die Woche. 

 

 

 

 

 

 

10.05.2020

Sein, Nicht-Sein und die Schuld daran

 

"Schulden: Die ersten 5000 Jahre." David Graebers Buchtitel wirft unweigerlich die Frage auf: wird es irgendwann eine Fortsetzung geben? Etwa: "Schulden: die nächsten 5000 Jahre?"

Ein Blick in die Kristallkugel jedoch verspricht selten mehr als Ablenkung.
Könnten es unter gegebenen Umständen auch nur 20 bis höchstens 30 Jahre sein?
Oder tritt da auch nur eine anders formulierte Angst in ihrer verletzlichen Nacktheit hervor?
Eines ist ganz sicher indes: Schuldzuweisungen an dieser Frage beantworten diese Frage selbst nicht wirklich. Und die Frage, ob und was da Optimismus, was da Pessimismus in dieser Hinsicht ist, steht genauso sinnig im Raum.
Die Situation ist per se an Absurdität kaum zu überbieten. 

 

"Fast alles hätte Sinn. Wenn es Sinn hätte." (Erich Fried)

Ist also die Bedingung des Seins das Nicht-Sein, der Tod vor Augen oder umgekehrt?
Macht die Verdrängung des Nicht-Seins jedoch als einzige Antwort, gekoppelt mit der Schuldfrage Sinn?

Wo stehen wir also? Schuldner, Gläubiger: wer ist WIR? Und:
Wer werden wir gewesen sein in 20 bis 30 Jahren? Oder früher oder später. 

 

"Das Dilemma der WHO" steht als neue Überschrift über einem Artikel im Deutschlandfunk zur Frage der Unabhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation. Die ursprüngliche Version des Beitrags wurde bereits vor 3 Jahren, Mitte Mai 2017 veröffentlicht. Im Sommer 2018 wurde der Artikel erneut als "Zeitfrage" aus dem Archiv geholt. Nun ist er wieder da. Und die Frage der Stärkung nationaler Gesundheitssysteme zum besseren Schutz der vulnerabelsten Gruppen der Menschheit gegenüber technischen Maßnahmen, an denen primär mächtige private Geldgeber selbst auch verdienen steht einmal mehr klar im Raum.

Das beschriebene Dilemma ist verfahren wie nie. 

 

Im Intercept beschreibt Naomi Klein unter dem Titel "Screen New Deal", wie der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo in Anbetracht der großen Letalitätsrate gerade unter Afro-Amerikanern in seiner Stadt "die Milliardäre ruft für den Aufbau einer neuen High-Tech-Dystopie". 

Einmal mehr kann die kanadisch US-amerikanische Verfasserin der "Schock-Strategie" exemplarisch darlegen, wie in unmittelbarer Folge von Katastrophen weit greifende Privatisierungsmaßnahmen durchgezogen werden. Hier kündigen diese Vorgänge sich erst einmal an. Die Bedrohung durch diese "Übernahme" indes wird im Moment der öffentlichen Schockstarre kaum wahrgenommen. Weder Google CEO Eric Schmidt, noch Bill Gates mit seiner Stiftung als mächtige Akteure haben da breite Interessen der Öffentlichkeit im Blick. Die Konkurrenz zu China beim Buhlen um die Weltmarktführung
ist viel wichtiger. 
Der Euro liegt inzwischen weit unter dem Dollar. 

 

Eine "neue Austerität" unter diesen Vorzeichen wird die Pandemie-Krise und Ungleichheit und Chancenlosigkeit immer größerer Teile der Bevölkerungen weltweit in der Rezession verschärfen. 

Eine "neue Einsamkeit" vor den Bildschirmen wird uns kranker machen auf Dauer als das Virus
den meisten von uns je anhaben konnte. Was das Virus selbst und seine Aggressivität und Mutationsfähigkeit nicht verharmlosen kann oder will. 

 

 

 

 

 

 

09.05.2020

Im Schatten der Krise (1): Europas Erwachen

 

Eine "Vision der Krise als Chance" kann nur über selbige Wahrnehmung dieses Vorgangs gesteuert werden. Diese Wahrnehmung wiederum muss in einen Willensbildungsprozess überführt werden. Als dritter Schritt zur Umsetzung müssen Alternativen zum "Business as Usual" ganz konkret dargelegt werden.

Diese sind reichlich vorhanden.

 

Insofern soll hier nicht über das Personal in Brüssel und Berlin und sonstwo auf dem "Alten Kontinent Europa" geklagt werden, das da weiter den ausgetretenen Trampelpfaden neoliberaler "Spar- und Ausverkaufspolitik" folgen will. Unter geänderten Vorzeichen zudem. Vielmehr sollen bestehende Alternativen konkret weiter dargelegt werden, die ein Erwachen aus vermeintlich schlafwandlerischer Sicherheit beim Balancieren auf dem Dachfirst vor dem Absturz in die nächtliche Gasse einleiten können.

 

Julie Billaud, Anthropologin in Genf hat ja schon im schönen Bild des "atmenden Planeten" die Erfordernis der Verknüpfung von sozialen und ökologischen Themen dargelegt. Im Nachgang zum vehement gestarteten Schweizer "Aufruf zum 4. Mai" spricht sie auch davon, welch ein Skandal die Privatisierung von Kliniken in der Schweiz und der damit in der Covid-19 Pandemie zu Tage tretende Mangel in einem solchermaßen reichen Lande sei.

Alleine dies verdeutlicht, welche Entwicklungen der Grundversorgung der Menschen in Europa da neu ausgelotet werden müssen: In den 1980er/ 90er Jahren war die Schweiz für viele KrankenpflegerInnen aus Deutschland eine Art "Zufluchtsort": Status, Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Bezahlung waren weitaus besser bei den Eidgenossen als in Deutschland. Ein guter Freund von mir, der 2002 nach Uri ging sagte, dass dort auf Intensiv und Anästhesie die Arbeit so war wie vor der "1. Pflegereform" in Deutschland. Bis zu diesem Zeitpunkt zählte der erfahrene Pfleger 3 Reformen dieser Art in Deutschland. Alle diese Reformen hatten im Kern die "Privatisierung von Kernelementen öffentlicher Daseinsvorsorge" und die entsprechende Kostenschraube. Zu Lasten von Personal und Patientenversorgung. Aber dies ist nur einer von vielen Punkten erhöhter Vulnerabilität und Ungleichheit, die in der Pandemie-Krise noch deutlicher sichtbar wurden,  die Julie da anspricht. 

 

Was macht also "eine gerechte Gesellschaft" aus?
Viele Grundzüge und Instrumente auf diesem Weg legt Thomas Piketty in einer SRF Sternstunde Philosophie dar. Anschaulich widerlegt der Verfasser von "Das Kapital im 21. Jahrhundert" und "Kapital und Ideologie" im Gespräch neoliberale und geschichtsvergessene Mantras. Mit den Ergebnissen seiner akribischen Empirie greift er in vielen 
Elementen seines "partizipativen Sozialismus" im Prinzip alte Gewerkschaftsziele auf. Wenn er von Vermögensbesteuerung von Superreichen und entsprechenden Umverteilungsprozessen spricht, dann geht es um betriebliche Mitbestimmung und sozial verträgliche Weiterentwicklung. Also um eine Firmenpolitik, die sich dem Gemeinwohl und nicht dem individuellen Wohl einer Person und seiner Familie verschreibt. Im Kern alte gewerkschaftliche Ziele in neuem Gewand.

 

Im Jacobin bringt der Marburger Soziologe in Jena Klaus Dörre dies nochmals spezifisch auf den Punkt.
Er zeigt auf, wie die Pandemie einerseits die Durchsetzbarkeit rigider staatlicher Maßnahmen, die mit den handelsüblichen Mantras von Austerität und Neoliberalismus brechen gezeigt hat. Gleichwohl kann die Krise nur als Chance genutzt und weiter verarbeitet werden, wenn daraus mehr Mitbestimmung bei Produktion und Verteilung erwächst:
"Die Zivilgesellschaften müssen in demokratischer Weise direkt darauf Einfluss nehmen können, was wozu und zu welchem Zweck produziert und reproduziert wird."

 

WIR befinden uns also durchaus am Anfang einer neuen Bewegung, die auf viele Gedanken und Ideen und auf diesen zugrunde liegenden Erfahrungen basierend die Erfordernisse der Zeit darstellen, erstreiten und erarbeiten wird. Diese Bewegung wird paneuropäisch anwachsen. Und darüber hinaus ihre Auswirkungen zeigen in einer globalen Welt. Aus dem Schatten einer globalen Krise heraus. 
Es bleibt spannend. Schönes Wochenende. 

 

 

 

 

07.05.2020

"Kontrollierte Zerstörung" und Europas hilfloser Realitätsverlust

 

So nennt "the Roving Eye" - "das herumziehende Auge" Pepe Escobar das Geschehen von Seiten einiger "globaler Akteure" im Rahmen der "Corona-Krise" in ähnlicher Weise wie Ernst Wolff im acTVism Munich Interview  "Coronakrise, Finanzcrash, Profiteure, die WHO und die Rolle von Bill Gates". 

Pepe geht jedoch vertiefter auch auf die Rolle der Wall Street und der Fed ein in diesem gewaltigen Umbauprozess. Black Rock als mächtiger "privater Vertragspartner" der US Zentralbank im "neuen Heckenschützenkapitalismus" wird da eine deutlich beherrschende Rolle spielen.

"Der Krieg der Narrative", den auch Joseph Borrell, Chefdiplomat der Europäischen Union (EU) darstellt und Adjektive wie "ratlos" und "hilflos", die Pepe da Europa zuschreibt werden noch verstärkt durch solche nationalen Entscheide wie die Erklärung der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) für unrechtmäßig durch das Bundesverfassungsgericht. Eine solche "präventive Maßnahme gegen jede gemeinsame Schuldenhaftung" wird die Gräben in Europa vertiefen.

 

Institutionell als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Diplomaten aller Dienstgrade wird ein solches Europa zwar fortbestehen. Alleine die Regulierung der Ausweidung staatlicher Institutionen und Infrastrukturen zwischen chinesischen Seidenstraßenhändlern und den US-Heckenschützen vom schwarzen Felsen und den umliegenden Tälern und Anhöhen wird da die Institutionen hinreichend beschäftigen. 

Pepe bezieht da deutlich Partei für China und seinen vorherrschenden BRICS-Partner Russland in diesem Spiel gegenüber dem von ihm immer wieder so benannten "Imperium des Chaos". Asia Times und andere seiner Auftraggeber liegen auch näher bei Beijing und Moskau als Washington DC und NYC. Ganz wesentlich aber ist, dass Pepe in Diskursen darüber nicht in den "Neusprech der Matrix, die 4. Dimension" verfällt: es sind keine "Verschwörungstheorien", die hier die Interessen mächtiger Akteure leiten. 

 

Die tägliche Selbstauslieferung von Prometheus' Leber an die Raub- und Aasvögel wird viele Verwalter über die Rechtmäßigkeit des Erwerbes des jeweiligen Bissens dort im Gewebe des Titanen erfordern. Angekettet an den Felsen im Kaukasus indes wird auch der Anstrich einzelner Felspartien immer wieder zur Disposition europäischer Institutionen stehen: was soll nun schwarz gesprayt werden, wo wird eher eine gelbfarbene Pulverbeschichtung angebracht sein? Wer bekommt den Schleifstaub, der bei den Vorarbeiten anfällt? Wer muss ihn einatmen?

"Sisyphos, Stein des Anstoßes: rolle!" - möchte man einer anderen tragikomischen Figur europäischer Geistesgeschichte zwischen Helden- und Göttersagen, Absurdität und "Realpolitik auf dem alten Kontinent" zurufen. Ob und wie dieser Zuruf in der "schönen neuen Welt" der "Matrix, die 4. Dimension nach 1984" hier geahndet wird: das wird sich zeigen. 

 

Das Personal für diese wichtigen europäischen Entscheide ist im Kern ja auch reichlich vorhanden. 

 

 

 

05.05.2020

"Ein atmender Planet"

 

Ein schönes Bild, das Julie Billaud da entwirft von einer "Post-Covid-19-Welt". Der Planet, der dringendst Erholung benötigt von uns Menschen. Einerseits. Der Planet, der die Demut der "Mit ihm Lebenden" benötigt. Neue "Abwrackprämien" oder ähnliches als Kaufanreize für die eingebrochene Automobilindustrie, zumal in Anbetracht von neuen Handelskriegen, die der Zwitscherkönig da losbrechen will. Testspiele ohne Fans für die Fußball-Bundesliga, aber keine täglichen Test-Kapazitäten für ErzieherInnen und andere "systemtragenden Fußtruppen": die Dummheit, die man uns immer wieder neu verkauft, macht mich persönlich schon länger krank. Sie lässt mir wirklich den Atem stocken. Und bricht mir das Herz. Sie verursacht physische Schmerzen. Und Atemnot. 

 

Natürlich sind das "psychosomatische" Schmerzen. Aber sie sind real. 

"Symbolpolitik", wie etwa grüne Kreise, mit denen man Wartebereiche für Einzelne im "Social Distancing" vor Geschäften in Kabul markiert. Schön und gut. Aber warum reagiert von den "Philantropen", die sich mit solcher Arbeit brüsten keiner auf die Aussage, dass an einem solchen Ort Mangel und Grad der Zerstörung grundlegender Infrastruktur eine viel größere Gefahr für die Gesundheit der Menschen darstellt als Covid-19 sie je bilden kann? Wenn man sich auf seine Erfahrungen in der Arbeit an diesen essentiellen Themen an diesem Ort 2009 / 10 beruft, dann wird man erst Recht gemieden. 

Armut und Ohnmacht und die daraus erwachsene Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit sind die größten Killer. Weltweit. Das Virus in seinen vielen Mutationen trifft da auf anfällige Wirte, Hennen und Eier. 

 

Ein aufatmender Planet. 

Nicht wirklich. "Erst der Moslem-Bann, nun das Corona-Virus. Iranische Familien werden durch eine Trump-Anordnung nach der anderen getrennt". So beschreibt Felipe de la Hoz eine verzweifelte Situation im Intercept.  Willkür und Despotismus verursachen Ohnmacht und Verzweiflung.

Die größte Angst für die meisten Menschen in dieser Krise ist, dass sie ihre Liebsten nie wieder in die Arme schließen können werden. Dass ihre Familie nie wieder vereint sein können wird. Dass diejenigen, die da Krieg gegen einen imaginären, aber durchaus real pathogenen Feind führen sie und ihre Liebsten in Geiselhaft behalten. Dass die eigene Welt genauso erstickt wie es der Planet, auf dem wir leben dies allmählich tut. Er erstickt in allererster Linie an der Dummheit von Homo Sapiens Sapiens. Oder wie immer man diese Species hier noch nennen mag. 

 

Ein Bild eines Nicht-Ortes, dessen farbliche Schönheit beim zweiten Blick die Verwüstung durch menschlichen Gebrauch entblößt: Durch Überdüngung ausgemergelte Böden lassen das Seeufer immer mehr von Algen verlanden. Darüber ein schon ausgetrockneter See. Eine Menschen gemachte Wüste. Der Himmel erscheint nur klar. Smog und Staub sind erst auf diesen zweiten Blick als entscheidende Filter dort erkennbar. Der Himmel auf einem hoffnungsfrohen Flug von Kabul nach Frankfurt im Frühjahr 2009.  Ein anderes Bild von zwei kleinen Jungs auf der California Ave in San Francisco im September 2019.

Ich selbst habe ja für mich irgendwann 2013 mal gesagt, dass ich nur noch ein Flugzeug betrete, wenn ich einen entsprechenden Auftrag habe, der diese Dinge weiterbringt. Für uns. Zu spät?

 

 

 

 

 

04.05.2020

Immunisierung vor Ängsten und mehr (1)

 

Seltsam, wie sehr Ängste und mehr verstärkt werden im Zuge dieser Pandemie und ihrer Folge-Krisen.

Manche befürchten eine "Rückkehr des Patriarchats". Nicht zu Unrecht. Weil zum Beispiel allein erziehende Frauen natürlich umso mehr benachteiligt werden. Weil ihnen, zumal, wenn sie aus den "systemtragenden Berufsgruppen der medizinisch-technischen Fußtruppen" entstammen, also ErzieherInnen, Kranken- und Altenpflegerinnen und andere aus diesen Bereichen sind nun auch die "Heimerziehung" der Kinder aufgebürdet wird. Immerhin mit einmaligem Bonus. Aber, wie Andreas Schlutter, Gewerkschaftler aus München richtig betont:  "Max. 35 Stunden Vollzeit mindestens bei vollem Lohnausgleich sowie Verbesserung der Personalschlüssel um 25% könnten Pflegeberufe attraktiver machen". Dies würde endlich wieder qualitätsvolle, statt allzu häufig "gefährlicher Pflege" ermöglichen. Daneben müsste die "Krankenbeobachtung" per se viel stärker aufgewertet werden

im Dialog zwischen Medizin und Pflege.

 

Kinder sind ohnehin die Schwächsten, die unter allen anderen Faktoren der Zersplitterung von Gemeinschaft am meisten zu leiden haben. Die dies aber zumeist zu wenig zu artikulieren vermögen. Impfungen werden dies nicht als "Allheilmittel" lösen können. Das verschiebt nur das auch für die Epidemiologie wichtige Thema von Schutz und Hoffnung auf eine eher diffus technische Ebene. Das Menschliche und Soziale bleiben dabei fast völlig im Hintergrund.

Aber allmählich kommen auch die sozialen Faktoren der lange verschleppten Veränderungen zur Sprache. Inwieweit sie in politischem Bügel- und Plattmachsprech abgewiegelt werden:

das wird sich zeigen. 

 

Bemerkenswert auch, was in Portugal geschieht. Ein Beitrag im "Weltspiegel" zeigt einmal mehr die Größe dieses Landes am südwestlichen Rand Europas: Viele Deutsche scheinen ja immer noch der Überzeugung zu sein, dass 1989 die erste friedliche Revolution in Europa den Mauerfall bewirkte.

15 Jahre zuvor jedoch stürzten "linke Militärs" mit dem portugiesischen Volk gemeinsam in der "Nelkenrevolution" die seit dem 2. Weltkrieg herrschende faschistische Ordnung. Ohne einen Schuss aus den mit Nelken gefüllten Geschützrohren der Panzer und den Gewehrläufen der Soldaten.

Die vier Todesopfer der Revolution waren unbewaffnete Demonstranten, die von (Noch-) Regierungskräften erschossen wurden.
Stolz und Disziplin Portugals resultieren auch aus dieser tief vertrauten Verwurzelung des Militärs in der Gesellschaft. Abgesehen davon, für die "
Gender-Spezialisten": António Costa ist Sozialist und ein Mann, der schnelles und engagiertes, fürsorgliches Krisenmanagement praktiziert hat. Für alle Gruppen, über die Generationen hinweg. Man hat schnell und konsequent gehandelt in Anbetracht der höchst vulnerablen eigenen Gesellschaft mit vielen SeniorInnen und wenigen Intensivbetten beim Betrachten der Bilder aus Spanien und Italien. Die präventive Evakuierung von SeniorInnen in Militärspitäler ist ein Akt der Fürsorge, der seinesgleichen sucht. Und das in einem relativ armen, dicht besiedelten südeuropäischen Land. Nicht in einem dünn besiedelten, reichen, nördlichen. von einer Frau regierten Land. Neuseeland mit Jacinda Ardern ist da natürlich die wohl tuende Ausnahme von der nördlichen Regel. Südlicher geht's immer. Und auch weiblicher. Ausgeglichener. Wahrhaft fürsorglicher. Das ist keine Frage des Geschlechts.

 

Umso deutlicher wird auch, wie wichtig neben einem "Wiederaufbaufonds" eine gemeinsame Schuldenhaftung, also Eurobonds sind. Denn Deutschlands Austerität und der "Wirtschaftsboom" der letzten Jahre ging zu allererst auch auf Kosten oben genannter ""systemtragender Berufsgruppen der medizinisch-technischen und vieler anderer Teile der Fußtruppen". Im eigenen Lande. Und in anderen Teilen Europas. Wie viele Befürworter von Eurobonds aus Südeuropa und zuletzt auch aus dem Baltikum deutlich betonen.

 

Auch im fern im Atlantik liegenden Island mit seinen gerade einmal 360.000 Einwohnern hat man schnell und früh gelernt, mit der Pandemie umzugehen. Nach der Krise 2008 war man ja gleichfalls sehr konsequent und mutig dort in der Ursachenbekämpfung. Nun hat man festgestellt, dass es keine einzige Covid-19-Übertragung von einem Kind auf einen Erwachsenen gab. Also geht der Schulbetrieb heute, Montag den 4. Mai wieder los. Ohne Maskerade und mehr. 

Ganz wesentlich aber ist auch, was isländische Forscher da sagen: sie haben deutlich die verschiedenen Mutationen von SARS-CoVirus 2 differenziert. Sie können also Unterschiede in den Viren aus China, in Mitteleuropa und von der US-Ostküste ganz deutlich bestimmen. Alleine das widerspricht zuerst einmal komplett dem "Versprechen Allheilmittel flächendeckende Impfung", das ja auch mit der Erlöserrolle von Bill Gates und anderen Philantropen des medizinisch-pharmazeutischen Apparates daherkommt. Genetische Disposition, Vorerkrankungen, vermutlich auch regionale Mutationen des Virus und entsprechende Virulenz eben auch wieder in Abhängigkeit von genetischen und situativ-bedingten Dispositionsfaktoren: komplette Sicherheit, geschweige denn "den Impfstoff" wird es so schnell nicht geben. Und auch da stellt sich die Frage: informieren die "Experten" im Kanzleramt um Herrn Drosten auch über solche Erkenntnisse oder passen diese nicht ins "(Des-)Informationskonzept"?

Oder anders herum, sehr überspitzt gefragt:
Sind seriöse, angesehene isländische Kollegen so etwas wie "Verschwörungstheoretker"?

 

Gewalt und soziale Ungleichheit jedoch sind die eigentlichen Trigger der Krise. Sie werden auch weiter gehen, wenn da nicht einschneidende Veränderungen im Bereich von "struktureller Gewalt und Ungleichheit von Chancen und Perspektiven" vonstatten gehen. Einmal mehr geht es auch darum, Ökologie: Leben in einer Mitwelt und Soziologie: Leben in einer die Würde des Mitmenschen

achtenden Welt zu vereinen.

ln den US ist die überwiegende Mehrheit der Opfer der Pandemie Afro-Amerikaner. Eine höchst vulnerable, schon lange abgeschlagene Gruppe im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Leute, die außer Bandenkriminalität oft gar keine Möglichkeiten sehen, irgendwie "weiter" zu kommen. 

 

Auf meinem letzten Familienbesuch in San Francisco September letzten Jahres habe ich gerade Afro-Amerikaner unter den vielen Obdachlosen in der Bay-Area dort als die solidarischsten und offensten Menschen erlebt. Bei manchen der weißen Obdachlosen wusste man nicht, mit welchen Substanzen sie ihr Hirn gerade wieder zerschossen hatten. Da war allergrößte Vorsicht angesagt. Chinesische oder südostasiatische Gruppen und Familien waren eher still und zurückgezogen. Bei entsprechender Aufmunterung auch mit einem freundlichen Lächeln. Latinos waren auch als Obdachlose Latinos. Klar. Was sonst. Oft wunderbare Machos. Oft auch haarsträubend ätzende Machos. Die Afro-Amerikaner hatten überwiegend den Blues, den Gospel, den Swing, und all das, was Jahrhunderte der Unterdrückung und des würdevollen Aufbegehrens dagegen ausmacht. Bis hin zum Big-band Sound. Und zum Rap, und zu Living Color, TV on the Radio und den Bad Brains: "Never Give in!".

Oder: Never give up! Wie auch immer. 
So wie Rick und Tony. Beeindruckende, wunderbare Menschen. 

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03.05.2020

Globale Krisen, Pandemien und nationale Lösungen (1)

 

Die Regierungen und Regime der Welt verzeichnen überwiegend großen Zuspruch in ihrem nationalen Pandemie-Management. Zum Teil kann man gar von "konföderiertem" oder "föderalem Pandemie-Management" sprechen. Demographische und sonstige Meinungs-bildende Mehrheiten fühlen sich gut beschützt von ihren gewählten Regierungen.
Nur ein paar Unverbesserliche demonstrieren hier und dort. 

Im Libanon machen sie das seit Jahren, Jahrzehnte gar kann man sagen. Ein kleines Land, dessen Wirtschaft ohnehin zu 100% von Importen auch der großen Diaspora-Gemeinde abhängig ist. Eine entsprechend allein an den US-Dollar gekoppelte Währung. Die Ölkrise nun im Schatten der Pandemie. "Korrupte Eliten" und der Hunger in den gebildeten Familien Beiruts und anderer Orte an der Levante. 
"Corona"? Davor hat man keine Angst, wenn man die Familie nicht ernähren kann.

Durch seine Nachbarschaft, Grenzen zu Syrien, Israel und zum Mittelmeer zeigt sich einmal mehr, dass da Einiges im Argen liegen muss. Keine Harmlosen Orte mehr. Nirgends. 1,5 Millionen Flüchtlinge alleine des Syrien-Krieges hat das Land aufgenommen in den letzten 10 Jahren.  Die frühere "Schweiz des Nahen Ostens", deren Flüchtlinge, neudeutsch jetzt "Migranten" seit mehr als einer Generation in aller Welt leben. 

 

Aber es ist keine Zeit für "globale Zusammenhänge". Jeder denkt an seine oder ihre eigene Haut. Das eigene Überleben. Der geschichts- und bald auch gesichtslose Moment. Gegenüber dem global wütenden Virus wird jede(r) zum Einzelkämpfer. Die unsichtbare Bedrohung.
Höchstens die Familie ist da noch wichtig. Das Virus kommt überall hin. 

 

Das ist die wichtigste, auch medial kolportierte und wahrgenommene Bedrohung. Zumal für Gemeinschaften, in denen man den Blickkontakt und die entsprechenden vielfältigen Ebenen der Kommunikation im Alltag schon lange verlernt oder abgegeben hat.
Hinter der Maske sind wir alle gleich.

Von Wegen. 

 

 

03.05.2020

Globale Krisen, Pandemien und nationale Lösungen (2)

 

Über Tracking-Apps wurde auch in Südkorea heftigst debattiert. Ein wehrhaftes kleines Land. Viele Menschen haben Familie auch im Norden des Landes. Und der gewaltige Einfluss Chinas in der Region auch im Hinblick auf dieses Erbe des Kalten Krieges wiegt gleichfalls schwer.
Der erste Stellvertreterkrieg in einer dem 2. Weltkrieg folgenden "
bipolaren Welt".  
Da schätzt und schützt man bürgerliche Rechte und Freiheiten. 

 

Bemerkenswert ist, dass in einem Gespräch auf dem britischen Channel 4 zu chinesischen Tracking Apps der uyghurische Anwalt Nuri A. Turkel auch explizit vom großen Interesse der deutschen Regierung spricht an chinesischen Überwachungstechnologien. Er hebt die Berliner Regierung besonders hervor als eine von 18 Regierungen weltweit, die gerade im Hinblick auf Aufstandsbekämpfung, Bürgerkontrolle etc. großes Interesse am chinesischen Weg des "Post-Orwellianismus" zeigen. 

Der eher in Richtung "Matrix, die 4. Dimension" geht.

 

Mr. Turkel hat seine Kanzlei in Washington DC und wurde vor einigen Jahren US-Staatsbürger.

In einem bemerkenswerten Post zur Präsidentschaft Trumps stellt der Sprecher einer brutal verfolgten ethnischen Gruppe sich und muslimische Brüder und Schwestern in eine Linie mit irischen und italienischen Einwanderern, die als Katholiken in den US schwer um ihre Anerkennung kämpfen mussten und Kämpfern für Bürgerrechte der großen afro-amerikanischen Community, die immer wieder neu ihre Rechte erstreiten müssen. Heute mehr denn je. 

Die Internierung von Millionen Uyghuren in "heutigen Konzentrationslagern" durch die Pekinger Zentralregierung folgt indirekt auch dem von den US  in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 ausgerufenen "Krieg gegen den Terror" und der weltweiten Ächtung gerade auch von Muslimen unter diesem Banner. 

 

"Digitalisierung" unter diesen Voraussetzungen wird zwangsläufig zu einem "neuen Totalitarismus" führen. 

Die NSA ist da ja auch durchaus sehr weit. Sie geht aber andere Wege der "PR". US-amerikanische eben nach 1984. Oder, wie Edward Snowden sagt: "Im Grunde lässt China seine Bürger wissen, dass die Regierung sie auf Schritt und Tritt überwacht und verfolgt, während die US ihre Bürger überwacht und verfolgt ohne dass sie es wissen sollen."

 

Die "Selbst-Auslieferung" unter solche "neoliberale Willkür", die sich da auch in Berlin und Brüssel als "national business as usual (but with better control of citizens)" ankündigt, wird keine entscheidende Gefahr der kumulierten globalen Krisen lösen. Unter diesen Umständen werden "soziale Ungleichheit", Kriege und Umweltzerstörung, Ausverkauf und Ausweidung lokaler Produktivkräfte weitergehen.
Auch unter chinesisch-US-amerikanischer Führung. Mit stetigen Schaukämpfen. 
Denn: nationale Banner dienen bald nur noch als Staffage. Die Teilung in "gut" und "böse", "arm" und "reich" usw. wird in der Folge des Virus so den derzeitigen, uns beherrschenden "Eliten" die Gelegenheit der bedingungslosen Machterweiterung geben.  

 

Demokratie, Freiheit und Menschenrecht erfordert auch das Leben und Lesen zwischen den Zeilen. Zwischen den Augenblicken auf der Stirn die Falten zu deuten. Zu Lächeln dazu. Oder eben die Kämpferfurche dort zu bilden. Die Augen zusammenzukneifen. Die Zweifel des Gegenübers zu bemerken. Die unbemerkte Notiz zu verarbeiten im nächsten Atemzug. Einatmen. Ausatmen. Ein Zug mit dem Läufer. Gardez. Quer durch die Reihen der Bauern. Schach. 

 

Grauer Saft am Abend, wir trinken Dich gerne. Wir trinken und lieben Deinen Geschmack.

Wir trinken und schlafen, schlafen den Schlaf der Berauschten. Schlaft tiefer den Schlaf der Betäubten! 

Schlaft tiefer bei Tag und bei Nacht! Der Rausch ist ein Verführer alles erstickender Fürsorge. 

 

Grauer Saft am Abend, wir schlafen den Schlaf der Gerechten. 

Wir trinken und schlafen. Trinkt tiefer, schlaft fester den oberflächlichen Traum!

Träumt tiefer den Rausch bei Tag und bei Nacht!

Der Traum vermag euren Händen die Kraft zur Freiheit zu geben!

 

Atmet tiefer bei Tag und bei Nacht! Es ist die verkaufte Freiheit, die so über Euch wacht.

Falsche Fürsorge umgarnt euch mit all ihrer Kraft. So verharrt in schweigender Ohnmacht. 

Gehet hin und denkt, es wird schon gerichtet. Nichts wird sein, wenn Ihr es nicht selber erschafft. 

Der Tunnel am Ende sich lichtet. Hofft fester, entrinnt so lähmender Geiselhaft!

 

 

 

 

 

 

30.04.-01.05.2020

"Fubar"?

 

Gestern wären meine Eltern normal nach Borkum gefahren. Ihr Gepäck, zwei Koffer hätten sie schon  zwei Tage zuvor aufgegeben und so wären sie mit dem Zug und dann mit der Fähre von Emden Außenhafen auf die westlichste der ostfriesischen Nordseeinseln gefahren, um zwei Wochen lang
frische Seeluft zu tanken.

Für meinen Vater, der durch den warmen und trockenen April mit seinem starken Staub- und Pollenflug in der Luft zusätzlich geschwächt war ein ganz wichtiger Teil seiner "Gesundheitsvorbeugung". Eigentlich machen sie diese Reise im Frühjahr seit mehr als 20 Jahren. Spätestens, seit Asthma und Allergien meines alten Herrn, nachdem er in Ruhestand ging akut ausgebrochen sind. Was sicher auch zusätzlich verstärkt wurde durch Einatmen von Asbeststaub beim mehrmaligen Löscheinsatz von mit dem hoch toxischen Brandschutzmaterial abisolierten abbrennenden Trafos in den 1960er Jahren.
Mund- und Atemschutz? Danach fragte damals keiner. Wohl aber bei der Bewertung des Anspruchs der Anerkennung dieser diagnostizierten Lungenschädigung als "Berufsbedingte Krankheit" 10 Jahre später. Dann war der- oder diejenige, die instinktiv sich in Gefahr begab, um weitere Zerstörung von Mensch und Material zu verhindern plötzlich ganz für sich selbst verantwortlich. "Selbst schuld".

Und obwohl ab 1970 die Asbestose als "Berufskrankheit" anerkannt war, wurde der Verbau der Fasern erst 1993 in Deutschland verboten. 

 

Aber die Tage sagte mein Vater noch, dass er froh sei, dass er damals in die Beamtenlaufbahn gegangen sei. Auch wenn er als Handwerksmeister sich immer als Arbeiter gefühlt habe. So erhält er eine Pension, mit der er und meine Mutter würdevoll ihren Ruhestand erleben können.

Ohne ihn wäre ich als einer, der 2010 nach eineinhalb Jahren Arbeit dort aus Afghanistan zurück kam und nicht schweigen konnte und wollte zu dem Verrat, der dort an Menschenwürde, an Demokratie und Freiheit geschieht längst obdachlos. Ein Krieg, der nur um des FÜHRENS willen geführt wurde. Einer der vielen Kriege, in denen es in erster Linie darum ging, unsereinen für die Ziele einiger Reicher gegen unsereinen auszuspielen. Keinen interessierte es zudem, dass der Hauptgrund meines Weggangs war, dass ich nicht mehr 20-Stunden-Schichten für "Dorfschützenkönige, die globale Projekte mit eben diesem Horizont bearbeiteten" leisten wollte und konnte. Deren "Kommunikationsfehler im globalen Zirkus" ich wortlos ausbaden sollte. Afghanistan ergab sich so als Chance. Die größte menschlich-kommunikative Herausforderung meines Berufslebens. Über die ich in Deutschland oder sonst wo noch nie einen öffentlichen Vortrag halten durfte. Weil nicht sein darf, was offensichtlich ist. Weil Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters immer unbeantwortet beiben?

 

Wie dem auch sei. Die Gechichte meiner Familie ist eine Geschichte nicht des Jammerns und des Klagens. Wir haben vorwärts gelebt und hart gearbeitet und immer wieder versucht, das hinter uns Liegende zu verstehen. Wie so viele Menschen. 

Meine beiden Großmütter waren meine moralischen Leitplanken. Großartige Frauen. Der Spruch der früh verwitweten Mutter meines Vaters: "Manchmal muss man sich selber kitzeln, um zum Lachen zu kommen". Das spricht schon für sich. Als Folge des "schwarzen Freitag" 1929 war auch das von meinem Großvater und zwei seiner Brüder geführte Gemischtwarengeschäft der Familie in der kleinen Provinzstadt bankrott. Mein Großvater war für die Elektrik, ein Bruder für die Fahrräder, der dritte für den Rest zuständig gewesen.
Der Aufstieg des Großmauls aus Braunau, 1936 bereits die Worte meines Großvaters am Abendbrottisch der Familie: "Der Hitler, das ist ein Wahnsinniger. Das wird alles in einer großen Katastrophe enden!" Die Listen, mit denen er sich als Techniker, aber Zivilist in der U-Boot-Flotte rettete. Dann die Befreiung und die Arbeit auf einer US-Flugbasis. Bis zu seinem Tod acht Monate vor meiner Geburt. 

Der andere Großvater. Der die lang ersehnte Änderung seines Elends in den Nazis sah. 

Seine Frau, die dieses von ständigem Nörgeln und Kritteln begleitete Scheitern eines zerbrochenen Mannes ihr Leben lang ertrug. Und doch immer ihre Würde und ihren Humor, all ihre Liebe den Enkeln entgegenbrachte. Deren Koch- und Backrezepte mit zu dem wichtigsten Erbe gehören, das auch ich meinen Kindern weitergebe. Erinnerungen, die uns am Leben halten. 

 

Ich weiß nicht, was in Bergamo geschehen ist. Warum dort so viele primär ältere Menschen starben. Warum die Stadt in der Lombardei mit den venezianischen Stadtmauern zu einem "Epizentrum" der "Corona-Krise" mit so vielen Toten wurde. Die Bilder der Militärkonvois, die die Särge abtransportierten. Überlastete Bestatter. Und einsame Familien, die ihre Liebsten verloren hatten und ihnen nicht einmal auf dem Friedhof am Grabe addio sagen konnten. Dort, wo vielerorts Fotos der Lebenden die Grabsteine und die Fronten der Kolombarien zieren. Wo der Tod ein ständiger Begleiter ist. Teil des Lebens. So oder so. Wo Familien und ihre Bünde über die Generationen hinweg viel stärker zusammenhalten als nördlich der Alpen. Insbesondere nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges. Die Familie ist der Kern der Italianità. Der Gesellschaft. Von den Südalpen, die dort am Schaft in sanften Hängen bei Bergamo in die Poebene hinunter verlaufen bis zur Sohle, zum Absatz und zum Sporn des Stiefels. Und zum Dreieck dort an der Pike. Und nicht nur dort. Europäische "Austeritätspolitik" hat sicher ganz maßgeblich zu den Notständen nicht nur in Bergamo beigetragen. In ganz Italien. 

 

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Peter Ross beschreibt seine Spaziergänge auf einem verlassenen Friedhof in seiner Nachbarschaft im schottischen Glasgow im Zuge der beginnenden Ausgangssperre dort als "Soziale Distanzierung mit den Toten". Friedhöfe sind hoch kontemplative Orte. Die Gräber, die Steine, die Inschriften, die Fotos, das Moos, der Sand - in allen Kulturen sind es Orte des Dialogs mit den Vorfahren. Auch wenn da häufig nur ein verblichener Stofffetzen im Gestrüpp an den Verstorbenen erinnert, die vielleicht im Getümmel dort schon auf der Erde liegend der Verwesung anheim gegeben werden musste oder gar sollte: der Tod ist nur eine Form des Übergangs vom irdischen Dasein. Vom Leben hier. Die Würde der Toten und der Lebenden sind untrennbar miteinander verwoben. 

 

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte von Viren, Bakterien und anderen Krankheitserregern. "Totale Kontrolle" und "Auslöschung" eines Virus wird multiple Erreger auch von vielerlei anderen Krankheiten von Mensch und Tier auf den Plan rufen. Wir werden den Tod niemals überwinden können. Wer dies nun versuchen will mit dem Corona-Virus und seiner Mutation SARS-CoV-2 oder Covid-19, der sollte den Menschen auch erzählen, dass "Soziale Distanz mit den Lebenden"  dieser Art niemals "völlige Sicherheit" gewähren kann. Und: dass dies in heutigen Gesellschaften wie den unsrigen nicht ohne eine Zerstörung von Gesellschaft und Solidarität vonstatten gehen kann. Vor allem aber:
dass solch ein "Kampf gegen ein Virus", der das Wort Krieg stetig vermeidet, niemals als "Blitzkrieg" gewonnen werden kann. Und gerade in dieser Hinsicht sollte man doch "vom deutschen Wesen" und den beiden Katastrophen des frühen 20. Jahrhunderts etwas gelernt haben? 

"Selbstmord aus Angst vor dem Tode?"
Das trifft es vielleicht schon eher.

 

In jedem Falle: Fubar: "fucked up beyond all recognition". Voll in der Scheiße. 

Soldaten egal welcher Nationalität, Menschen die den Krieg erlebt haben, egal wo:
die wissen zumeist, was es heißt, wenn alles ineinanderstürzt. 
Und unfähige Offiziere sich über "Hennen" und "Eier" und andere Nebensächlichkeiten streiten. 

Während die eigenen Brüder und Schwestern, ob bewaffnet oder nicht, ob voller Hoffnung und Abwehrkräften, oder ob durch lange Kämpfe geschwächt fallen wie die Fliegen. 

Einen schönen 1. Mai!

 

 

 

 

26.-28.04.2020

"Gesicht wahren". Das eine oder andere

 

oder anders herum gesagt: der Gesichtsverlust gehört in jeder Kultur zu den schlimmsten Ereignissen, die einem Menschen widerfahren können. Das verlorene Gesicht schlägt sich auf den Ruf der ganzen Familie, der ganzen Sippe nieder. Wie und in welcher Form da reagiert wird, von der eigenen Familie und dem eigenen Clan auf den Gesichtsverlust des oder der Einzelnen: das hängt wie so Vieles von ganz vielen Faktoren ab. Wie der oder die Einzelne wiederum in einer "höchst individualiserten" Gesellschaft
wie der unseren hier mit dem eigenen Gesichtsverlust im Fall der Fälle umgeht:
auch da gibt es ganz verschiedene Verhaltensweisen. 

 

Xi Jinping als Abkömmling einer in Maos Kulturrevolution geächteten Familie, ein damals in Ungnade gefallener "roter Prinzling" ist durch größt mögliche Anpassung zum KP-Chef in Peking geworden. Er genießt nun als Staatschef ähnliche Befugnisse und Machtfülle wie einst Mao.  In Anbetracht der schwachen Wachstumsprognosen der chinesischen Wirtschaft wäre sein Gesichtsverlust und der des "Reichs der Mitte" im Falle einer unmittelbar dadurch ausgelösten zu erwartenden weltweiten Rezession unermesslich gewesen. Insofern ist das quasi zeitgleiche Auftreten eines anderen Ereignisses, der neuen Mutation des so genannten "Corona-Virus", SARS CO-V 2 mit bisher in dieser Schärfe nicht beobachteten Folgesymptomen, das bald zur "globalen Pandemie" erklärt wird dann auch ein probates Mittel, um diese vordergründige Ursächlichkeit zu übermalen. 

Wie schon gesagt: was da Henne, was Ei ist, was da also zuerst kam, das ist bald bei solchen kurzfristig unmittelbar parallel verlaufenden Ereignisfolgen und den sie begleitenden Medienkampagnen nicht mehr auszumachen. Und es nutzt ja auch anderen. 

"Vordergründig ursächlich" sage ich zudem, weil auch China den Weg des "Neoliberalismus" auf seine Art konsequent verfolgt hat und mit seinem "Staatskapitalismus" unter dem Banner der "Globalisierung" zu einem der wichtigsten und mächtigsten Akteure weltweit geworden ist. Die Ausweitung des "Seidenstraßen-Projektes" und von Handels- und Militärstützpunkten und ebensolcher Konflikte um Wirtschaftsstandorte und Rohstoffmärkte zwischen den US und "dem Westen" einerseits und China, Russland und "dem Osten" andererseits verdeutlichen das einmal mehr. Xis Einfluss auf globale Organisationen wie die WHO erklärt sich auch daraus. Aber: in solchen "Gemengelagen" überlagern sich viele Interessen. Mächtige, denen sich so vorher ungeahnte Chancen zum Durchbruch bieten. Zu Machterhalt und Machterweiterung. Und ganz viele "ohnmächtige Interessen", die Gefahr laufen, bei einem solchermaßen beschleunigten Geschehen unter die Räder zu kommen. 

 

Auch hier kann man das Abstrakte solcher Allgemeinplätze durch Herunterbrechen der Maßstäblichkeit an einem spezifischen Ort besser darstellen: Beispiel Mes Aynak, Provinz Logar, Afghanistan, 40 km südöstlich von Kabul.

Auf Wikipedia werden zwei Seiten eines Konflikts dort beschrieben:

  1. Das kulturelle Erbe einer großen buddhistischen Stadtanlage aus der Kushana und Shashi-Epoche, vom 2.-9. Jahrhundert und Spuren einer bronzezeitlichen Siedlungsanlage darunter an diesem Orte.
    Federführend bei Ausgrabung und Sicherung der Artefakte und der Anlagen ist die DAFA, ein französisches archäologisches Institut und natürlich die afghanische Regierung, unterstützt von der Weltbank. Die Arbeiten begannen 2009. 

     
  2. Die chinesische Bergbaufirma MCC hat 2007/ 08 den Zuschlag für die Schürfrechte dort zum Abbau von rund 11 Mio. t Kupfer im Wert von mehreren Dutzend Milliarden Dollar erhalten.
    "Das größte ausländische Investitionsprojekt der afghanischen Geschichte".  
    "Die MCC will für den Kupferabbau unter anderem neue Straßen, eine Eisenbahnstrecke
    und ein 400-Megawatt-Kraftwerk errichten."

Was auch ein Beitrag der afghanischen Nachrichtenagentur Tolo-News von 2018 zum Stand der Dinge nicht betrachtet jedoch ist für viele Menschen im Großraum Kabul viel entscheidender: 

In der Regel fällt das giftige Halbmetall "Arsen in größeren Mengen als Nebenprodukt bei der Gewinnung von Kupfer und anderen Buntmetallerzen" an. Die Wasserversorgung der mit nun 5-6 Mio Einwohnern am schnellsten wachsenden Stadt Zentralasiens, der afghanischen Hauptstadt Kabul jedoch wird auch über Stauwehre und Tiefbrunnen in der Provinz Logar sichergestellt. In Zeiten allgemeiner Dürre und Wasserversorgungskrisen zumal in der Folge des Klimawandels gewinnt damit auch die Wasseraufbereitung zudem vor dem Hintergrund dieses massiven Abbaus eine entscheidende Bedeutung. Nicht nur dort. Aber hier einmal exemplarisch an diesem Ort hervorgehoben. 

Da wäre die Entwicklung entsprechender Wasseraufbereitungsverfahren, die auch Arsen und andere giftige Elemente aus dem Trinkwasser herausfiltern weitaus sinnvoller und "nachhaltiger" zur "Bekämpfung von Fluchtursachen" als alleine Waffen, Truppen und andere kriegerische Maßnahmen. Sie erfordern aber einen größeren Weitblick. Und Humanität und entsprechende Prämissen für eine gemeinsame Zukunft auf einem bewohnbaren Planeten Erde auch vor dem Hintergrund des alles Leben bedrohenden Klimawandels. Bei WHO, UN Habitat und UNDP und UNHCR und anderer Organisationen zudem. 

Europa könnte dort ganz entschieden eine wichtige Vermittlerposition einnehmen durch das Voranpreschen bei solchen Erfordernissen. Wassersicherheit herzustellen und diesen technologischen Austausch gewährleisten. Auf allen Ebenen. Bis zur Wartung und Weiterentwicklung solcher lebenswichtiger Infrastrukturen. Immer in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Kräften.

 

Das großartige historische Erbe Afghanistans an einem anderen Ort:
das Massiv mit den Höhlen der Buddhas von Bamiyan im Hazaragat in Zentral-Afghanistan Mitte März 2010.

 

 

Um diese Politik zu bewegen jedoch bedarf es eben solcher "Vorzeichenwechsel".

Bisher bin ich niemals in den letzten 10 Jahren damit nirgends in Deutschland seit meiner Rückkehr vom Hindukusch auf Gehör gestoßen. Verlage gab es für meine Bücher auch nicht. Befürchtet man bei der amtierenden Politik gleichfalls einen Gesichtsverlust, wenn man endlich den vielfältigen "Krisen" als "Chancen" und "Herausforderungen" begegnet? Wenn man damit diesen auch aktiv
und pragmatisch entgegentritt? 

 

Bei einem Symposium zur "Stadtentwicklung im Klimawandel" der TU-Dortmund im Frühsommer 2011 fragte ich einen Klimaforscher zu seinen Zahlenmodellen. Ich hielt seine den damaligen IPCC-Modellen folgenden Schätzungen aufgrund dessen, was ich in Südasien erlebt und gesehen und selber erforscht hatte für zu konservativ, zu verhalten. Natürlich jedoch fühlte der gute Mann sich angegriffen ob der Infragestellung seiner Sach- und Fachkompetenz. 

Haben die letzten Jahre nicht auch hier gezeigt, dass Klimawandel und Erderwärmung weitaus drastischer und schneller verlaufen könnten als vorher eher konservativ agierende Rechenmodelle es uns glauben machten? Und: ist Wissenschaft allwissend oder: lernen wir nicht immer mehr dazu, auch die Dinge von mehreren Seiten, auf verschiedenen Ebenen zudem zu betrachten? Zumal, wenn es solch etwas Komplexes wie "das Klima" betrifft?

Erfordert nun nicht auch die "Corona-Krise" weitaus größere Demut im Umgang mit den Themen von "Vulnerabilität", also "Verwundbarkeit" und "Resilienz", also "Widerstandsfähigkeit" von Menschen und Regionen auf dem von uns bewohnten Planeten? Letztlich von uns?

Und sind WIR da nicht gefordert, da endlich entschiedener dran zu gehen? 

Wie wird die "auf Sicht fahrende" Politik (re-) agieren, wenn der sich abzeichnende rund
"20. Jahrhundertsommer" des neuen Millenniums so trocken auch in hiesigen Breiten ausfällt wie zuletzt 2018? Oder gar noch trockener?
 Zumal die Böden sich von 2018 noch nicht erholt haben und Wasserspeicher zur Versorgung gerade erst wieder aufgefüllt waren. Und: auch wenn jetzt wieder etwas Regen angekündigt ist von Westen kommend von Seiten der Meteorologie? 

Ist es nicht an der Zeit für einen entschiedenen Richtungswechsel? Auch zur Reduktion unserer "Vulnerabilität" hier, zur Erhöhung unserer "Resilienz" also im positiven Sinne?

 

 

 

Fehler machen wir alle. Ist es aber unvermeidlich, dass "kulminierende Krisen" uns unvorbereitet treffen? Dass wir immer weniger Schutz und Sicherheit verspüren vor den Dingen? 

Die Mundschutz-Pflicht ab Montag, 27. April 2020: welche "Sicherheit" wird da wie verkauft beim "politischen Fahren auf Sicht" in Anbetracht der "Corona-Pandemie"? Zumal, wenn man bedenkt, wie heftig die Debatten zu "Burka, Hijab und anderen Verschleierungen" vor nicht allzu langer Zeit im Hinblick auf das "Vermummungsverbot" geführt wurden. Und wie umstritten auch unter Fachleuten die Schutzfunktion des Mundschutzes ist. Zumal bei "nicht sachgemäßer Verwendung" und hohen Außenlufttemperaturen. Was in keinster Weise die "Heimtücke" dieses Virus verharmlosen soll. Denn: wer kennt schon genau alle seine "genetischen Dispositionsfaktoren" auch für dieses Virus? 

 

Themenwechsel dazu und zum immer wieder bemühten "Erbe der Aufklärung" und "westlichen Werten": Die Unerbittlichkeit der Behandlung Julian Assanges und Chelsea Mannings: wo ist da welche " Freiheit", welche "Demokratie" und welches "Menschenrecht" durch die beiden verletzt?

Die beiden haben die seit dem 1. Golfkrieg der US 1991 von Paul Virilio bereits damals eindringlich analysierte Propaganda "sauberer Kriegsführung" beweiskräftig widerlegt. "Collateral Murder" zeigt, wie sehr menschliches Fehlverhalten überall zu gewaltigem "Kollateralschaden" führt. Zum Tod unschuldiger Menschen. Wie so "Terrorismus und Rachegedanken" geradezu herausgefordert und gezüchtet werden. Auch durch eine "Drohnenpolitik", die ungezählt viele "Kollateralopfer" verursacht hat.

Ich habe selber genug dieser damals noch unbekannten Fluggeräte im Sommer 2009 von meinem Arbeitsplatz aus der Altstadt von Kabul heraus im Landeanflug auf das zu diesem Zeitpunkt von Taliban eingenommene, strategisch wichtige Swat-Tal in Pakistan gesehen und bin Assange und Manning unendlich dankbar dafür, dass sie diese Debatten maßgeblich ausgelöst haben. In Anbetracht der Aggressivität der vorherrschenden Verdrängungsmaschinerie in Deutschland hat man mich oft genug gemieden, verspottet und als "Verschwörungstheoretiker" beschimpft. Auch meine Motive des Weggangs in ein Kriegsgebiet sind größtenteils mit Missachtung bestraft worden. Das interessierte ohnehin keinen. "Scheitern", ohne das keine Lernprozesse möglich sind, das scheint ausgeschlossen zu sein "in unserer Zeit. In diesem unserem Lande". Das nehme ich so nicht hin. 

 

Die "Corona-Krise" und die vielen Auswirkungen auf unser Leben fördern das Beste und das Schlechteste in Menschen und Gesellschaften zu Tage. Wer vorher "in prekarisierten Verhältnissen" lebte muss nun noch größere "Prekarisierung" befürchten. Wer vorher überängstlich war und zu Depressionen neigte, der oder die wird es zumeist noch mehr in Ausgangssperre und Distanzgebot. Der Verkauf von privaten Schusswaffen in den US erlebt einen gewaltigen Aufschwung. Kinder, die zu Autismus und anderen gestörten Wahrnehmungen ihrer Mitwelt neigen und Eltern, die damit unter normalen Umständen schon überfordert sind, sind es nun noch mehr. Die Dunkelziffern dieser und anderer "Kollateralschäden" sind enorm. Politik und Verwaltung scheinen da eher bemüht zu sein, den Sprachgebrauch zu regeln. Perspektiven und Hoffnung auf eine bessere Zukunft jedoch schafft dies nicht. Lernfähigkeit beim "Fahren auf Sicht" erfordert auch, dass man Veränderungen in Aussicht stellt, die UNS neue Perspektiven ermöglichen.

Diese Offenheit des Dialoges vermisse ich nicht nur in Deutschland. Auch da bin ich nicht alleine. 

 

Insofern sollte man sich vielleicht intensiveren und subtileren Formen des "erkärerisch modellhaften Widerstands" hinwenden, um der "technokratischen Beratungsresistenz" der Politik und der Medien zu begegnen. Im Sinne einer "Ästhetik des Widerstands", die diese Themen ganz profan veranschaulicht.
Und dem "Sozialen Experiment" viele Dinge beifügt. Und so das Hinterfragen von "Naturgesetzlichkeiten" ermöglicht. Das Unerklärliche öffnen. Dinge und Verhaltensweisen so hinterfragen. 
Verhaltensweisen, die letztlich auch Angst-gesteuert sind.
Wie so vieles. 
Angst vor Gesichts- und Kontrollverlust? Angst vor dem Virus, das natürlich als unbekanntes, zu großen Teilen noch unerforschtes Ding eine große Gefahr für die eigene Gesundheit und die Gesundheit aller Menschen darstellt? Angst aber auch vor der noch viel größeren Blackbox kommender Herausforderungen beim "Fahren auf Sicht" durch die Rezession und die Folgen?

Das "Department of Unusual Certainties" - das "Ministerium für ungewöhnliche Gewissheiten" aus Toronto hat in einer Ausarbeitung der Stadtbaugeschichte von Mississauga im Großraum dort von den Anfängen des Grundstückserwerbs von einheimischen Stämmen bis 2030 schon vor rund 10 Jahren ganz nebenher vorhergesagt, dass Google Mitte der 2020er Jahre einen UN-Sitz inne hätte und China dann die US quasi besäße. Das würden wir auch hier in Mitteleuropa sicher mitbekommen. 

Oder würde dies auch weitest gehend ignoriert, weil den "Gesetzen freier Märkte" entsprechend?

Nun denn. 
 

 

Solch eine Skizze vereinfacht vieles. Aber so wie hier gut gemacht veranschaulicht sie immer ganz wesentliche Themen. Sie bringt sie auf den Punkt. 

Solch ein "Punkt ohne Wiederkehr" wirft viele andere Seiten- und Schleichwege auf. Nebenstraßen und Sackgassen, die wir vielleicht erst erkunden, und klären müssen. WIR stehen aber am Rand einer Klippe. Schwere Buschfeuer und Waldbrände wüten hinter uns und versperren so den Weg zurück. Das Meer vor uns ist durch heftige Stürme aufgewirbelt. Megawellen, die für jeden erfahrenen Surfer auf Dauer tödlich wären. Weil er irgendwann bald ermüdet wäre durch die kaum nachlassende gewaltige Brandung.

 

Viele von uns haben noch keine Ahnung davon, wohin wir nun gehen können. Und gehorchen nun den ängstlichen Anführern. Die ja auch "auf Sicht fahren". Was auch immer das heißt, wenn man am Rand dieser Klippe steht. Und alles signalisiert: Einfach stillstehen.

Bis wann aber? Was immer geschieht? Wann immer etwas gechieht? Was geschieht? Mit uns, unserem Leben, menschlichem Leben, dem Boden unter unseren Füßen? Dem Wind, dem Sturm, der die Feuer hinter uns weiter anfacht? Das Meer vor uns weiter aufpeitscht?

 

Wir sind mit einem "Problem der Massen" konfrontiert. Der Massen an ungelösten und aufgestauten Problemen, an Krisen. Aber auch an Menschen und deren Erfahrungen. Themen vielfältiger Art und vielfältigen Ursprungs. All dies kulminiert nun. Wut und Angst halten sich da gegenseitig in Schach.

Im Moment. 

 

Alleine der gewaltige Maßstab der Ereignisse und der sie begleitenden verursachenden und aus ihnen folgenden vielfältigen Geschehnisse überfordert die meisten Menschen zusehends. Diesem Maßstab vermögen auch der "News" und der "Fake-News" Inhalt in den gängigen Medien kaum noch standzuhalten. "Wahrheit" in Medien und Politik deckt sich nur noch wenig mit den Erfahrungen vieler Menschen. Die großen Übereinstimmungen in "liberalen Gesellschaften" gehen so genauso zusehends verloren wie sie in eher "archaischen" und "Stammesgesellschaften" in den letzten Dekaden zusehends unter dem Einfluss einer zunehmend chaotisch agierenden "Moderne" oder Post- oder gar "Post-Postmoderne", also "westlichen Werten", besser deren "Interessen" verloren gegangen sind.

Antworten auf die entscheidenden Fragen sind so nicht (mehr) zu finden.


Der Mieter im weißen Haus und seine Zweckverbündeten in den "Corporate Elites" und anderen seiner Einflusszirkel sind da nur augenfälligstes Symbol dieses Niedergangs. Zumal in Trumps Bemühen, das zu seinen und ihren Gunsten alles zu kanalisieren. Alles so zu beeinflussen, dass ihn und die stetig wechselnde Klientel des engen Machtzirkels der "Willigen" und der "Superreichen" im Hintergrund in seinem Gefolge niemals irgendeine Verantwortung treffen kann. 

Womit er letztlich nicht alleine ist. Die Furcht vor Scheitern und Übernahme von Verantwortung ist universelles Prinzip der Paralyse bis hin zur nun erfolgten Stase dieses "Systems". Dieser Erkrankung. Dieses Syndroms. Dieses Punktes ohne Wiederkehr, an den wir nun gelangt sind. Einer Lähmung mithin, die wie jede Situation dieser Art Chancen und Risiken beinhaltet.
Wie Umairs schnelle Skizze es auch deutlich darstellt. 

 

Die "europäische Sozialdemokratie", die Umair Haque immer wieder in ihrer Tradition beschwört indes:

Das sind die nordischen Länder Skandinaviens, Benelux, insbesondere die Niederlande und Deutschland. Gerade die beiden letzt Genannten blocken vieles ab, was nun gegenüber Italien und dem Süden Europas erforderlich wäre: eine gemeinsame "Schuldenhaftung". Ein gemeinsames Paket dafür, um solidarisch wirklich ein gemeinsames Europa aufzubauen. Und dies natürlich begleitet von entsprechenden Maßnahmen, um genau diesen Umbau der Finanz-, Währungs- und Wirtschaftssysteme auch mit China und den US - also weltweit in die Wege zu leiten. 

 

Ich für meinen Teil habe ja jüngst die sozialdemokratische Partei Deutschlands hier nach sieben Jahren Mitgliedschaft verlassen. Begleitet von viel Häme und Vorwürfen. Besonders ihre "Außenpolitik" war so einfach nicht mehr zu ertragen. Geschweige denn von meiner Person mit zu tragen. Letztlich sind 99 % aller Menschen "Ausländer". Bei rund 80 Millionen Einwohnern in Deutschland und bald 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde stimmt auch diese schnelle Behauptung irgendwie.

Bis zu einem gewissen Grade eben als vereinfachte Darstellung, die in einen Kontext gestellt werden soll. 

Deutsche "Außenpolitik" jedoch trägt solchen Dingen keine Rechnung. Sie verrät so jeden Tag das "Zeitalter der Aufklärung" und spielt "duck and cover " - "Wegducken und in Deckung gehen"

vor der Welt und ihren mannigfaltigen Herausforderungen.

Deutsche "Machtpolitik" dieser Art weckt unrühmliche Erinnerungen. "Außen" und "Innen". 

So betäubt man eher die Menschen. Und verdummt sie. Bis hin zur völligen Lähmung. Und Erstarrung. Wehe aber, der oder die Deutsche wacht daraus auf. Wehe, die Menschen wachen aus dieser Lähmung auf. Nicht nur in Deutschland.

Aber aufgrund seiner "Traditionen und Erfahrungen" ganz besonders "der Mensch" hier. 

 

Wir sind mit einem "Problem der Massen" konfrontiert. Das überfordert "Otto Normal" oder "den deutschen Michel" und seine Frau, die "Michaela" genauso wie "Joe, den Klempner" und seine Frau in den US. Wem das zu "klischéebehaftet" ist: das gilt für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und Ehen genauso. Zumal, wenn Armut und Perspektivlosigkeit der Menschen von Demagogen auf das Subtilste ausgebeutet werden und ihnen ferne Kriege und ihr Anteil an den "Missionen" dort als "Wege zur Sicherung ihrer Zukunft" verkauft werden. Als "erweiterten Naturzustand" der "Bekämpfung menschlicher Barbarei". Und die Technokraten, die ihnen dies einflüstern verschweigen im Schutz ihrer Schreibtische
und Ämter, dass sie selbst Teil der "Barbarei" sind. Oder werden. 

Auch hier ist der Blitztwitterer zwischen "gut" und "böse", "Odin und Thor" in glückseliger Personalunion im Oval Office nicht alleine. Er ist nur ein Symptom der Erkrankung der gesamten, sich "zivilisiert" nennenden Welt. Einer Krankheit die weltweit mit anderen Erscheinungsformen und Symptomen auftritt. 

 

Das betrifft China und Russland nicht minder. Es handelt sich um eine Krankheit der gesamten Menschheit, die gefordert ist, Wege zum Überleben zu finden. Nicht nur für unsere Nächsten, Familie, Freunde und andere. Für die gesamte menschliche Species auf und mit Planet Erde. In erster Linie MIT Planet Erde. Endlich Freundschaft schließend mit einem viel mächtigeren Partner, den WIR bisher immer bis aufs Äußerste ausgebeutet haben. 

 

Im Bild hier der Blick vom Landeanflug auf Masar e Sharif im Norden Afghanistans weiter nach Norden hin zum Grenzfluss nach Tajikistan, den Amudarja. Anfang Juni 2010. Der antike Oxus ist wie der Aralsee, in den er später mündet zu großen Teilen bereits verlandet und versickert stellenweise komplett in der Wüste. Auch aufgrund von "übermäßiger Wasserentnahme". Und fehlender "Wasserkreisläufe". 

 

"Masar-e Scharif liegt in einer der fruchtbarsten Regionen des Landes."

Gleichwohl ist deutlich sichtbar, wie verwüstet und ausgetrocknet hier schon alles ist. 

Truppen und Waffen helfen an solchen Orten nur, wenn sie die Lebensbedingungen der Menschen und deren Ängste und Nöte annehmen. Und ihnen dabei helfen, "Demokratie, Freiheit und Menschenrecht" in ihrem bescheidenen Leben zu verspüren. Hoffnung und Perspektive zu entwickeln. "Nachhaltig".

Hoffnung kommt mit dem Willen zu Zusammenarbeit daher. Terror ist auch eine böse Frucht der Hoffnungslosigkeit. Das "Vertrocknen weiter Landstriche" ist genauso wenig "Naturgesetz" wie der Krieg und der Klimawandel. Dieser jedoch erfordert generell mehr "Resilienz". Und weniger Verdrängung. 

Einen genaueren Blick. Sonst befördert man indirekt auch die Verzweiflung derjenigen, die in Milizen an der griechisch-türkischen Grenze am Evros in West-Thrakien Flüchtlinge bekämpfen.  

 

Beide, die Flüchtlinge wie die Milizen sind auch ein Resultat "europäischen Wegduckens" unter deutscher Führung unter den "Problemen der Welt". Unter der Hegemonie der US. Des "Imperiums des Chaos", wie Pepe Escobar es immer nennt. Der strauchelnden Weltmacht. Diese jedoch muss man wieder zu einem "zivilisierten Umgang"  bringen. Bei allem Respekt dafür, dass sie zusammen mit den anderen drei Alliierten, insbesondere den Sowjets Europa und uns vor 75 Jahren vom Terror Nazi-Deutschlands befreit haben. 

Sollte zudem Matteo Salvini bald Giuseppe Conte in Rom beerben, dann hätten die "Erben europäischer Sozialdemokratie" insbesondere in Deutschland und den Niederlanden einen gewichtigen Teil der Verantwortung dafür zu tragen. Aber: das werden wir ja bald sehen. Und - alleine das zeigt, wie verworren die Situation derzeit ist. Und diese These lasse ich ohne weiteres hier im Raum stehen. 

 

Vielleicht könnte eine "Neue Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts", die die gewaltigen Herausforderungen, denen WIR uns gegenübersehen Ernst nimmt und sie programmatisch ausarbeitet, strategisch klug, bei Tag und bei Nacht Antworten geben. Aber vielleicht braucht es gar nicht solch ein "Label", geschweige denn eine solche Partei. 

Es gibt viele Konzepte und Erfahrungen in den Schubladen und den Köpfen vieler Menschen, die von den "Eliten" und anderen geblockt werden. Weil die Barbarei der "Naturgesetzlichkeiten" zum verwalteten Status Quo der "Alternativlosigkeit" geworden ist?

Aber die größte Gefahr für jedes Konzept und jede Idee ist in diesem Moment die Geiselnahme durch "korrodierte Eliten". "Philantropie", die nur dem korrumpierten Aktienindex folgt und so ihre wirklichen Hauptziele verschleiert: Gewinnmaximierung und totale Machtkontrolle. Noch einmal absoluter und resoluter als alles, was Staaten und ihre Militärs durchziehen. In Personalunion mit diesen aber umso gefährlicher. 

 

UNS hier auf und mit dem Planeten zu retten erfordert viel Geduld und den Willen, dafür zu arbeiten. Solidarität, die nicht von einer Firma oder Stiftung gekapert wird. Im Sinne aber der Vielfalt von Optionen und Wünschen und Erfordernissen. Insofern mit schmalen Einheiten und Körperschaften ausgeführt. Wo WIR die gemeinsame Vision eines besseren Platzes und einer besseren Zukunft für uns hier teilen. Und gewahr werden, wie viel Arbeit das erfordert. Mit diesem Planeten. Uns und unseren Kindern.

Und deren Kindern. 

Vor also den letzten zwei Einträgen in dieses "Tagebuch in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts" hinein, das so am 18. Januar 2020 gestartet ganz unmerklich die "Corona-Krise" begleitet hat, wünsche ich allen hier ein schönes Wochenende. Und meinen muslimischen Freunden Iftar mubarak am zweiten Abend des Ramadan. "Großkampftag" hier in "meinem Viertel mitten im Pudding der wunderschönen Scheißstadt" Düsseldorf, die wohl noch nie im April so trockene Rheinufer gesehen hat. Shalom. 

 

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© Stefan Frischauf