Die Wohnungskrise:

Neubau vs. Behebung des

Sanierungsstaus im Bestand

 

01.06. 2025                                 ca. 11 min. Lesezeit

 

Auch die neue Bundesregierung hat sich der „Wohnungsfrage als eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit“ angenommen. Hilft „Bauen, Bauen, Bauen“ allein aber, wie Friedrich Merz in seiner Antrittsrede fürs Kanzleramt gefordert hat? Und wie steht es mit seiner Aussage vom Tag der Bauindustrie: „Wer normal verdient, der muss ein normales Wohneigentum erwerben können. Es ist inakzeptabel, dass es in Deutschland in vielen großen Städten überhaupt nicht mehr geht"

 

Um diesen Diskurs auch formal und inhaltlich weiterzubringen, bedarf es tiefer gehender Betrachtungen vielschichtiger Konflikte, die die Wohnungskrise begleiten und sie maßgeblich prägen. Und dies auch nicht erst seit gestern.

 

Der „Eigentümer-Nutzer-Konflikt“ zwischen Wohnungseigentümern und bei mehr als der Hälfte der Bundesbürger Vermietern und Mietern = Bewohnern einer Wohnung ist da genauso Verhandlungs- und Betrachtungsgegenstand wie zweitens der städtebauliche Zielkonflikt zwischen „Innen- und Außenentwicklung“ im Rahmen also der Bauleitplanung und der damit einhergehenden Flächenentwicklungen und drittens das Thema der Ressourcen und Rohstoffe, der „grauen Energien“ in Neubau und Bestand. Letztlich soll das aber auch zum Lösen von gordischen Knoten hier geführt werden. Schließlich geht es um Möglichkeiten, rascher schon vorhandenen Wohnraum zu mobilisieren und / oder zu sanieren, anderen umbauten Raum umzunutzen, zu erweitern. Und diesen auch wieder den Märkten zuzuführen.  

 

 

1. Der „Eigentümer-Nutzer-Konflikt“

 

Im Schnitt leben 52,8 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als Mieterland Nummer 1 in der EU laut destatis zur Miete. In manchen Städten sind es bis zu 80%.

Der Terminus „kleinteiliger Streubesitz“ wurde in der Immobilienwelt bis vor wenigen Jahren auch für innerstädtische Eigentumsverhältnisse verwandt. Im Gegensatz zu großen Vermietungsgesellschaften handelt es sich hier um Eigentums- und Mietsituationen, wo verschiedene private Eigentümer wenige Wohnhäuser oder auch nur einzelne Wohnungen in ihrem Besitz halten und entsprechend vermieten.

Ein Schaubild zum „Anteil von Mietwohnungen nach Eigentümern“ aus den Faktenblättern zum deutschen Wohnungsmarkt 12/ 2023 dazu vom Zensus 2011 stellt die Situation wie folgt dar:

 

 

Weiterhin steht da geschrieben:

„Der Mietwohnungsmarkt unterscheidet sich regional deutlich. Ostdeutschland sowie die Stadtstaaten sind durch einen umfangreichen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestand gekennzeichnet. In den westlichen Flächenländern zeichnet sich die Eigentümerstruktur durch einen höheren Anteil privater Kleinvermieter aus. Privatwirtschaftliche Vermieter sind insbesondere in den Großstädten stark vertreten.“

 

Einen großen Wurf, wie die Politik in Berlin da einmal mehr fordert, kann es also kaum geben. Wichtiger scheint es, zumal im Hinblick auf „Eigentumsbildung“ eben auch von Seiten der Bundespolitik, den Fokus eher auf die besser zentral steuerbaren Eigentumsverhältnisse und Steuerlasten in einer in Sachen Vermögensbildung und Chancen immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft zu werfen. Lokale und regionale Vermittlung von Interessensausgleichen indes können auch mit kommunalen Maßnahmen wie etwa einem entsprechend ausgestatteten Quartiersmanagement vonstatten gehen. Leerstandskataster und eine entsprechende Anwendung der Bundesgesetze aus Wohnraum-Förderungsgesetz (§ 27 Abs. 7 Nr. 3 WoFG) und Baugesetzbuch (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) im Hinblick auf rascher wirksame Bebauungsplan-Verfahren gemeinsam mit entsprechendem Landesrecht dazu könnten bei wirklich vorhandenem politischen Willen schon einiges vor Ort bewirken. Bundesweit gesteuerte, klug ausgearbeitete gezielte Maßnahmen gegen „Wuchermieten“ bleiben davon unbenommen.

 

Vom Bedarf her ist einmal mehr in Bestand und Neubau und dabei verstärkt im geförderten Wohnungsbau die Monotonie der in den letzten Jahren erstellten Typologien von Wohnraum markant. Der zunehmenden Überbelegung von Wohnungen in Großstädten steht das überbordende Baurecht gegenüber, das flexible und mit Familienwachstum oder bald Auszug der Kinder einhergehende Grundrisstypologien im Neubau quasi unmöglich macht. Auch dort könnten mit einem pragmatischeren, einfach angemessenen Umgang mit dem Bestand und einem den Bedarf lokal ermittelnden transdisziplinären Quartiersmanagement viele Themen effizienter angegangen werden.

 

Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Ampel wird inzwischen fast überall nur noch als „Heizungsgesetz“ verspottet. Im Falle etwa von innerstädtischer Blockrandbebauung indes könnte ein entsprechendes Quartiersmanagement viele Einigungsprozesse maßgeblich auf den Weg bringen. Derzeit jedoch bedeuten „Modernisierung“ und „energetische Sanierung“ zumal in Anbetracht der vielschichtigen Eigentumsverhältnisse im Sanierungsstau des Bestandes allzu häufig eher Drohung statt Verheißung für Mieter. Dies gilt aber zumal bei steigenden Baukosten auch für viele kleinteilige Streubesitzer. Ausgleichende und zielorientierte Antworten darauf auch bei steigender CO2-Besteuerung im Rahmen des europäischen Zertifikatehandels sind sowohl von Seiten des Bundes, als auch von Seiten der Länder weiterhin eher Mangelware.

 

 

2. Städtebau: „Innen- vs. Außenentwicklung“

 

Geht es schon bei der Bestandsentwicklung einzelner Wohnungen und der auch im Gebäudeenergiegesetz (GEG) angegangenen Energiebilanz von Wohnraum um Themen, die auf Klimakrise und Folgen der globalen Erderwärmung reagieren, so wird dieses Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Klimazielen im Rahmen der Bauleitplanung im Hinblick auf „Bauen, Bauen, Bauen“ nochmals wesentlich deutlicher.

 

Im Vierjahresmittel 2019 bis 2022 wurden in Deutschland täglich rund 52 Hektar, entsprechend circa 72 Fußballfelder als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung von 2021 sieht die Reduktion dieses Zuwachses pro Tag bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar vor. 2050 soll dann im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft „netto null“ erreicht werden.

 

 

Auch hier bei dieser Grafik von destatis widerspricht das Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“ in diesen Diskursen weitestgehend verdrängten, um nicht zu sagen verleugneten, weil zwangsläufig über Legislaturperioden hinausgehenden gesellschaftlichen Zielsetzungen. Zumal in Anbetracht von 2025 als voraussichtlich zweitem Jahr in Folge, in dem das Ziel der 1,5° Erderwärmung im Mittel gerissen wird und damit auch viele Unsicherheiten auf allen Ebenen die Parameter für Planung selbst bestimmen. Die Haftungsfragen für die Planenden selbst müssen da zudem deutlich betont werden. In diesem Falle betrifft das besonders hydrogeologische Themen und ihre Bearbeiter: Baugrundgutachten und Niederschlagsberechnungen.

 

Innen- vor Außenentwicklung, also maßgeblich die Aktivierung innerstädtischer Brachflächen zudem auch für soziale Infrastrukturen soll da in und mit Hilfe vieler Gesetze geregelt werden: dem Raumordnungsgesetz (ROG) des Bundes von 2017, dem Baulückenkataster gemäß §200, Abs.3, BauGB, kommunale Vorkaufsrechte in §§24, 28 BauGB-E, Anforderungen zur Klimaanpassung im ungeplanten Innenbereich in §34, BauGB-E und alles dieses bis hin auch zur Enteignung in Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) in §§165 BauGB ff. und IEM = Innenentwicklungsmaßnahmen (Aus einem Vortragskonzept von Dr. Timo Munzinger vom Deutschen Städtetag, der darin insbesondere auf die vielen Lücken und damit unmittelbar zusammenhängenden Umsetzungsdefizite im Dschungel der Bauleitplanung zwischen nationalen und föderalen Gesetzestexten und letztlich Haftungs- und Gewährleistungsansprüchen in diesem Zusammenhang hinweist).

 

Gleichwohl gilt auch hier zumal im Hinblick auf die weiterhin im globalen wie im lokalen und regionalen Maßstab steigenden Grundstückspreise auch im Bestand und auf des Kanzlers‘ Postulat der Eigentumsbildung, dass ein vermittelndes Quartiersmanagement Genossenschaftsbildung etwa durch Erbpacht projektweise auf den Weg zu bringen vermag. Der politische Wille des Bundes und Hoheitsrechte örtlicher Planungsbehörden müssen diese Art von Vermittlung jedoch verstärkt fördern wollen.

 

Die „Neu-Formation von Genossenschaften“, wie in diesem eigenen Schaubild von 2014 vermag zudem viele weitere Impulse für den Ausbau sozialer Infrastrukturen zu geben. In Bestand, Sanierung wie Erweiterung und Neubau von Wohn- und Siedlungsräumen aller Arten.

 

 

3. Ressourcen und Rohstoffe,

„graue Energien“ in Neubau und Bestand.

 

Hier sind die Maximen der Verdrängung und Verleugnung von Realitäten eigentlich am augenfälligsten. Und das Verschließen der Augen vor den entscheidenden Themen hält hier zudem am längsten an.

 

 

Rund 67 %, also 13 Mio. von 19,5 Mio. Gebäuden in Deutschland 2022 sind Einfamilienhäuser. Dazu gehören aber auch sehr viele zumal auf Genossenschaftsbasis in den 1950ern bis tief in die 1970er Jahre gebaute primär Reihenhaussiedlungen in Ost und West.  

 

 

Das stellt sich auch deutlich im Peak hier 1946-1977 dar.

 

 

Die Anzahl der Wohneinheiten per se indes zeigt da ein anderes Bild: Rund die Hälfte aller Wohneinheiten befindet sich in Mehrfamilienhäusern, inkl. Wohnheimen, dem so genannten „Geschosswohnungsbau“. Dieser verzeichnet letztlich seit den 1970er Jahren die größten Zuwachsraten (dena-Gebäudereport 2024).

 

 

Hier sagt schon die Überschrift aus dem Energiewende Newsletter des BMWE 03 / 2015 viel. Dauerte es schon sehr lange, bis man sich auf Kaltmiete = 1/3 des örtlichen Einkommensmedians als Grenzlinie für „bezahlbaren Wohnraum“ einigte, so kam spätestens mit der Gaskrise infolge der russischen Invasion in der Ukraine 2022 eine Art „Zweitmiete“ mit exorbitant gestiegenen Energiekosten dazu. Der globale Druck auf die Grundstückspreise, örtlicher „Mietwucher“ und für Nutzer und Eigentümer im „kleinteiligen Streubesitz“ wie für Planer immer wieder höchst intransparente Fördersysteme tun ihr Übriges, um den Bestand hier als reine Beute erstarren zu lassen. Zumal „energetische Sanierung“ zumeist der Fassade die gerade bei diesen Baujahren zutage tretenden weiteren Schwächen eher ausklammert: Schadstoffbelastung etwa durch Asbest und PCB und eklatante Mängel im konstruktiven und konzeptionellen Brandschutz.

 

Auch hier fehlen örtliche, bis hin zu projektweisen Datenerhebungen, die zu dem Leerstandskataster auch mögliche Schadstoffkataster darstellbar macht und Planung somit enttabuisiert im Hinblick auf effiziente Fortschreibungen. Ein pragmatischer Umgang mit dem Bestand auch im Sinne des Gemeinwohls gemäß Art. 14, 1-3 GG erfordert flexible Bewertungen und Abwägungen von Maßnahmen zur Aufwertung und Wiedereingliederung von Wohnraum als Schutz- und Freiraum, somit als Kernelemente der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge. Vergünstigte Zinssätze für Um- und Weiterbauplanungen in lokalen kleinteiligen Wettbewerbsverfahren: es gibt viele Wege, erstarrte Märkte vor Ort wiederzubeleben.  Einmal mehr vermag diese Vermittlung gerade zum jetzigen Zeitpunkt am ehesten ein entsprechend autorisiertes Quartiersmanagement zu leisten. Auch die Umnutzung leerstehender Büroflächen kann so im Hinblick auf ökonomische Eck- und Kerndaten besser im Sinne des Gemeinwohls darstellbar gemacht werden. Fehlen alleine der politische Wille und das Geld?

 

 

4. Synopsis: Der gordische Knoten der Wohnungskrise

 

Da eine Krise nicht von heute auf morgen kommt, sondern vielmehr allzu häufig verdrängte, bisweilen gar verleugnete Transformations-, also in diesem Sinne auch vergeudete Um- und Weiterbauchancen dokumentiert, stellt sich hier bei allen Devisen auch die Frage, wieviel die neue Regierung und der Kanzler von dem Dschungel, in dem wir da (über-) leben und arbeiten wirklich verstanden haben. Womit sie sich kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden scheinen. Wo es aber vielleicht auch endlich weniger Beratungsresistenz von Seiten der Berliner Politik geben sollte. Vielleicht auch, weil man sich endlich ernsthaft mit besser und rascher sozial- und klimaverträglichen Lösungen für die „Wohnungsfrage als eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit“ beschäftigen sollte. Lösungen, die durchaus die brach liegende Wirtschaft wieder maßgeblich beleben könnten. Bottom-up und top-down. Den gordischen Knoten auch des überbordenden Baurechts wird man nur mit neuen gemeinsamen Erzählungen zerschlagen oder anderweitig lösen können. Davon sind sowohl Herr Merz und seine Leute, als auch örtliche Verwalter der Planungshoheit noch sehr weit entfernt.

 

Die installation eines entsprechend autorisierten inter- / transdisziplinären Quartiersmanagements indes hat einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Bürger als Marktteilnehmer als wesentliche Prämisse, derer sich Regierung und Verwaltung erst einmal stellen müssen. In der Regel wird der Terminus „frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit“ in der Leistungsphase 1-3 der Bauleitplanung verwandt, wenn ein Investor und / oder Eigentümer des Bestandes bereits mit seinen entsprechenden Ertragsberechnungen auf den Plan getreten ist. Die Bündelung der Interessen von Mietern und auch von kleinteiligen Streubesitzern indes erfordert viel Verhandlungsspielraum und eine entsprechend gestaltete transparente Verhandlungsführung. Vertrauensaufbau, der letztlich zur Ermächtigung von Bürgerräten und Mietergemeinschaften durch Bildung von Genossenschaften und Aneignung vom Bestand durch Erbpacht gebracht werden kann. Ein „Mietenstopp gegen rechts“ vermag so auch in Um- und Weiterbau von Quartieren in Städten und Regionen synergetisch und perspektivisch zu einem Wiedererstarken der Mitte der Gesellschaft geführt werden.

 

Ob aber dies alles auch in Zusammen-/ Aufbauarbeit mit bestehenden Behörden in Planung und Ausführung wirksam werden kann, das obliegt auch der technokratischen Verpackung von Austerität in Krisenzeiten, die bald zumal in Anbetracht der „reinen Ökonomik“, der Migration und des Krieges vor der Tür als Notzeiten deklariert werden könnten. Mit einmal mehr alternativlos autokratischem Ausgang zugunsten von so genannten Leistungsträgern und Eliten. „Die Ordnung des Kapitals“ eben. Es gibt jedoch reichlich Themen, wie da gegengesteuert werden kann.

 

 

 

 

 

 

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PS / Nachwort am 09.06.2025:

 

Marcel Fratzscher geht in seiner ZEIT-Kolumne „Fratzschers Verteilungsfragen“ im Beitrag zur Wohnungskrise vom 3ß.05.2025 unter dem Titel „Schluss mit den Preisexzessen“ weit in den operativen Instrumentenkasten hinein. Max Hauser berichtet in Surplus am 07.06. 2025 über eine Studie, die auch im Hinblick auf die „Mietpreisbremse“ darlegt: „Mietpreiskontrollen reduzieren die Ungleichheit“.  Der "Bauturbo", § 246-E Bau-GB, den SPD-Bauministerin Verena Hubertz aus Trier im Podcast . Wie wird Wohnen bezahlbar, Frau Hubertz? vom 29.05.2025 . als große Hoffnung darstellt: das Thema der „Wohnungskrise“ als „DIE soziale Frage“ ist derzeit medial stark präsent. Andere Wege indes der Wohnraummobilisierung eben auch des Bestandes können auch noch wesentlich rascher mit 246-E, Gebäudetyp E und anderen Gesetzestexten aktiviert werden. Der angemessene Umgang jedoch, so dass Top-down und Bottom-up da sich vor Ort treffen können: das ist der Schlüssel.  

 

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© Stefan Frischauf