Xi Jinping, WIR und der „Neo-Konfuzianismus“
Andrea Nahles und der „Neoliberalismus“.
(hier wieder auch auf "NachDenken...in München")
1
„Die Welt des Xi Jinping“ 1 und „Der tausendköpfige Drache“ 2, zwei Arte-Dokumentationen
über China und den mächtigsten Mann an der Spitze des Landes zeichnen für den westlichen
Betrachter ein Furcht erregendes Bild vom „Reich der Mitte“.
Meine Wenigkeit hat dieses Land 1989, einen Monat nach Niederschlagung der
Studentenbewegung auf Pekings „Platz des Himmlischen Friedens“ von Indonesien
kommend zum ersten Mal bereist.
Über die drei Monate, die ich durch das große „Reich der Mitte“ fuhr,
habe ich viele Jahre lang kaum gesprochen.
Die Angst vor Bürgerkrieg war damals überall greifbar.
Das Lächeln im „Land des Lächelns“ war gefroren.
„Und meine Reisen in China haben wahrhaftig wenig Bedeutung verglichen
mit den tastenden Schritten im Dunkeln vom Bett zur Küche,
auf der Suche nach einem Glas Wasser.“
Wie Ennio Flaiano, Journalist und Schriftsteller und Drehbuchautor unter anderem auch von
Federico Fellinis „La Dolce Vita – Das süße Leben“ sagt.
Als ich ab November 2011 ein halbes Jahr lang im schönen Hangzhou im reichen Osten
des Landes arbeitete, da stand ein anderer radikaler Wechsel ins Haus:
Die chinesische Immobilienblase war geplatzt. Die Frage war nur noch:
würde es eine harte oder eine weiche Landung geben? Und:
wie würde sich das auf Weltwirtschaft und Weltpolitik insgesamt auswirken?
Besonders „Die Welt des Xi Jinping“ 1 zeigt, dass China derzeit wieder in einer
ähnlichen drastischen Phase des Umschwungs, vielleicht aber auch des Ab- oder
Umbruchs zu sein scheint. Viele Vorzeichen auch bei uns haben sich geändert.
Gerade gegenüber China. Dies gilt es denn auch hier genauer zu betrachten.
Was da reale Bedrohungen sind oder werden können. Wie aber daraus trotz
allem auch Chancen werden sollten. Müssten.
Inhalt
1 Xi Jinping und „Der chinesische Traum“
2 „Wer ist Xi Jinping und welche Welt plant er für uns?“
3 Karriere des Sohns eines „Geächteten“:
„Anpassung oder Wagnis“?
4 Traum – Alptraum – Rückbesinnung: Revanche?
5 Anforderungen an
eine „europäische und soziale, eine
demokratische Geschichtsschreibung“ heute.
6 2019: Chinas schneller Aufstieg, „freie Märkte“ und nur
gemeinsam zu bewältigende Herausforderungen
7 Totalitarismus als Garant für Stabilität?
8 Chinas Außenpolitik: „Die neue Seidenstraße“
9 Was müsste eine „neue Sozialdemokratie“ im
21. Jahrhundert endlich zumal mit China leisten?
10 Chinesische Einflussnahme und militärische Präsenz
11 Xis Versuch der Verknüpfung von Mao und Deng
12 Zwischen „Neo-Liberalismus“ und „Neo-
Konfuzianismus“; „Individualismus“, „Kollektivismus“
und „Totalitarismus“: „Anpassung oder Wagnis“:
Und WIR in Europa dazwischen? - Perspektiven 2019ff.
Statt eines Nachrufs: Susi Neumann, wie ich sie verstehe
1 Xi Jinping und „Der chinesische Traum“
Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas,
Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und seit 2013 Staatspräsident des Landes.
Der „Oberste Führer der Volksrepublik China“ ist zudem seit der Entscheidung des
Nationalen Volkskongresses, des mit 3.000 Mitgliedern größten Parlaments der Welt
„am 11. März 2018, die in den 1980er Jahren eingeführte Amtszeitbegrenzung des
Präsidenten aufzuheben und damit Xi Jinping eine Amtszeit über das Jahr 2023 hinaus zu ermöglichen“
definitiv in die Fußstapfen von Mao Zedong getreten. 3
Zum Jahreswechsel 2018 / 19 wird eine solche Präsidentschaft auf Lebenszeit
im sich neu ausrichtenden „Reich der Mitte“ in „Die Welt des Xi Jinping“ als
„Bedrohung für unsere westlichen Werte“ dargestellt. 1
Die von Ludger Elmer am 25.02.2018 auf der Ulmer Regionalkonferenz zum
Mitgliedervotum der SPD für oder gegen die „Groko“ notierte Äußerung
der damals kurz vor der Wahl zur Parteivorsitzenden stehenden Andrea Nahles
steht deutlich im Kontext dieses Bedrohungsszenarios:
„Nicht der Neoliberalismus sei das Problem, sondern der chinesische Staatskapitalismus.“ 4
Die Frage ist also zu stellen:
Inwiefern ist dieses Bedrohungsszenario gerechtfertigt?
Ist die in „Die Welt des Xi Jinping“ durchaus rational begründete
„Angst vor einer gelben Gefahr“ begründet? Oder besser: in welchem Falle
könnte diese Gefahr 2019 und in der Folge wirklich akut werden? Oder noch besser:
Was ist zu tun,
um dieser Gefahr mutig gegenüberzutreten
und sie somit denn auch abwenden zu können?
2 „Wer ist Xi Jinping und welche Welt plant er für uns?“
ist eine im Film anfangs gestellte Frage.1
Diese ist insofern auch zu überprüfen und einer realistischen „Risikobewertung“ zu unterziehen.
Auch und vor allem im Hinblick auf den zitierten „Angriff auf die freiheitlichen Ideen“,
die „7 westlichen Ideen, die am gefährlichsten für China sind.
Darunter die Demokratie, die universellen Menschenrechte
und die Pressefreiheit“. 1
„Werte“ und „Ideen“, die uns natürlich „im Lichte der Aufklärung heilig“ sind.
„Werte“, die eben von der „freiheitlichen Demokratie“ ausgehen.
Eine „westliche Gefahr“, die Xi Jinping also befürchtet und deren Bekämpfung
von Seiten „seines Chinas“ auch sogleich von westlicher Seite als
„chinesische Bedrohung“ und Menetekel an die Wand gemalt wird.
„Chinesische Propaganda, die den Westen ständig kritisiert,
unsere Werte verurteilt und die politischen Ideale zu bekämpfen versucht“.1
Der „offene ideologische Krieg“ indes, von dem da gesprochen wird:
er wird ständig auf diese immer wieder beschworenen
„Werte“ und „Ideen“ zurückgeführt.
Ist die auch hier wieder beschworene „liberale Demokratie“ jedoch in ihrer
derzeitigen Ausprägung im historischen Kontext des 20. und jetzt,
des beginnenden 21. Jahrhunderts so noch tragfähig? Und vor allem:
wo stoßen wir an „Grenzen und Irrtümer des Idealismus“? Und wo und wie
können wir das für uns vitale Interesse, „Freiheit und Demokratie“
weiter zu entwickeln im Zuge eines „Neuen Realismus“ in einer
mehrpoligen Weltordnung verwirklichen? 5
In einer „mehrpoligen Weltordnung“ also, in der Europa auch geostrategisch
seiner neuen Rolle als „geografisch dazwischen stehend“ zwischen den
US und China gewachsen ist?
Wo Europa als Mittler und Bezugspunkt, also als selbst nicht zu
übergehender „Pol“ ein gleichwertiger Partner auf Augenhöhe sein kann?
3 Karriere des Sohns eines „Geächteten“:
„Anpassung oder Wagnis“?
Xi Jinpings Traumen in Maos Kulturrevolution, die Ächtung seines Vaters
und Landverschickung des Heranwachsenden, des Teenagers erwecken
zunächst den Eindruck des „Opfers“.
Xis Entschluss dann, der Gefahr von Abstieg und Fall durch
„Über-Anpassung“ zu begegnen, also „der beste Maoist und Kommunist“ zu werden:
das ist ein wesentlicher Teil seiner Geschichte, die ihn der „Opferrolle“
entkommen lässt. Wird er damit aber automatisch zum Täter?
Und: was heißt das dann?
„Praktische Erfahrung“, die für einen „erstklassigen roten Prinzen unerlässlich ist“ 1 -
die Hinwendung des jungen Mannes und endlich Parteikarrieristen dann zum
„Konfuzianismus im kommunistischen Gewand“, die Arbeit von unten und
aus der Provinz heraus in die Machtzentralen, die Heirat einer starken,
anfangs bekannteren Frau, der erste Parteijob als Sekretär des
Verteidigungsministers: das sind weitere Teile seiner Biographie.
Sein einziger Rivale dann um den Parteivorsitz 2012:
„der charismatische Bo Xilai, ein anderer roter Prinzling“. 1
Bo Xilais Vater gehört gleichfalls dem engsten Machtzirkel um Mao Zedong an,
fällt jedoch nicht in Ungnade wie der Vater Xis. Bo ist bis 2012 Parteiführer
und Bürgermeister in Chongqing, der mit rund 30,5 Mio. Einwohnern im Großraum
am Oberlauf des Jangtse und Zusammenfluss von Jangtse und Jialing
gelegenen größten Stadt der Welt als Verwaltungseinheit (2016). 6
„Bo galt als Vertreter und Hoffnungsträger des linken Flügels der Partei.
Er strebte eine Rückbesinnung auf die Mao-Zedong-Ära an
und bekämpfte eine Ausweitung der marktwirtschaftlichen
Orientierung der Parteiführung.“7
Als Bo Mitte März 2012 abgesetzt und er und seine Frau
verhaftet wurden,
arbeitete ich in Hangzhou, rund 180 km südlich von Shanghai.
Die „Putschgerüchte“, die verschärfte Internet-kontrolle mittels Abschaltung
„sozialer Medien“, die ständige Präsenz von Militärflugzeugen und
Hubschraubern im Luftraum über Hangzhou an diesen Tagen:
das ist mir noch sehr gut in Erinnerung.
Welche Intrigen und Ränke da dazu verholfen haben, den
Sohn Bo Yibos,
wie Deng Xiaoping also von einem der „Acht Unsterblichen“ 7 nun
als „Linksabweichler“ zum Geächteten zu machen und ob auch Xi darin
eine Rolle als „Täter“ spielt: das ist sicher eine spannende Frage,
die aber im Schweigen hinter den Mauern der Verbotenen Stadt
vergraben werden wird.
Denn: dass Xi Jinping seinen „Kampf gegen die Korruption“
gleichwohl nutzt,
um politische Gegner aus dem Weg zu räumen: auch das wird im Film gesagt.
Auch zwischen der „Großen Halle des Volkes“ und der
„Verbotenen Stadt“ in Peking
kochen die Mächtigen mit Wasser. Und auch dort fragen nicht wenige sich bisweilen,
was denn nun wirklich das Besondere an der neuen Kollektion von
„Des Kaisers neuen Kleidern“ 8 ist.
4 Traum – Alptraum – Rückbesinnung: Revanche?
Xis „Chinesischer Traum“ indes, dass China bis 2049, also zum 100-jährigen Jubiläum
der Volksrepublik zur „weltweit größten Wirtschafts- und Militärmacht“ 1 werden soll:
das weckt nicht zu Unrecht Bedrohungsängste beim westlichen Betrachter.
Das Programm des „Traumes“, das Xi zudem als
„Wiedergeburt“ bezeichnet, beruft sich
auch auf die Traumen und Demütigungen der chinesischen Nation aus ihrer jüngeren Geschichte:
Allen voran die Opiumkriege in den 1840er Jahren und demzufolge,
„die Kränkungen, die der Westen dem Land zufügte“. 1
Diese Kränkungen und Demütigungen gipfelten, nachdem
Millionen von Chinesen infolge der
Öffnung chinesischer Warenmärkte für Opium, wichtigstes Exportgut Britisch-Indiens
danach süchtig geworden waren in den „Ungleichen Verträgen“, die den Verlust auch
territorialer Souveranität und von Hafenrechten etwa in Shanghai, Canton (Guangzhou),
Hongkong und Qingdao für China bedeuteten. Eine Art
„verdeckte Kolonialisierung des Reichs der Mitte“ geschah so.
Die britische Sinologin Julia Lovell hat dies 2011 eindrücklich in
„The Opium War: drugs, dreams and the making of China –
Der Opiumkrieg: Drogen, Träume und die Entstehung Chinas“ 9
beschrieben.
In der deutschen Geschichtsschreibung sind die
Opiumkriege eher eine kleine Randnotiz.
Julia Lovell spricht von einem Opiumkrieg und bewertet denn auch den ersten Opiumkrieg,
der von 1839 bis 1842 andauerte als das Schlüsselereignis.
In der britischen Geschichtsschreibung indes auch gerade
Großbritanniens
als Kolonialmacht und demzufolge auch des Commonwealth ist der Opiumkrieg
eine heute wieder neu erörterte, wie der Rezensent Rana Mitter im Guardian sagt,
eher „schamvolle Episode britisch-chinesischer Beziehungen“. 9
„Das Gefühl der Erniedrigung angesichts all dieser ausländischen Aggressionen
ist bei den Chinesen sehr tief verwurzelt."1
Das „kollektive Gedächtnis“ eines Volkes und einer Nation ist im Rahmen von
„globalem Lernen“ von- und übereinander und im Rahmen
„demokratischer Willensbildung“
immer wieder neu zu verorten. Geschichtsschreibung muss insofern
diesen politischen „Dialog der Nachgeborenen“ würdigen und herausfordern.
Eine „europäische Geschichtsschreibung“ muss dies noch
viel mehr entsprechend
vorantreiben. Auch wenn das Vereinigte Königreich aufgrund der dummen,
„populistisch einfältig gelenkten“ Entscheidung des Brexit bald wahrscheinlich
nicht mehr formaler Teil der Europäischen Gemeinschaft ist und 1839 bis 1842 die
alleine Krieg führende Nation war, so ist diese „schamvolle Episode“ insgesamt
im Verhältnis zu China in Europa aufzuarbeiten.
Die Zerstörung des kaiserlichen Sommerpalastes erfolgte durch britische
und französische Truppen. Die Handelskonzessionen in Shanghai bewirkten
auch eine Aufteilung in von Briten und von Franzosen kontrollierte Stadtteile.
Qingdao geriet unter deutsche Kontrolle.
Insofern ist es durchaus nicht grundlos, dass die Chinesen von
„Wunden aufgrund von Aggressionen des Westens“ sprechen.
Zumal dann auch im Sinne von Bertolt Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“
zu erfragen ist, wer am meisten von Opiumkrieg und Handelskonzessionen profitiert hat.
Bertolt Brecht lässt den die Geschichtsbücher lesenden
Arbeiter ja unter anderem fragen:
„Der junge Alexander eroberte Indien.
Er
allein?
Cäsar schlug die
Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen
Koch bei sich?“10
Die einige Zeilen später gestellte Frage:
„Wer bezahlte die Spesen?“10
ist auch nach den Fanalen der beiden in und von Europa ausgehenden
Weltkriege und am Ende der Kriege nach 1998 und dann nochmals 2001
unbedingt neu zu stellen.
5 Anforderungen an eine „europäische und soziale,
eine demokratische Geschichtsschreibung“ heute.
Handelt es sich bei den vielen Stellvertreterkriegen
am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert nur um
„Störfälle der Globalisierung“?
Ist der Versuch einer Neuordnung der Stände und Klassen
nach Ende des
2. Weltkrieges gescheitert? Stände und Klassen, die als durchlässige
Schichten ausgebildet ja maßgeblich „Chancengleichheit“ und
„Demokratie in sozialen Marktwirtschaften“verkörpern sollten?
Zur integrativen europäischen Anforderung an die Geschichtsschreibung kommt
insofern noch die soziale - man möchte sagen: die sozialdemokratische Komponente,
die eine europäische Geschichtsschreibung innerhalb der globalen Geschichte
des 21. Jahrhunderts erfüllen muss.
Auf das innenpolitische Dilemma der „Reparatur des Hartz-IV-Gesetzes“ durch
das Bundesverfassungsgericht soll jetzt hier nicht vertieft eingegangen werden.
Jenes Gesetzes, „ über die Grundsicherung für Arbeitssuchende", das,
„seitdem es dieses Gesetz gibt, ein Gesetz zur Grundverunsicherung der
Arbeitssuchenden“ 11 ist, wie Heribert Prantl es bezeichnenderweise
in der Süddeutschen bezeichnet.
Es geht hier primär um die Stellung denn auch Deutschlands
und der Sozialdemokratie gegenüber der „Globalisierung“ –
gegenüber dem „Rest der Welt“.
Insofern gilt es auch, Xis und andere chinesische Stimmen, die von
„der westlichen Aggression als Ursache des chinesischen Traums“ 1
und „Wiederaufbau“ und „Mission“ zum Erreichen einer
„Vormachtstellung durch Rückkehr zur Größe des Kaiserreichs China“,
„Unterwerfung des Volkes unter den Plan“ zur „gemeinsamen Welteroberung“ 1
sprechen mit moderateren Verhandlungspositionen von chinesischer Seite abzuwägen.
Das martialische Auftreten strauchelnder Weltmächte haben wir schließlich
in einem seltsam „postheroischen Duktus“ gerade selbst mit unseren Partnern
in der so genannten „westlichen Wertegemeinschaft“ er- und überlebt.
Insofern gilt es auch, Xis „neue Ideologie“ und seinen
„globalen Entwicklungsplan für China“ 1 angstfrei ohne Aufgabe der
eigenen Identität auf Augenhöhe als Partner und Vermittler mit zu gestalten.
6 2019: Chinas schneller Aufstieg, „freie Märkte“ und nur
gemeinsam zu bewältigende Herausforderungen
Eine Tatsache, die in allen westlichen Diskursen zu China immer
wieder vergessen wird: Seit rund 30 Jahren umgehen westliche
Unternehmen wichtige und begründete Regeln bei uns und ziehen „Produktivkräfte“ ab.
Diese Regeln beinhalten primär:
Dinge, für die die Arbeiter und Gewerkschaften lange bei uns gestritten,
und teilweise auch erbittert gekämpft haben. Und mit ihnen auch große Teile der
„Bürgerschaft“, die gesehen haben, wie industrielle Produktion uns in
Sackgassen geführt hatte. Uns und nachfolgende Generationen.
„Globalisierung“ hat so in der „Schattenwelt der Konkurrenz“
individueller Interessen zu stetigen „Stellvertreterkriegen“ auf allen Ebenen geführt.
China als großer Absatzmarkt für Waren aller Art wurde so zur „Werkbank der Welt“.
Das rasante Tempo dieser „Befreiung von mehreren hundert Millionen,
wahrscheinlich jetzt rund der Hälfte der chinesischen Bevölkerung, also rund
700 Mio. Menschen aus der Armut“ innerhalb von nur einer Generation
jedoch zeigt nun deutlich einige „Nebenerscheinungen“, die uns alle bedrohen:
Diese Themen jedoch werden wir nur gemeinsam bewältigen
können.
Die derzeitig vorherrschende Polarität der „liberalen Demokratie“ bei uns
übersieht dabei willentlich die eigene Verantwortlichkeit.
Neue Feindbilder werden geschaffen.
In China jedoch macht man es umgekehrt genauso:
Der „Neo-Konfuzianismus“ und „freie Märkte“ mit
„Individuen, die selber Vorsorge
für eigenverantwortliche Themen“ treffen sollen, schaffen unauflösbare Gegensätze.
Auch hier werden Pragmatismus und gesellschaftlicher
Zusammenhalt fehl geleitet.
Brüche, die dem „Reich der Mitte“ immer wieder sehr gefährlich wurden im 20. Jahrhundert.
Und uns hier nicht minder.
7 Totalitarismus als Garant für Stabilität?
Wirtschaftliche und (gesellschafts-) politische Entwicklung erfolgt immer und
überall nicht linear, sondern zumeist eher schubweise. Und schon gar nicht
verläuft so ein Prozess immer im selben Tempo.
Zyklen und Phasen wechseln einander ab.
Wenn da also gesagt wird, dass nach Meinung des wichtigsten Beraters Xis,
Wang Qishan „sozialer und politischer Fortschritt“ warten kann, dann ist dies
eben auch der Angst vor vielen blutigen Verwerfungen in der jüngeren turbulenten
chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts geschuldet.
Zumal hier gekoppelt mit den persönlichen Rückschlüssen Xi Jinpings
aus seiner eigenen Geschichte als „oberster Mann des Volkes im Reich der Mitte“
und ergo auch wichtigster Entscheidungsträger.
Gleichwohl kann man diesen „Totalitarismus“ auch als eine
„Art Zwischenphase“ betrachten. Deren Länge wiederum hängt auch
vom Vertrauensaufbau mit uns, dem Westen ab.
Diese Abhängigkeit ist begründet durch
Sprich: unserem Verständnis von China und
Ob und wie die im Film „Die Welt des Xi Jinping“
zitierte
„große Anti-Korruptionskampagne“ wie dort gesagt
„Machtsicherung und Machterweiterung des Parteiapparates und der Führung Xis sichert“ 1
oder nicht vielleicht schon zunehmend zu massiver Verunsicherung
vieler Menschen in den staatlichen Verwaltungen führt und somit auch ins Gegenteil umschlägt –
auch das gilt es, sorgsam zu beobachten.
Mehr als 1,5 Mio. Parteifunktionäre, die im Gefängnis
landeten – das ist keine kleine Zahl.
Und es verunsichert alle Schichten, wenn dann auch von Xi als „erbarmungslosem Diktator“
gesprochen werden kann. Zumal er ja wirklich ganz wesentliche Elemente der Machtteilung
zwischen Staats- und Parteiführung, die Deng Xiaoping noch beibehielt in sich vereinigt hat.
Öffentliche Selbstanzeigen sind im digitalen Zeitalter
denn auch hunderte von
Millionenfach abrufbare Fortführungen der Maßnahmen der Kulturrevolution.
Und diese können so auf Dauer nicht den weiteren politischen und wirtschaftlichen
Fortschritt der chinesischen Gesellschaft auf dem Weg zu (Chancen-)Gleichheit
einerseits im Sinne des Verfassungsziels Kommunismus und die Befreiung
von den Fesseln des Feudalismus andererseits gewährleisten.
Der „Gesichtsverlust“ ist in allen Kulturen ein gewichtiges Thema.
8 Chinas Außenpolitik: „Die neue Seidenstraße“
1
Das gewaltige Investitionsvolumen der Infrastrukturmaßnahmen zur
Verknüpfung Asiens und Europas sprengt in Anbetracht der vielen
„Investitionsblasen“ gerade im Immobiliensektor, die wir in den letzten Jahren
und Jahrzehnten gesehen haben einmal mehr den Maßstab und macht schon etwas Angst.
Und: diese Investitionsblasen gehen zudem ja auch mit gewaltigem Ressourcenverbrauch einher.
Die Themenkomplexe
Dafür muss Europa sich weitaus konsequenter und mutiger
positionieren
und mittel- und langfristige Strategien entwickeln.
Die Beschleunigung von Warenhandel und Absatz darf nicht
auf Kosten
lokaler und damit energiearmer oder gar energieautarker
„Subsistenz- und Gemeinwohlökonomie“ geschehen.
Der Konflikt zwischen „zentraler Steuerung“ einerseits
und
„dezentralen Strukturen“ andererseits bedarf immer eines
ganz besonderen Augenmerkes. Und größter Sorgfalt.
Die in „Die Welt des Xi Jinping“ dargestellte Konkurrenz
zum Westen,
die gar zur Formulierung der mittels der Seidenstraße erfolgenden
„Umgehung der Westmächte, um ihren Einflussbereich nach und nach auszuhöhlen“ 1
führt, kann durch entsprechende Stärkung dezentraler Strukturen auch entlang der
Seidenstraße mit den dortigen Ländern und Völkern zu einer konstruktiven
und effizienten Partnerschaft geführt werden.
Dies kann auch zu einer mittel- und langfristigen
Planungsstrategie von westlicher
Seite und ganz wesentlich:
zur Kooperation mit China geführt werden.
Kernpunkt ist bei all dem:
Interessensausgleiche und Stärkung lokaler, dezentraler Strukturen.
Mithin: Ein genauer Blick. Und dann der Aufbau von
(sozial-)
demokratischen Vorwärtsstrategien.
Kluge Kooperation statt dummer Konfrontation.
9 Was müsste eine „neue Sozialdemokratie“ im
21. Jahrhundert endlich zumal mit China leisten?
Das Dilemma der westlichen „Entwicklungshilfe“ der
letzten Dekaden war genau das,
was Xi Jinping jetzt mit dem Seidenstraßenprojekt laut Film verfolgt:
Man gibt den ärmsten Ländern Geld zum Aufbau ihrer Infrastrukturen,
aber die große Gefahr besteht, dass unter gegebenen Bedingungen
Insofern könnte Europa da mit Augenmerk auf diese Themen
und Konfliktfelder „effiziente, auf Interessensausgleiche abzielende Projektsteuerung“
durchführen. Dies geht auch einher mit einer Neubestimmung von
Entwicklungs-Zusammenarbeit unter diesen „sozialdemokratischen Maximen“ im 21. Jahrhundert.
Dafür jedoch bedarf es genau dieser strategisch klugen Verhandlungsführung
und Vermittlung mit Chinas Führung und lokalen Kommunen,
einzelnen Staaten
entlang der Seidenstraße. Nur so kann man vermeiden, dass China
wie etwa im hier dargestellten Falle des Containerhafens in Sri Lanka
aufgrund der Rückzahlungsunfähigkeit der Kredite von Seiten der Regierung
in Colombo dieselbe „verdeckte Kolonialisierung“ mit Drittstaaten praktiziert,
die es nach dem Opiumkrieg lange schmerzhaft vom Westen erleiden musste.
Zu Lasten in diesem Falle des Volkes der Singhalesen und
Tamilen
in einem ohnehin sehr fragilen Staat.
Insofern kann man bedingt Sigmar Gabriel in seinem
Statement
vom Februar 2018 zur „imperialen Note des chinesischen Seidenstraßenprojektes“
zustimmen. Was jedoch weiterhin fehlt, gerade von Seiten der
europäischen Sozialdemokratie sind Wille und Strategie, dem entsprechend gegenüberzutreten.
„Freiheit, Demokratie und individuelles Menschenrecht“ 1,
die Sigmar Gabriel da als Gegensatz zum chinesischen
Modell betont,
bedürfen nach den Kriegen 1998 bis 2018 und nach „Austeritätsdogma“
und Abbau der sozialen Komponenten unserer „Marktwirtschaften“ einmal mehr einer
„neuen sozialdemokratischen Fassung“. Auch und gerade im Dialog mit
fragilen Staaten und vulnerablen Gesellschaften auf der südlichen Hemisphäre.
Da müssen wir viel entschiedeneren europäischen
Zusammenhalt erreichen.
Gerade von links der Mitte.
So wie es ja auch Jean-Pierre Raffarin, republikanischer
Premierminister
in der Regierung Chirac 2002-2005 betont.
Dass er als konservativer Franzose damit jedoch
„(sozial-) demokratische Interessensausgleiche in der Entwicklungs-Zusammenarbeit“ meint,
das kann hier soweit eher ausgeschlossen werden.
Und: dass etwa die wirtschaftliche und damit auch
wachsende politische Abhängigkeit
Griechenlands von China auch mit der Verschleppung der Eurokrise gerade
auch von deutscher Seite zu großen Teilen begründbar ist: das ist leider auch
nicht von der Hand zu weisen. Auch Serbien und Ungarn, die vermehrt chinesische
Investitionen erlaubt haben und insofern Pekings Schuldner sind, nehmen
in Menschenrechtsfragen China in Schutz. Warum wohl?
Die ablehnenden Aussagen des portugisischen
Regierungschefs und
Sozialisten Alberto Costa auf Emanuel Macrons Forderung eines europäischen
Protektionismus gegenüber chinesischen Investitionen verdeutlichen dies:
„Als Portugal in der Schuldenfalle saß, wer hat diese Unternehmen aufgekauft?
Die Chinesen. Daher sind wir heute gezwungen, China zu schützen.“1
Europa droht also die Uneinigkeit bei jeglicher
Krisenbewältigung vor
die Füße zu fallen. Und das betrifft ganz maßgeblich auch sozialpolitische
Konsenspolitik von Links der Mitte.
„Methoden zur Infiltration demokratischer Länder“ 1,
die China, wie hier gesagt wird, maßgeblich in Australien
und Neuseeland
erprobt habe, können nur erfolgreich sein, wenn demokratischer Konsens
und Interessensausgleich im Westen nicht mehr funktionieren.
Da ist ganz maßgeblich einmal mehr die Sozialdemokratie gefordert.
Dass China in erster Linie konservative und neoliberale
Politiker „einbindet“ oder „kauft“ –
das verdeutlicht auch der Posten des früheren britischen Premiers David Cameron
in leitender Position für einen Investmentfond und für die Seidenstraße.
Wenn das erste Menschenrecht chinesischer Vertragspolitik
auch in Afrika
„das Recht auf wirtschaftliche Entwicklung“ 1 ist, dann ist die Rolle
europäischer Entwicklungs-Zusammenarbeit
noch einmal mehr kritisch zu hinterfragen.
„Offensichtlich ist Afrika für die Chinesen ein Chancen-Kontinent,
während wir immer noch Afrika als Problemkontinent definieren.“1
Der Satz Sigmar Gabriels vom Februar 2018 zeigt in diesem
Zusammenhang
deutlich auf, welche Mängel da auch im politischen Willens- und Meinungsbildungskanon
in Europa zu beklagen sind. Der koloniale Blick von oben nach unten verhindert zudem,
mit den Menschen ihre Probleme anzugehen, Strategien gegen die Armut
und für Interessensausgleiche aufzubauen. Die „diktatorisch herrschenden Eliten“,
die von Weltbank und IWF nicht, aber von China als
Partner akzeptiert werden
jedoch und ihre Stärkung verschärfen viele Konflikte auf Dauer.
Und das nicht nur in Afrika.
Aber genau da muss eben eine „neue europäische
Entwicklungs-Zusammenarbeit“
ansetzen. Wenn Xi sich als „Verteidiger der afrikanischen Völker gegen den
westlichen Imperialismus“ 1 darstellen kann, letztlich aber genauso
„neo-koloniale Abhängigkeiten“ aufbaut umso mehr.
10 Chinesische Einflussnahme und militärische Präsenz
Die Eröffnung der ersten chinesischen Militärbasis
außerhalb des
Reichs der Mitte am 1. August 2017 im ostafrikanischen Djibouti am
südlichen Zugang zum Roten Meer lässt da nochmals aufhorchen:
Zwar hat man von chinesischer Seite immer wieder verneint, dass man
den amerikanischen Weg kopieren wolle. Gerade das Beispiel des
nicht weit entfernt liegenden, zuletzt einmal mehr sehr
instabilen Sudan
jedoch verdeutlicht, wie brisant da schon bald auch direkte militärische
Konfrontationen zwischen den US und China in Afrika drohen können.
Gemäß „neo-liberaler Auslegung von Völkerrecht“
stehen
„Marktanteile und Rohstoffsicherheiten“ vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Mit anderen Worten: Regeln, die nach dem 2. Weltkrieg zur Vermeidung weiterer
Fanale vereinbart wurden, gelten nicht mehr. Sie wurden jüngst immer wieder
mit allerhand Lug und Betrug ausgehebelt.
„Xi Jinping träumt von einer Weltklassearmee. Er denkt wie Mao,
dass alle Macht aus den Gewehrläufen kommt.“1
Da man in den US auch sagt:
„Unsere Verfassung wurde
auf dem Lauf eines Gewehres begründet“,
zeigt sich denn auch, wie ähnlich
die beiden Kontrahenten da sind.
In der Relation zum militärisch industriellen Komplex der
US und dessen Budget
ist Chinas Militär noch klein. Aber:
Droht so ein neues primär konventionelles Wettrüsten?
Und einmal mehr zeigt auch diese Entwicklung, wie wichtig
es sein wird
für Europa, da eine Strategie zu entwickeln, die deeskalierend wirkt
und friedliche Zusammenarbeit der Völker ermöglicht.
Zumal nach den Lehren des 20. Jahrhunderts.
Die „neo-liberale Auslegung von Völkerrecht“ formt auch
die
Auslegung dessen durch den „chinesischen Staatskapitalismus“.
Das legt ja auch die Aussage Andrea Nahles 4 nahe.
Der „Neo-Konfuzianismus“ erscheint dabei so wie der
solchermaßen
deformierte „Liberalismus“ nur als käufliche Fassade der Vorlage.
Der zunehmende Streit um die Hoheitsgewässer und Inseln
der
chinesischen Nachbarn im Pazifik – Südkorea, Japan, die Philippinen,
Malaysia und Vietnam verdeutlicht in diesem Zusammenhang einmal mehr,
wie wichtig neue internationale Rechtsverbindlichkeiten und Organisationsformen nun,
nach den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten sind.
Dies zeichnet sich schon lange ab und sollte gerade von Deutschland und Europa
endlich entschieden nach vorne gebracht werden.
Dass China, das ja lange auch die westlichen Militärinterventionen beobachtet
und dann auch Rohstoffverträge in Kriegsgebieten erbeutet hat gerade unter Xi Jinping
genauso wenig verlässlich wie westliche Partner ist, das sollte eigentlich niemanden
mehr verwundern. Zumal die offenen Ansagen für Handels-und Standortkriege auch
immer wieder hoch kochen.
Das erste Opfer jeden Krieges ist eben die „Wahrheit“.
Und damit die Verlässlichkeit denn auch von Zusagen früherer Partner,
die nun immer mehr zu Gegnern werden.
Konfrontative Militärpolitik der vollendeten Tatsachen hat auch der Westen
reichlich geübt jüngst. Es wird Zeit für entschiedenere und nachhaltigere
Schritte zur Deeskalation.
Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) als politische
und militärische Organisation verdeutlicht das nochmals. Neuer
Kalter
und heißer Krieg können nur durch vertragliche Regelungen für die
Partnerschaft von NATO und SOZ und Stärkung von UN und
Unterorganisationen mittel- und langfristig vermieden werden.
Dass es eines Gegenübers der NATO bedurfte jedoch: das
verdeutlicht nicht nur der Krieg in Syrien und der Einfall der Regionalmächte dort.
Letztlich haben auch US und NATO selbst die nach dem 2.
Weltkrieg
entstandene Weltordnung gekippt. Wenn da von „Xi Jinpings Plan zur
Durchsetzung einer neuen Weltordnung“; „die große globale Einheit
mit China im Zentrum“ 1 gesprochen wird, dann sollte klar sein,
dass die über- und eigenmächtige NATO und US eines Gegenübers bedurften.
Und: dass Diplomatie und Bereitschaft zur Verständigung und zur
Zusammenarbeit anstelle von Säbelrasseln bis hin zu militärischen
Auseinandersetzungen Gebot der Stunde sind.
Die von Sigmar Gabriel in „Die Welt des Xi Jinping“ beschworene
„Systemkonkurrenz zwischen entwickelten Demokratien und Autokratien“ 1
erfordert von denjenigen, die sich entwickelt nennen im Zeitalter der
„Post-Demokratie“ eine neue realistische Einschätzung. Und damit auch
eine neue Positionierung im Hinblick auf demokratische Inhalte und Formen.
Und auf ihre gemeinsam wirksame Erneuerung.
In der Verständigung miteinander ohne die Drohgebärden im Hintergrund.
Der Historiker Zhang Lifan spricht von der Partei und ihrem „
großen Versprechen einer strahlenden Zukunft und wunderbarer Perspektiven“ 1 und sagt:
„Seit Mao träumt China vom Aufbau einer kommunistischen und paradiesischen Welt“1.
Dieses „Versprechen“ stellt sich in China jedoch ganz anders dar als bei uns.
11 Xis Versuch der Verknüpfung von Mao und Deng
„Xi Jinpings Welt gründet auf einem zentralen Versprechen: Reichtum für alle."1
Diese Aussage verdeutlicht dann auch, wie Xi Mao und Deng
verknüpft und mit dieser Priorität gerade der ökologische Kollaps
der Welt so eher beschleunigt zu werden droht.
„Die oppositionslose Gleichschaltung“ auch der Medien, denen Xi sagt,
„Eure Familie ist die kommunistische Partei“, weil „Xi Jinping träumt von einer Welt
unter seiner Kontrolle“ 1: All diese Themen kann man als Bedrohung wahrnehmen.
So, wie es auch weitestgehend die Intention der Macher des Filmes
„Die Welt des Xi Jinping“ ist.
Man kann das aber auch als Herausforderung für eine dialogfähige
neue demokratische und ökologische Ausrichtung des Westens annehmen.
Der Welt mit China und seinen Partnern und dem Westen.
2011 /12, als Chinas Immobilienblase platzte und die Frage war, ob es
eine harte oder weiche Landung der Blase gäbe, empfand ich die chinesische
Presse dort arbeitend als kritisch und offen.
Sie debattierte diese Gefahr offen.
Die in „Die Welt des Xi Jinping“ zitierte „Vernichtung aller Hoffnungen auf
Demokratisierung Chinas“ 1 von Seiten Xis:
ich habe nach meinem zweiten eineinhalbmonatigen Arbeitsaufenthalt
in China damals in Deutschland einen Vortrag
„Chinas Boom - Reich ohne Mitte oder Chancen für einen nachhaltigen Entwicklungsprozess?“
gehalten. Die darin geforderten Perspektiven wurden von westlicher Seite angefeindet.
Ein eigentlich geplanter zweiter Vortrag dazu wurde ersatzlos von der Stadt als
Betreiber der „Volkshochschule“ gestrichen. Zensiert?
Die „Arroganz der Systemgewinner“ ist nach der Krise 2008 in große Angst
umgeschlagen. Lähmende Angst, die stetig neue Feindbilder als Projektionsflächen erfordert.
Die aber so keinerlei Lösungsstrategien zu entwickeln vermag.
China bündelt gewaltige Produktivkräfte. Die „Werkbank der Welt“ ist reich geworden.
Und sie vermag insofern die Welt zu beherrschen.
Mit schroffer Konfrontation sind die Dinge nicht zu bewegen.
Zumal die autoritäre Steuerung dort unter Xi höchst subtil gestaltet ist.
Viele Beschreibungen der Zustände in China im Film erinnern an die Kulturrevolution.
Konzentrationslager aus dieser Zeit habe ich auch bei meiner ersten Reise im bewegten
Jahr 1989 in Yunnan im tropischen Südwesten des Landes gefunden.
Ein verlassenes buddhistisches Kloster mit vielen Inschriften zur Umerziehung
und zur Selbstanklage an den Wänden.
Die Internierung von rund einer Million Uyguren in Lagern im Nordwesten,
in ihrer Heimatprovinz Sinkiang, die verschärfte Internetkontrolle,
bei der jegliche Kritik an Xi und der Partei mit sofortiger Verhaftung geahndet wird:
China scheint wieder in einer explosiven Situation wie 1989 zu sein. Die Beschneidung
von immer mehr Freiheiten durch Xi gerade auch in den von anderen Völkern in
Chinas Westen besiedelten Gegenden wie Tibet und der früheren britischen
Kronkolonie Hongkong, das hier als „semidemokratische Enklave“ bezeichnet wird:
das sind dieselben Zeichen wie anno 1988 / 89.
Gerade der im Film porträtierte Buchhändler dort in Hongkong und sein
Schauprozess, seine „Gehirnwäsche“ verdeutlichen, wohin die subtile Machtkontrolle geht.
Das „Sozialkreditsystem“ , das so von Xi angewandt wird, veranschaulicht,
wie weit wir über George Orwells Überwachungsszenario „1984“ hinaus sind.
„Big brother“ – „Das Auge der Regierung“, das einen überall
beobachtet und mit „neuer Gesichtserkennungssoftware“ sofort Namen und Daten
zuordnet und so entsprechend alles zentral speichert: Das ist weiter als jede
Horrorvision der totalen Kontrolle. Die Bewertung mittels solcher Instrumente,
äob die Bürger „gute oder schlechte Bürger“ sind:
das ist eine Gleichschaltung, die Mao in dieser Perfektion in der
Kulturrevolution nicht erreichen konnte. Die perfekte soziale Kontrolle.
Die perfekte Normierung des Einzelnen.
Der in den US lebende Dissident und Biograf von Xi, Yue Jie, dessen
kritischer Facebook-Eintrag zur KP mit einer 24-stündigen Sperre belegt wurde,
verdeutlicht dabei, dass auch „westliche Standards“ sich zusehends dem
chinesischen Modell annähern. Was kam früher: Henne oder Ei?
Eine müßige Frage.
Die Worte des früheren US-Botschafters 2014 bis 17 in Peking, Max Baucus,
dass Xis Machtfülle und der Umgang damit die Frage aufwirft, wie eine
Demokratie mit einem solch autoritären Regime umgehen solle und die US –
der Westen viel intensiver darüber nachdenken sollten:
das ist tatsächlich die Kernfrage.
Wenn Baucus sagt: „Denn bisher sind wir damit noch nicht weit gediegen“ 1,
dann verdeutlicht er das Dilemma der Arroganz der Systemgewinner.
Und ihrer Angst ob eines starken, bald ebenbürtigen Gegners.
Eines Gegners aber in welchem Konflikt auf welchen Ebenen zu welchen Zeiten?
Anders herum gefragt:
Ist die Verlängerung des „Kalten Krieges“ mit vielen heißen Stellvertreterkriegen
an verschiedenen Standorten im Anthropozän, in dem Homo Sapiens Sapiens
erkannt hat, dass er mit, nicht gegen seinen „Heimatplaneten“ nur überleben
kann die einzig richtige Antwort?
Welche anderen Antworten jedoch gibt es und:
wie kommen wir dahin?
12 Zwischen „Neo-Liberalismus“ und „Neo-
Konfuzianismus“; „Individualismus“, „Kollektivismus“
und „Totalitarismus“: „Anpassung oder Wagnis“:
Und WIR in Europa dazwischen? - Perspektiven 2019ff.
Politik als „Organisationsform gesellschaftlichen Zusammenlebens“ ist in
"postdemokratischen" Zeiten in erster Linie dem Statuserhalt oder dem
Ausbau des Status’ des Zahlungskräftigsten und am besten Vernetzten verpflichtet.
Im "Rechtsstaat", dessen Regeln ja für jeden irgendwie verbindlich sein wollen, heißt das:
das Recht und dessen „Beweglichkeit“ wird von denjenigen mit den höchsten Mandaten,
ergo auch den besten Anwälten oder den besten, primär „schlag- und zahlungskräftigsten
Partnern“ gesteuert.
Flexibilität bei Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit und ihrer Darstellung ist
insofern die Kardinalforderung des Spiels um Machtgewinn, ihren Erhalt und ihren Ausbau.
Auf allen Bühnen.
Entscheidungsprozesse sind so behutsam zu gestalten und nach allen Seiten abzusichern.
Jeder Mensch, der im Spiel um Macht eine führende Position inne hat, weiß, dass ein Scheitern
schnell zu seinem oder ihrem Untergang führt.
Und zum Abschied von allen eigenen Hoffnungen.
Mehrheiten sind also im „Neo-Liberalismus“ und im „Neo-Konfuzianismus“
im „alltäglichen betrieblichen“, und erst recht im „politischen Ränkespiel“ dringendst erforderlich.
„Linientreue“ zahlt sich darin bis
zu einem gewissen Zeitpunkt unbedingt aus.
Spätestens der Moment der Machtfestigung jedoch bedarf des kalkulierten Risikos.
Xi Jinping ist da zwischen Mao Zedong und Deng Xiaoping den Weg der größten
Anpassung gegangen:
der bessere „Kommunist“ als Mao, der bessere „Staatskapitalist“, also „chinesische Neo-Liberale“ als Deng.
Der so auch den „Linksabweichler“ Bo Xilai ausstechen konnte.
Der im „Neo-Konfuzianismus“ angelegte Gehorsam ermöglicht Xi
denn auch die Installation des „Sozialkreditsystems“,
der perfekten digitalen Überwachungsmachinerie.
Während unter und nach Mao Zedong Macht- und Richtungskämpfe
noch öffentlich ausgetragen wurden und zu entsetzlichen Verwerfungen wie auch
der Kulturrevolution selbst, also letzlich verheerendem Bürgerkrieg führten,
verlief all das bei Deng Xiaoping schon viel „diskreter“.
Nur einmal fiel Deng gerade auch dem „kritischen Blick des Westens“
gegenüber in Ungnade: bei der Niederschlagung der Studentenbewegung
auf Pekings „Platz des Himmlischen Friedens“ im Sommer 1989.
Die Einschüchterung des „ganzen chinesischen Volkes“ danach, die Angst vor
Bürgerkrieg ob der sehr wechselhaften und blutigen Geschichte des
Reichs der Mitte gerade auch im 20. Jahrhundert:
„Brot und Spiele“ erfordern auch in China dann Maßnahmen zur
„besänftigenden Aufmunterung“ einerseits und zur „Dämpfung des Volkszorns“ andererseits.
Dengs Reise in den Süden Chinas und der Besuch der dortigen Parteifunktionäre
auch zur Überzeugung der dortigen Bevölkerung dann 1992 ließ ihn 87-jährig
am Ende seiner Amts- und Lebenszeit die „chinesische sozialistische Marktwirtschaft“
begründen und damit ein bis heute gültiges Erbe hinterlassen:
„Man muss etwas mehr Mut bei der Reform- und Öffnungspolitik an den Tag legen,
Mut zum Experiment, nicht wie Frauen mit gebundenen Füßen. Wenn man das
Ziel erkannt hat, dann mutig versucht, dann mutig drauflos! Ohne Draufgängertum,
ohne ‚Abenteurertum‘ bleibt alles saft- und kraftlos, dann werden wir keinen guten Weg,
keinen neuen Weg nehmen und auch nichts Neues zustande bringen können. …Bei der Reform der Städte wie der ländlichen Gebiete geht es nicht um Debatten,
sondern um mutige Versuche, mutiges Drauflosgehen;
unsere Politik lässt Versuche zu, das Zulassen von
Versuchen ist viel besser als jeder Zwang. …Man muss die Gelegenheit beim Schopfe packen und jetzt ist so
eine Gelegenheit. Ich mache mir Sorgen, dass die Gelegenheit verpasst,
die Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt wird;
wenn man eine Chance sieht und sie nicht nutzt,
ist auf einmal der richtige Zeitpunkt vorbei.“12
Im Gegensatz zu Maos Erbe, das tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis,
der „chinesischen Seele“ hinterlassen hat und vielfach nach seinem Tode revidiert wurde,
blieb Dengs Reformkurs im Prinzip auch nach seinem Tode 1997 bestehen.
Der letzte geostrategisch kluge große Kosmopolit im deutschen Kanzleramt,
Helmut Schmidt fragte Deng einmal ja auch 1984, ob er denn nicht eher ein
„Konfuzianer“ als ein „Kommunist“ sei und Dengs kryptische, aber auch höchst
pragmatische Antwort lautete: „So what?“ – also: „Na und?“ –
oder, wie Schmidt in seinen Erinnerungen 2008 sagt: „Was hast Du dagegen?“ 13
Xi hingegen laviert nun zwischen den beiden.
Zu Maos Zwang zur Installation des „Kommunismus“ und Dengs
Öffnung zum Erlangen „individuellen Reichtums“ in einer
„sozialistischen Marktwirtschaft“ kommt nun die offen
„Neo-Konfuzianische Etikette“.
In einer Zeit, in der die Angst vor Statusverlust überall vorherrscht, baut Xi
ein Überwachungssystem auf, das den bedingungslosen Gehorsam als eine
Komponente des Konfuzianismus betont, aber alle anderen Komponenten der
Charakterbildung in „konfuzianischer Ethik“ diesem so unterordnet. Uniformierung,
die nicht mehr mit der blauen Einheitskleidung Maos eine auch
äußerlich sichtbare bedingungslose Gleichschaltung des Milliardenvolkes
bewirken soll, sondern das Heer der Menschen zudem innerlich völlig gleichschalten will.
Auch die im Frühjahr 2011 ausgeschriebenen Ziele im 12. Fünfjahresplan der
Volksrepublik China zur Bekämpfung der gewaltigen Immobilienblase
und zum Abkühlen der überhitzten Volkswirtschaft werden so dem persönlichen
Machterhalt Xis und seiner Parteidoktrin untergeordnet:
die „Binnenentwicklung“ wird zu einer weiteren sozialen Spaltung der Gesellschaft geführt,
„grüne Entwicklung“ und „das Glück des Volkes“ bleiben komplett in der Hand
des Parteiapparates und der Oligarchen. 14
Ergo wird auch weiter auf Teufel komm raus „Betongold“ produziert und
gewaltige Ressourcen werden in der „urbanen Revolution“ an Bedarf und
Möglichkeiten des größten Teils der Bevölkerung vorbei verschwendet.
„Schattenbanken“ haben zudem vielen Folgen der aufgeplatzten Blasen
zum „Abschreiben“ und „Auffangen“ verholfen. Und zur maßlosen Bereicherung
einiger weniger beigetragen.
Führt so die „urbane Revolution“ Chinas auch zu einer neuen Aufspaltung des Landes?
Verliert das Reich so seine Mitte, oder - wie Mee Kam Ng, hoher Stadtgeograph
und Stadt-Forscher aus Hongkong sagt, führt dies ähnlich wie Maos „Kulturrevolution“
nun zur Aufspaltung Chinas in „Zwei Chinas“?
Oder gelingt nach über drei Jahrzehnten der Öffnung Chinas für
ausländische Investitionen der Spagat zwischen
„Dezentralisierung“ und „Rezentralisierung“? 15
Der Westen hat es China mit seinem „Post-Neo-Liberalismus“ und den
darin verpufften sozialen „Reförmchen“ jedoch sicher leicht gemacht,
einen Weg der allergrößten Scheinheiligkeit und Problemverschiebung zu gehen.
Dieser Irrweg zeichnet sich bei Xi derzeit deutlich ab.
Der erste Auslandstützpunkt der Volksarmee in Djibouti zur Kontrolle
der afrikanischen Märkte und die Landbesitzansprüche im pazifischen
Raum verdeutlichen zudem, in wie weit man in China nun den
amerikanischen Weg zu kopieren bereit ist.
Der Umgang mit Schuldnern im Rahmen des Seidenstraßenprojektes
erinnert zudem an den Umgang des Westens mit China in Folge der
Demütigung des Opiumkrieges Mitte des 19. Jahrhunderts.
„Neo-Post-Kolonialismus“ auch chinesischer Prägung?
Führt so ein „neuer Kaiser auf Lebenszeit“ China
einmal mehr in ein „neues Feudalsystem“?
Im Gegensatz zu vielen westlichen Herrschern muss Xi keine
Neuwahlen fürchten. Wohl aber Aufstände seines Volkes.
Lady Macbeth und seine Gegner haben immer viele Pfeile im Köcher.
Und Xi als Hamlet weiß, dass ein falscher Schritt alles zunichte machen kann.
Deswegen benötigt er die totale Kontrolle. Innen wie außen.
Der Westen, in dem Fehler und Versäumnisse „demokratisch
gewählter Technokraten“ auch niemals geahndet werden, wohl aber
stetig „Teile und Herrsche“ zur Verschiebung von Verantwortlichkeiten
auf den Plebs gespielt wird, gibt ihm da ständig neue Steilvorlagen.
Gesichts-, Status- und Machtverlust auf den Bühnen des politischen
und betrieblichen Lebens findet nur bei den zahlenden Zuschauern im
Parkett und den Komparsen im Hintergrund statt.
Auf der Bühne können die Akteure ungeschminkt schalten und walten,
lügen und betrügen. Regisseure und Souffleusen sorgen für schnelles
Vergessen bei der öffentlichen Meinung.
Wie steht es also bei uns?
Wo stehen wir?
WIR hier in Europa?
Die „Erfinder des Neo-Liberalismus“, die Epigonen von Maggie Thatcher
und Ronald Reagan verabschieden sich. Frühere Mitarbeiter gerade aus der
Reagan-Administration haben sich gar schon vollends mit Grauen abgewandt.
In der „Post-Demokratie“ wenden sich nun aber auch die „derzeitigen Systemverwalter“
der britischen Insel und der „verbliebenen Supermacht des Kalten Krieges“
von Europa ab. Nationalismus allenthalben. Aber auch:
„Teile und Herrsche“ als „Jede(r) gegen Jede(n)“?
Brexit und Trump: „Symptome, nicht die Erkrankung“,
um hier einmal mehr den früheren CNN-Kriegsreporter und
Journalisten Chris Hedges, der von „Amerika als gescheiterte Demokratie“
spricht zu Worte kommen zu lassen. 16
Andrea Nahles hier eingangs nochmals von Ludger Elmer notierte Aussage:
„Nicht der Neoliberalismus sei das Problem,
sondern der chinesische Staatskapitalismus.“4
und viele Erfahrungen meinerseits in den letzten Jahren verdeutlichen mir,
dass man in Deutschland „Globalisierung“ weiter nicht bewältigen kann und will.
Vor allem in Hinblick auf eine „Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“.
Die Angst auch der Herrschenden wird so zum lähmenden Nervengift
für die Beherrschten. Immerfort.
Der provokante Ausspruch meinerseits:
„Globalisierung wird heute größtenteils in Deutschland auf dem Niveau
von Dorfschützenkönigen gestaltet“, der aus schmerzhaften Erfahrungen resultiert,
die mich letztlich auch 2009 / 10 nach Afghanistan geführt haben:
er bleibt erst einmal im Raum stehen.
Man redet von „lebenslangem Lernen“ und vielen anderen schönen Dingen,
auch von Gewerkschaftsseite. Aber auch in „sozialdemokratischen Kreisen“
schottet man sich gegen die entscheidenden Themen ab. Man zeigt auf Probleme,
tippt sie mit dem Finger an. Dann verbrennt man sich vielleicht die Finger und schreckt zurück.
Ein Problem lösen kann man so nicht einmal ansatzweise.
So schlafend ist Europa zwei Mal in die Katastrophe gestürzt.
Wenn wir Glück haben, dann wird’s im 21. Jahrhundert
nur
ein schleichender Niedergang. Der ist so aber unausweichlich.
China hat gewaltige Produktivkräfte gebündelt.
„Das Reich der Mitte“ steht vor ähnlichen Zerreißproben
wie wir hier,
wie die US auf der anderen Seite des Atlantiks. Themen, die eigentlich
gemeinsamer Strategien bedürfen. Denn diese Themen betreffen maßgeblich
das Überleben unserer Spezies.
In quantitativer wie erst Recht in qualitativer Hinsicht.
Die Welt ist ein käuflicher Ort geworden. Das Ausmaß von
Kultur- und
Naturzerstörung dabei ist atemberaubend.
„Kulturrevolutionen“ und „urbane Revolutionen“, die in
käuflichen
Kreisläufen der Regellosigkeit gefangen sind indes zerstören nicht
nur unsere Identität. Sie zerstören auch unsere Lebensgrundlagen.
Dies zu regeln und Auswege daraus zu finden:
das geht nur über einen gemeinsamen Willen.
Und die damit einher gehende Demut.
Die aber auch Verhandlungsfähigkeit mit mächtigen
Gegnern,
die wir dringend als Partner gewinnen müssen einschließt.
So wie es im 20. Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg
geschah,
als die Welt in Trümmern lag und man Übereinkünfte für
Wiederaufbau und Umbau erreichen musste.
So wie nach 1968 und Anfang der 1970er Jahre, als man
sah,
dass „Naturschutz“ auch Sicherung der Zukunft unserer Kinder entspricht.
Und auch unsere Lebensbedingungen verbessert.
„Klimaschutz“ und Erhöhung der Widerstandsfähigkeiten
gegen
Unwetter und Klimaveränderungen ist nun ein ähnliches Thema,
das dringender gemeinsamer Lösungsstrategien bedarf.
„Die Welt des Xi Jinping“ 1 und „Der
tausendköpfige Drache“ 2 und viele
hier dargelegten Themenkomplexe dazu verdeutlichen, wie gefangen
wir da alle in der Vergangenheit sind.
Wie unfähig, die Gegenwart und die Zukunft anzugehen.
Ein im 20. Jahrhundert gefangenes 21. Jahrhundert
wird
uns keinen Schritt weiterbringen. Gerade uns hier in Europa.
Das „Anthropozän“ wird so unweigerlich zum Fanal von Homo
Sapiens Sapiens.
Das sollte es nicht sein.
Spionage, wie besonders in „Der tausendköpfige Drache“
2 dargestellt,
ist dabei kein spezifisch chinesisches Thema, das also nur für uns
hier ein Problem darstellt. Chinas „Sozialkreditsystem“ und Chinas Heere
von „Industriespionen“ im Westen machen das, was wir spätestens seit den
Enthüllungen von Edward Snowden auch ahnen könnten.
Sie bringen es vielleicht einen Schritt weiter. Aber:
Wer weiß, wo NSA und westliche Partner jetzt sind?
Wie da welche Menschen wie überwacht und welche
Nachrichten wie manipuliert oder zumindest „gefiltert“ werden?
Dazu ist aber auch noch zu ergänzen: Edward Snowdens
kolportierte
Äußerung zur CIA als "Erfinderin des Klimawandels" indes ist ähnlich
einfältig wie Nahles Äußerung zu "Neoliberalismus" und "chinesischem Staatskapitalismus“.
Es ist eben durchaus mit Nietzsche gesagt, „menschlich
allzu menschlich“,
auch einmal überfordert zu sein. 17
Öffentliche Äußerungen jedoch sollten wohl überlegt sein.
Fehler macht jeder. Wichtig ist jedoch, aus welchem
Fundus heraus man
die Dinge angeht. Und mit welchem Ziel.
Geheim- und Intelligenzdienste dienen in jedem Falle
derzeit allerorten
der Festigung und Kontrolle von Machtstatus und dem Ausbau von Macht.
Plattitüdenartige Gemeinplätze wie die Aussage von Andrea Nahles dienen indes dazu,
eigene Fehler abzubügeln. Letztlich meint sie damit wohl auch, die Macht
der eigenen schwindenden Nomenklatur durch solche Verrätselungen sichern zu können.
Weil sie selbst keinen Durchblick durch diese Dinge hat?
Ein fatales Signal für eine Sozialdemokratie am Abgrund.
Denn Nahles selbst,
geschweige denn die Sozialdemokratie in Deutschland insgesamt können mit den
solchermaßen selbst erzeugten Bedrohungsszenarien umgehen.
Sie stehen selbst wie vernagelt vor diesen frontalen Gemeinplätzen. Ohne Ausweg?
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun,
sondern auch für das, was wir nicht tun.“18
Der große französische Dramatiker und Schauspieler aus der Mitte des
17. Jahrhunderts Molière sagt da etwas, was in gewissem Sinne auch als
Ergänzung zu Deng Xiaopings Zitat von der versäumten Gelegenheit gelten kann:
„...Ich mache mir Sorgen, dass die Gelegenheit verpasst, die Gelegenheit
nicht beim Schopfe gepackt wird; wenn man eine Chance sieht und sie
nicht nutzt, ist auf einmal der richtige Zeitpunkt vorbei.“ 12
Die „Trägheit und Angst der Systemgewinner“, die da auch die
Sozialdemokratie ergriffen hat, lässt diese so jede Möglichkeit für
Wechsel und Veränderung in angsterfüllter Erstarrung verstreichen.
„Kein Ausweg?“
Disparitäten und Brüche zwischen verschiedenen
kulturellen und
wirtschaftlichen Entwicklungen und damit verknüpfte Erfahrungshorizonte,
die aber so stetig ignoriert werden, drohen gerade den „Alten Kontinent“
immer mehr zwischen den Machtblöcken zu zerreiben. Wie gesagt:
Ein schleichender, aber kontinuierlicher Niedergang
könnte so das Ergebnis sein.
Lösungsmöglichkeiten für Fehlentwicklungen verschwinden so zusehends in
revanchistischen Machtspielen ohne Zukunftsperspektiven.
„Dumm gelaufen?“
Anders gefragt: ist die „Überforderung“, mit den
entscheidenden Themen
der „Globalisierung“ umzugehen von herrschenden „Eliten“ eine „tragfähige Antwort“
auf die Herausforderungen, denen wir uns gegenüber sehen?
Verschlafen wir so nicht jede Möglichkeit, eine
lebenswerte Zukunft
für unsere Kinder zu ermöglichen?
Die Dünnhäutigkeit des Alltags überall:
Was bleibt da von Lösungsmöglichkeiten, wenn immer mehr
Wege
durch die Gefahr des Fehlermachens und den damit drohenden „Gesichtsverlust“ verstellt sind?
Oder, wieder anders herum gefragt:
Ist gute Arbeit nicht eine „Annäherung an realistische
Umsetzbarkeit“?
Und insofern auch: ein Weg, der die Vergangenheit ohne Verbitterung betrachtet,
so die Gegenwart Stück für Stück erschließt und dann eben auch allmählich
Chancen auf eine würdevolle und vor allem:
eine verheißungsvolle Zukunft eröffnet?
Molière und Deng Xiaoping, den „Altkanzler“ Helmut
Schmidt ja auch in dem
bemerkenswerten Interview von 2008 mit dem Titel:
„China ist ein gigantisches Experiment“
als „ganz klugen Kerl“ 13 bezeichnet, reichen sich da die Hand.
Und wahrscheinlich schütteln auch beide, Molière und Deng
über manchen
Zeitgenossen aus ihrem jeweiligen Kulturkreis heute den Kopf und greifen sich da an die Stirn.
Der altersweise Visionär Schmidt macht das sicher auch.
Andrea Nahles und Olaf Scholz, der sich ja nun Anfang
2019 als Kanzlerkandidat
der deutschen Sozialdemokraten ins Spiel gebracht hat indes werden
wahrscheinlich dieses schlechte Theater weiterführen. Von den anderen
Partnern in der „Groko“ ganz zu schweigen.
Der (sozialdemokratische) Konsens der „sozialen
Marktwirtschaft“,
die nach dem Fanal des in den Versailler Verträgen 1919 schlecht gelösten 1.
und dann des 2. Weltkrieges eine „historische Notwendigkeit“ in und für Europa
darstellte, wird sich unter diesen Bedingungen nicht wiederherstellen lassen.
Weil man sich gar nicht erst den Anforderungen dieses 21. Jahrhunderts
stellen kann und will?
Die „Überforderung“, mit „globalisierten
Herausforderungen“ umzugehen
und entsprechende Antworten zu finden ist der ständig verschleierte
Minimalkonsens bei allem, was da auf politischen und betrieblichen Bühnen geschieht.
Das können wir uns leider nicht mehr leisten.
Gerade wir hier in Europa.
In einer „bipolaren Welt“, die eigentlich sehr vielfältig ist.
Der Weg ins 21. Jahrhundert sollte diesem Geist folgen.
Nicht dem Ungeist der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Wer sollte das besser wissen als wir hier?
Warum jedoch sind wir gefangen in den alten Räderwerken?
Vielleicht, weil eine vielfältige Welt nicht auf uns wartet.
Weil Mensch die Verantwortung für sein Tun und Lassen
im
Anthropozän endlich übernehmen muss.
Nicht mehr. Nicht weniger.
Statt eines Nachrufs: Susi Neumann, wie ich sie verstehe
19
Sigmar Gabriel, im Februar 2018 noch „Bundesminister des
Auswärtigen“ wird in
„Die Welt des Xi Jinping“ 1 ausgiebigst zitiert.
Das „Oberbayrische Volksblatt Rosenheim, OVB-online“ schreibt am 26.01.
2019:
„In der SPD wächst offenbar die Sehnsucht nach einer Rückkehr des früheren
Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Nahles müsse ihm ein attraktives Angebot machen,
fordert ein SPD-Politiker.“ 20
Darunter sind auch deutlich Meldungen und Reaktionen auf
Susi Neumanns Tod dargestellt.
Auch mehrere Videos mit ihr und Sigmar Gabriel sind dabei.
„Wenn die SPD weg ist, haben wir überhaupt nichts mehr.“21
Susi Neumann ist am 13. Januar 2019 nach langer schwerer
Krankheit
und langem, schwerem Arbeitsleben gestorben. Das harte Arbeitsleben,
das sich in der SPD nicht mehr wiederfindet, hat sie auch im Interesse
vieler sich ausgeschlossen fühlender Menschen mit und ohne Arbeit
gerade gegenüber Sigmar Gabriel immer wieder betont.
Ich persönlich hoffe, Susi Neumann kann nach ihrer Reise
dorthin auch
den Himmel wieder putzen. Er hat's nötig und sie kann das sicher.
Im richtigen Leben habe ich sie nur einmal erlebt. Einer jener
wundervollen Menschen, die den Ruhrpott so einzigartig machen.
Die „Akademisierung“ der SPD, die Sigmar Gabriel auch
gegenüber Susi Neumann
beklagt, schließt auch jegliche Erfahrung aus. „Lebenserfahrung“, die heutzutage
geradewegs in die Prekarisierung führt. „Lebenserfahrung“ aber auch, die
„lebenslanges Lernen“ einschließt. Die aber bei „einseitiger Akademisierung“
genauso ausgeschlossen wird wie harte schwere körperliche Arbeit.
Susi Neumann wird keinen Nachruf,
kein stilles Gedenken wollen.
Gedenken an diese großartige Frau kann nur bedeuten,
endlich
wieder sich glaubhaft den ausgeschlossenen Menschen mit und
ohne Arbeit zu widmen und Politik für diese zu machen.
„Sachgrundlose Befristung“ interessiert uns nicht, Sigmar.
„Mode und Maloche“ schon eher.
Würde, Achtung und Respekt und die Möglichkeit zur
Teilhabe an den
Dingen erst Recht. Und sei es nur das Gespräch.
Das aber dann endlich auch weitergeführt werden muss.
In eine zukunftsfähige Politik für die Mehrheit der Menschen.
Im Ruhrgebiet genauso wie in der Lausitz.
Mit diesen Menschen vor Ort.
Eine vor allem ehrliche und aufrichtige Politik.
Keine leeren und lehren Versprechungen, bei denen uns
im
Nachhinein wieder alles abgezogen wird.
Eine friedliche Zusammenarbeit aber auch mit den Menschen
in Ohio
und in Sinkiang. Politik auch für diese. Und ihre und unsere Freunde
und Verwandten dazwischen.
Unter anderem.
Das ist die wahre Kunst, zu der die europäische
Sozialdemokratie zurückfinden muss.
Anmerkungen