Die Wohnungskrise:
Neubau und Behebung des
Sanierungsstaus im Bestand
01.06. 2025 ca. 11 min. Lesezeit
Auch die neue Bundesregierung hat sich der „Wohnungsfrage als eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit“ angenommen. Hilft „Bauen, Bauen, Bauen“ allein aber, wie Friedrich Merz in seiner Antrittsrede fürs Kanzleramt gefordert hat? Und wie steht es mit seiner Aussage vom Tag der Bauindustrie: „Wer normal verdient, der muss ein normales Wohneigentum erwerben können. Es ist inakzeptabel, dass es in Deutschland in vielen großen Städten überhaupt nicht mehr geht"
Um diesen Diskurs auch formal und inhaltlich weiterzubringen, bedarf es tiefer gehender Betrachtungen vielschichtiger Konflikte, die die Wohnungskrise begleiten und sie maßgeblich prägen. Und dies auch nicht erst seit gestern.
Der „Eigentümer-Nutzer-Konflikt“ zwischen Wohnungseigentümern und bei mehr als der Hälfte der Bundesbürger Vermietern und Mietern = Bewohnern einer Wohnung ist da genauso Verhandlungs- und Betrachtungsgegenstand wie zweitens der städtebauliche Zielkonflikt zwischen „Innen- und Außenentwicklung“ im Rahmen also der Bauleitplanung und der damit einhergehenden Flächenentwicklungen und drittens das Thema der Ressourcen und Rohstoffe, der „grauen Energien“ in Neubau und Bestand. Letztlich soll das aber auch zum Lösen von gordischen Knoten hier geführt werden. Schließlich geht es um Möglichkeiten, rascher schon vorhandenen Wohnraum zu mobilisieren und / oder zu sanieren, anderen umbauten Raum umzunutzen, zu erweitern. Und diesen auch wieder den Märkten zuzuführen.
1. Der „Eigentümer-Nutzer-Konflikt“
Im Schnitt leben 52,8 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als Mieterland Nummer 1 in der EU laut destatis zur Miete. In manchen Städten sind es bis zu 80%.
Der Terminus „kleinteiliger Streubesitz“ wurde in der Immobilienwelt bis vor wenigen Jahren auch für innerstädtische Eigentumsverhältnisse verwandt. Im Gegensatz zu großen Vermietungsgesellschaften handelt es sich hier um Eigentums- und Mietsituationen, wo verschiedene private Eigentümer wenige Wohnhäuser oder auch nur einzelne Wohnungen in ihrem Besitz halten und entsprechend vermieten.
Ein Schaubild zum „Anteil von Mietwohnungen nach Eigentümern“ aus den Faktenblättern zum deutschen Wohnungsmarkt 12/ 2023 dazu vom Zensus 2011 stellt die Situation wie folgt dar:
Weiterhin steht da geschrieben:
„Der Mietwohnungsmarkt unterscheidet sich regional deutlich. Ostdeutschland sowie die Stadtstaaten sind durch einen umfangreichen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestand gekennzeichnet. In den westlichen Flächenländern zeichnet sich die Eigentümerstruktur durch einen höheren Anteil privater Kleinvermieter aus. Privatwirtschaftliche Vermieter sind insbesondere in den Großstädten stark vertreten.“
Einen großen Wurf, wie die Politik in Berlin da einmal mehr fordert, kann es also kaum geben. Wichtiger scheint es, zumal im Hinblick auf „Eigentumsbildung“ eben auch von Seiten der Bundespolitik, den Fokus eher auf die besser zentral steuerbaren Eigentumsverhältnisse und Steuerlasten in einer in Sachen Vermögensbildung und Chancen immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft zu werfen. Lokale und regionale Vermittlung von Interessensausgleichen indes können auch mit kommunalen Maßnahmen wie etwa einem entsprechend ausgestatteten Quartiersmanagement vonstatten gehen. Leerstandskataster und eine entsprechende Anwendung der Bundesgesetze aus Wohnraum-Förderungsgesetz (§ 27 Abs. 7 Nr. 3 WoFG) und Baugesetzbuch (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) im Hinblick auf rascher wirksame Bebauungsplan-Verfahren gemeinsam mit entsprechendem Landesrecht dazu könnten bei wirklich vorhandenem politischen Willen schon einiges vor Ort bewirken. Bundesweit gesteuerte, klug ausgearbeitete gezielte Maßnahmen gegen „Wuchermieten“ bleiben davon unbenommen.
Vom Bedarf her ist einmal mehr in Bestand und Neubau und dabei verstärkt im geförderten Wohnungsbau die Monotonie der in den letzten Jahren erstellten Typologien von Wohnraum markant. Der zunehmenden Überbelegung von Wohnungen in Großstädten steht das überbordende Baurecht gegenüber, das flexible und mit Familienwachstum oder bald Auszug der Kinder einhergehende Grundrisstypologien im Neubau quasi unmöglich macht. Auch dort könnten mit einem pragmatischeren, einfach angemessenen Umgang mit dem Bestand und einem den Bedarf lokal ermittelnden transdisziplinären Quartiersmanagement viele Themen effizienter angegangen werden.
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Ampel wird inzwischen fast überall nur noch als „Heizungsgesetz“ verspottet. Im Falle etwa von innerstädtischer Blockrandbebauung indes könnte ein entsprechendes Quartiersmanagement viele Einigungsprozesse maßgeblich auf den Weg bringen. Derzeit jedoch bedeuten „Modernisierung“ und „energetische Sanierung“ zumal in Anbetracht der vielschichtigen Eigentumsverhältnisse im Sanierungsstau des Bestandes allzu häufig eher Drohung statt Verheißung für Mieter. Dies gilt aber zumal bei steigenden Baukosten auch für viele kleinteilige Streubesitzer. Ausgleichende und zielorientierte Antworten darauf auch bei steigender CO2-Besteuerung im Rahmen des europäischen Zertifikatehandels sind sowohl von Seiten des Bundes, als auch von Seiten der Länder weiterhin eher Mangelware.
2. Städtebau: „Innen- vs. Außenentwicklung“
Geht es schon bei der Bestandsentwicklung einzelner Wohnungen und der auch im Gebäudeenergiegesetz (GEG) angegangenen Energiebilanz von Wohnraum um Themen, die auf Klimakrise und Folgen der globalen Erderwärmung reagieren, so wird dieses Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Klimazielen im Rahmen der Bauleitplanung im Hinblick auf „Bauen, Bauen, Bauen“ nochmals wesentlich deutlicher.
Im Vierjahresmittel 2019 bis 2022 wurden in Deutschland täglich rund 52 Hektar, entsprechend circa 72 Fußballfelder als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung von 2021 sieht die Reduktion dieses Zuwachses pro Tag bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar vor. 2050 soll dann im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft „netto null“ erreicht werden.
Auch hier bei dieser Grafik von destatis widerspricht das Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“ in diesen Diskursen weitestgehend verdrängten, um nicht zu sagen verleugneten, weil zwangsläufig über Legislaturperioden hinausgehenden gesellschaftlichen Zielsetzungen. Zumal in Anbetracht von 2025 als voraussichtlich zweitem Jahr in Folge, in dem das Ziel der 1,5° Erderwärmung im Mittel gerissen wird und damit auch viele Unsicherheiten auf allen Ebenen die Parameter für Planung selbst bestimmen. Die Haftungsfragen für die Planenden selbst müssen da zudem deutlich betont werden. In diesem Falle betrifft das besonders hydrogeologische Themen und ihre Bearbeiter: Baugrundgutachten und Niederschlagsberechnungen.
Innen- vor Außenentwicklung, also maßgeblich die Aktivierung innerstädtischer Brachflächen zudem auch für soziale Infrastrukturen soll da in und mit Hilfe vieler Gesetze geregelt werden: dem Raumordnungsgesetz (ROG) des Bundes von 2017, dem Baulückenkataster gemäß §200, Abs.3, BauGB, kommunale Vorkaufsrechte in §§24, 28 BauGB-E, Anforderungen zur Klimaanpassung im ungeplanten Innenbereich in §34, BauGB-E und alles dieses bis hin auch zur Enteignung in Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) in §§165 BauGB ff. und IEM = Innenentwicklungsmaßnahmen (Aus einem Vortragskonzept von Dr. Timo Munzinger vom Deutschen Städtetag, der darin insbesondere auf die vielen Lücken und damit unmittelbar zusammenhängenden Umsetzungsdefizite im Dschungel der Bauleitplanung zwischen nationalen und föderalen Gesetzestexten und letztlich Haftungs- und Gewährleistungsansprüchen in diesem Zusammenhang hinweist).
Gleichwohl gilt auch hier zumal im Hinblick auf die weiterhin im globalen wie im lokalen und regionalen Maßstab steigenden Grundstückspreise auch im Bestand und auf des Kanzlers‘ Postulat der Eigentumsbildung, dass ein vermittelndes Quartiersmanagement Genossenschaftsbildung etwa durch Erbpacht projektweise auf den Weg zu bringen vermag. Der politische Wille des Bundes und Hoheitsrechte örtlicher Planungsbehörden müssen diese Art von Vermittlung jedoch verstärkt fördern wollen.
Die „Neu-Formation von Genossenschaften“, wie in diesem eigenen Schaubild von 2014 vermag zudem viele weitere Impulse für den Ausbau sozialer Infrastrukturen zu geben. In Bestand, Sanierung wie Erweiterung und Neubau von Wohn- und Siedlungsräumen aller Arten.
3. Ressourcen und Rohstoffe,
„graue Energien“ in Neubau und Bestand.
Hier sind die Maximen der Verdrängung und Verleugnung von Realitäten eigentlich am augenfälligsten. Und das Verschließen der Augen vor den entscheidenden Themen hält hier zudem am längsten an.
Rund 67 %, also 13 Mio. von 19,5 Mio. Gebäuden in Deutschland 2022 sind Einfamilienhäuser. Dazu gehören aber auch sehr viele zumal auf Genossenschaftsbasis in den 1950ern bis tief in die 1970er Jahre gebaute primär Reihenhaussiedlungen in Ost und West.
Das stellt sich auch deutlich im Peak hier 1946-1977 dar.
Die Anzahl der Wohneinheiten per se indes zeigt da ein anderes Bild: Rund die Hälfte aller Wohneinheiten befindet sich in Mehrfamilienhäusern, inkl. Wohnheimen, dem so genannten „Geschosswohnungsbau“. Dieser verzeichnet letztlich seit den 1970er Jahren die größten Zuwachsraten (dena-Gebäudereport 2024).
Hier sagt schon die Überschrift aus dem Energiewende Newsletter des BMWE 03 / 2015 viel. Dauerte es schon sehr lange, bis man sich auf Kaltmiete = 1/3 des örtlichen Einkommensmedians als Grenzlinie für „bezahlbaren Wohnraum“ einigte, so kam spätestens mit der Gaskrise infolge der russischen Invasion in der Ukraine 2022 eine Art „Zweitmiete“ mit exorbitant gestiegenen Energiekosten dazu. Der globale Druck auf die Grundstückspreise, örtlicher „Mietwucher“ und für Nutzer und Eigentümer im „kleinteiligen Streubesitz“ wie für Planer immer wieder höchst intransparente Fördersysteme tun ihr Übriges, um den Bestand hier als reine Beute erstarren zu lassen. Zumal „energetische Sanierung“ zumeist der Fassade die gerade bei diesen Baujahren zutage tretenden weiteren Schwächen eher ausklammert: Schadstoffbelastung etwa durch Asbest und PCB und eklatante Mängel im konstruktiven und konzeptionellen Brandschutz.
Auch hier fehlen örtliche, bis hin zu projektweisen Datenerhebungen, die zu dem Leerstandskataster auch mögliche Schadstoffkataster darstellbar macht und Planung somit enttabuisiert im Hinblick auf effiziente Fortschreibungen. Ein pragmatischer Umgang mit dem Bestand auch im Sinne des Gemeinwohls gemäß Art. 14, 1-3 GG erfordert flexible Bewertungen und Abwägungen von Maßnahmen zur Aufwertung und Wiedereingliederung von Wohnraum als Schutz- und Freiraum, somit als Kernelemente der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge. Vergünstigte Zinssätze für Um- und Weiterbauplanungen in lokalen kleinteiligen Wettbewerbsverfahren: es gibt viele Wege, erstarrte Märkte vor Ort wiederzubeleben. Einmal mehr vermag diese Vermittlung gerade zum jetzigen Zeitpunkt am ehesten ein entsprechend autorisiertes Quartiersmanagement zu leisten. Auch die Umnutzung leerstehender Büroflächen kann so im Hinblick auf ökonomische Eck- und Kerndaten besser im Sinne des Gemeinwohls darstellbar gemacht werden. Fehlen alleine der politische Wille und das Geld?
4. Synopsis: Der gordische Knoten der Wohnungskrise
Da eine Krise nicht von heute auf morgen kommt, sondern vielmehr allzu häufig verdrängte, bisweilen gar verleugnete Transformations-, also in diesem Sinne auch vergeudete Um- und Weiterbauchancen dokumentiert, stellt sich hier bei allen Devisen auch die Frage, wieviel die neue Regierung und der Kanzler von dem Dschungel, in dem wir da (über-) leben und arbeiten wirklich verstanden haben. Womit sie sich kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden scheinen. Wo es aber vielleicht auch endlich weniger Beratungsresistenz von Seiten der Berliner Politik geben sollte. Vielleicht auch, weil man sich endlich ernsthaft mit besser und rascher sozial- und klimaverträglichen Lösungen für die „Wohnungsfrage als eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit“ beschäftigen sollte. Lösungen, die durchaus die brach liegende Wirtschaft wieder maßgeblich beleben könnten. Bottom-up und top-down. Den gordischen Knoten auch des überbordenden Baurechts wird man nur mit neuen gemeinsamen Erzählungen zerschlagen oder anderweitig lösen können. Davon sind sowohl Herr Merz und seine Leute, als auch örtliche Verwalter der Planungshoheit noch sehr weit entfernt.
Die installation eines entsprechend autorisierten inter- / transdisziplinären Quartiersmanagements indes hat einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Bürger als Marktteilnehmer als wesentliche Prämisse, derer sich Regierung und Verwaltung erst einmal stellen müssen. In der Regel wird der Terminus „frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit“ in der Leistungsphase 1-3 der Bauleitplanung verwandt, wenn ein Investor und / oder Eigentümer des Bestandes bereits mit seinen entsprechenden Ertragsberechnungen auf den Plan getreten ist. Die Bündelung der Interessen von Mietern und auch von kleinteiligen Streubesitzern indes erfordert viel Verhandlungsspielraum und eine entsprechend gestaltete transparente Verhandlungsführung. Vertrauensaufbau, der letztlich zur Ermächtigung von Bürgerräten und Mietergemeinschaften durch Bildung von Genossenschaften und Aneignung vom Bestand durch Erbpacht gebracht werden kann. Ein „Mietenstopp gegen rechts“ vermag so auch in Um- und Weiterbau von Quartieren in Städten und Regionen synergetisch und perspektivisch zu einem Wiedererstarken der Mitte der Gesellschaft geführt werden.
Ob aber dies alles auch in Zusammen-/ Aufbauarbeit mit bestehenden Behörden in Planung und Ausführung wirksam werden kann, das obliegt auch der technokratischen Verpackung von Austerität in Krisenzeiten, die bald zumal in Anbetracht der „reinen Ökonomik“, der Migration und des Krieges vor der Tür als Notzeiten deklariert werden könnten. Mit einmal mehr alternativlos autokratischem Ausgang zugunsten von so genannten Leistungsträgern und Eliten. „Die Ordnung des Kapitals“ eben. Es gibt jedoch reichlich Themen, wie da gegengesteuert werden kann.
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PS / Nachwort am 09.06.2025:
Marcel Fratzscher geht in seiner ZEIT-Kolumne „Fratzschers Verteilungsfragen“ im Beitrag zur Wohnungskrise vom 3ß.05.2025 unter dem Titel „Schluss mit den Preisexzessen“ weit in den operativen Instrumentenkasten hinein. Max Hauser berichtet in Surplus am 07.06. 2025 über eine Studie, die auch im Hinblick auf die „Mietpreisbremse“ darlegt: „Mietpreiskontrollen reduzieren die Ungleichheit“. Der "Bauturbo", § 246-E Bau-GB, den SPD-Bauministerin Verena Hubertz aus Trier im Podcast . Wie wird Wohnen bezahlbar, Frau Hubertz? vom 29.05.2025 . als große Hoffnung darstellt: das Thema der „Wohnungskrise“ als „DIE soziale Frage“ ist derzeit medial stark präsent. Andere Wege indes der Wohnraummobilisierung eben auch des Bestandes können auch noch wesentlich rascher mit 246-E, Gebäudetyp E und anderen Gesetzestexten aktiviert werden. Der angemessene Umgang jedoch, so dass Top-down und Bottom-up da sich vor Ort treffen können: das ist der Schlüssel.
PS/ Update am 16.08.2025:
„Wohnungsnot: Leere Häuser als Spekulationsobjekte“, so ist ein Artikel und drei Podcasts darin im Deutschlandfunk überschrieben, wo Zahlen zu Leerständen von Wohnungen in Deutschland genannt und erläutert sind (Zensus 2022: 1,9 Mio. Wes). Deutlich dargestellt ist auch die Zahnlosigkeit von Maßnahmen gegen den spekulativen Wohnungsleerstand, Aber eine Treuhänderschaft wurde erst einmal (!!!!) 2017 in Hamburg für ein seit 15 Jahren leerstehendes Mehrfamilienhaus eingesetzt. 6 der 8 Wohnungen in diesem Haus wurden in der Folge saniert.
Dass Dr. phil. Andrej Holm von der HU Berlin auch dafür plädiert, Wohnraumversorgung als Daseinsvorsorge mit dem Terminus "soziale Infrastruktur" aufzuwerten und somit zumindest sprachlich einen Paradigmenwechsel einzuleiten: schön. Was ist und was bleibt irgendwie dabei, mehr oder weniger? Schreiben und das dazu gehörende, bisweilen auch vorgeschaltete Denken rettet mir halt irgendwie die Seele. Nicht eine einzige Wohnung indes wird nur mit schönen Gedanken saniert oder auch neu gebaut. Der lange Atem indes dafür: wo ist der, wenn’s hart auf härter kommt?
PS/ Update vom 30.08.- 05.09. 2025:
Dieses Update zur „Wohnungskrise“ soll mit drei essentiellen (rhetorischen) Fragen eingeleitet werden:
Wie schon gesagt: diesen drei rhetorischen Fragen soll hier weiterhin mit Fokus auf die Wohnungskrise als zunehmend auch existenziell immer mehr Menschen bedrohende Krise nachgegangen werden. Die Analyse soll also einmal mehr andere Muster der Ausarbeitungen von selbstbestimmten Beteiligungsformen als erste Antworten auf diese „Polykrisen“ und die durch sie implizierten (rhetorischen) Fragen und damit auch per naturam ipsem nahe gelegten (Re-) Aktionsmöglichkeiten darlegen.
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„Weniger Vorschriften, mehr Wohnungen? Was hinter dem neuen Gebäudetyp E steckt“ wird in der Relation auch zum „Bau-Turbo“ der Regierung und darin explizit der SPD-Bauministerin Verena Hubertz klug auf „t3n – digital pioneers“, dem Portal des MIT Technology Review erörtert.
„Wohnraum für die Zukunft: So schaffen wir lebenswerte Städte ohne Bau-Turbo“ wiederum ist das neue Heft 08 / 2025 des MIT Technology Review überschrieben. Eine andere sinnige und den Diskurs vertiefend erweiternde Quelle, zumal dort auch der Bestand in einem Plädoyer „Umbau statt Abriss“ von Ulla Basqué von Architects for Future (a4F) gewürdigt wird.
Nicht nur als Mitglied von a4F sehe ich die „Bauwende“ auch in weiträumigen planetarischen Zusammenhängen. Und mehr als Chance im Gemeinwohl fördernden Umbau von Staat und Gesellschaft, weniger als Risiko, etwa im Sinne des immer wieder medial und von politisch ökonomischer Seite heraufbeschworenen dystopischen Menetekels „Deindustrialisierung“.
„Der „Schwammstadt“-Plan, der das Regen-Paradox deutscher Städte lösen soll“ titelt der Focus in einem dezidierten Bericht. Ausgehend von drei neuen Mehrfamilienhäusern mit 117 Wohneinheiten in Mannheim-Freudenheim, wo das Grauwasser entsprechend gesammelt, wiederverwandt und daneben im neu angelegten Teich auch zur Raum- und Flächenkühlung genutzt wird, wird diese Adaptionsmaßnahme an die Folgen der globalen Erderwärmung im urbanen Raum eingehend dargestellt. Ein entsprechender Umgang mit Wasser als essentieller Ressource in Herstellung und insbesondere Jahrzehnte dauerndem Gebrauch von Gebäuden wird insofern auch als „eine der größten städtebaulichen Herausforderungen“ bezeichnet.
Im Rahmen der Internationalen Bau-Ausstellung IBA 1986 / 87 hat das Büro meines Wasserbau-Partners Harald Kraft einen innerstädtischen Block in Berlin-Kreuzberg mit Pflanzenkläranlage zur Grauwasser-Aufbereitung für 106 Wohneinheiten beplant. Werden rund 40 Jahre später solche Pilotprojekte, für die Haralds Büro immerhin auch auf der Biennale di Venezia 2008: Updating Germany - 100 Projekte für eine bessere Zukunft eine Auszeichnung erhalten hat zur Erfordernis?
Große Regenwasserzisternen, wie sie auf DW dargestellt werden: „Wasserknappheit: Wie Berlin zur Schwammstadt werden soll“: sie scheinen da eher der berühmte Tropfen im Ozean. Und wenn am Ende da Astrid Hackenesch-Rump, Sprecherin der Berliner Wasserbetriebe (BWB) mit den Worten zitiert wird: „Um die Wasserkrise zu lösen, brauchen wir die Bereitschaft der Menschen, über Grenzen hinaus zu denken - und sei es nur über die eigene Grundstücksgrenze", dann enthält dieses Resümée die eigentliche Herausforderung und damit im Wesentlichen auch die entsprechenden (Ver-)Handlungsebenen, mit denen politische Willensbildung in Zeiten auch dieses Teils der Polykrisen wache Antworten ermöglichen sollte.
Überhaupt zeichnet sich das Thema der „globalen“, besser: der „planetarischen Wasserkrise“ immer deutlicher ab. In Anbetracht der langen Planungs- und Bauprozesse jedoch besteht da akuter Handlungsbedarf, besser: Integrations- und Koordinationsbedarf dieser Themen bei Projektsteuerung in Um- und Weiterbau von Städten und Regionen. Auch hier titelt der Focus in seiner Reihe „Die große Wasser Challenge“: „Fast unbemerkt versiegt in Deutschland eine alte Wasser-Gewissheit“. Es zeigt sich einmal mehr, dass passives Warten und aktives Verdrängen der Folgen der globalen Erderwärmung gefährlicher sind als jetzt die vielen Symptome von „Polykrisen“ in integrativen erforderlichen Strategien einzuwickeln.
Im dritten hier genannten Bericht der Focus-Reihe „Wenn wir nicht schnell gegensteuern, wird Wasser ein Standortnachteil für Deutschland" erklären WWF-Experte Johannes Schmiester und Daniel Mazuré vom UN Global Compact Netzwerk, wie wichtig eine transparente Wasserpolitik auch für den Industriestandort Deutschland ist. Und wie fatal der „Business as usual“ sich auswirken wird, wenn den Herausforderungen der Wasserkrise weiter nur marginal oder gar nicht wirklich effizient und „nachhaltig“ begegnet wird. Neue Partnerschaften der gegenseitigen Verantwortlichkeiten sind erforderlich. Die Verhandlungen dafür, auch in der Baubranche mit ihrem gewaltigen Carbon Footprint beginnen gerade erst. Aber sie sollten weiter forciert werden. Vor allem bedarf es dafür intensiver Steuerung und Koordination zwischen Städten und Regionen. Die dafür erforderlichen Moderationsgremien jedoch scheinen im Kleinklein der Fragmentierung von Interessen von Menschen und Dingen auch hier einmal mehr außen vor zu bleiben.
Dietrich Borchardt vom Magdeburger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung stellt in einem weiteren Bericht der Focus-Reihe perspektivisch grundsätzlich die Wassersicherheit im Lande in Frage und spricht von bald schon zu erwartenden höheren Lebensmittelkosten. Er lobt zwar das Fortführen der Wasserstrategie der Bundesregierung, beklagt aber den geringen Elan und die mangelnde Transparenz und Koordination bei diesen Themen auch des Um- und Weiterbaus des Industriestandortes Deutschland.
Auf DW überschreibt Stuart Braun das ganze planetarische Szenario am 28. August 2025 mit „Globale Wasserkrise könnte Billionen kosten - Weltweit verschärfen Hitze und Dürren den Wassermangel. Das bedroht Ernährung, Wirtschaft und führt zu Flucht sowie politischen Unruhen.“
Es geht also grundlegend um Wasserqualität und -quantität. Im Hinblick auf die global wie national rund 40% des Carbon-Footprints ausmachende Baubranche stellt sich also zudem grundsätzlich die Frage: Welche Hindernisse stellen sich in Ausschreibungen und Ausführungen, also planungs- und baurechtlich und damit auch wesentlich industriepolitisch dabei dar?
Auch Sebastian Dullien erwähnt auf Surplus in seinen „drei wichtigsten Maßnahmen für eine starke Industriepolitik“ beim Aufzählen industriepolitischer Maßnahmen aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag die Wasserstrategie nur am Rande und mahnt an, dass da insgesamt nachgebessert werden sollte und somit im europäischen geo- und klimapolitischen Rahmen „nämlich Elemente einer Industriepolitik, die besser holistisch entwickelt und abgestimmt werden sollte“ zum Tragen kommen sollten.
Alarmismus und Panikmache sind nie gute Ratgeber. Noch aber haben WIR Zeit und Möglichkeiten, uns auf die Themen einzustellen und Handlungen abzustimmen. Meine zweite begonnene Dissertation trug den emblematischen Titel „Wasser als kulturelles Erbe“. Städtebau und die entsprechenden transversalen Prozessbildungen zwischen Städten und Regionen und ihren entsprechenden Bürgerschaften erfordern das Wecken vieler Bewusstseinsbildungen, um so auch zu synergetischen Planungs- und Bauentscheidungen zu gelangen. Prozesse und Verfahrensweisen, die WIR auch zu neuen Ausgleichsmöglichkeiten zwischen Menschen, Dingen und unserem Planeten als uns letztlich beherrschende Heimat – und zu einer neuen, Generationen übergreifenden ökonomischen und ökologischen Blüte zu bringen vermögen.
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„Öffentliche Beteiligungsformen“ – bottom up meeting top down – vom Bund aus gesteuert bis in die Kommunen und von dort in die einzelnen Quartiere und Nachbarschaften tun Not nicht erst in einigen Jahren, sondern jetzt. Schließlich sind genügend Widerstände gegen solche Verfahrensweisen außerhalb des „Business as Usual“ zu erwarten. Und: WIR haben viel mehr Möglichkeiten, als jene „Widerständler und Beharrungsstatiker des Business as Usual“ uns weismachen wollen.
Zentrum-Peripherie-Konflikte sind auch städtebaulich manifeste Konflikte zwischen Städten und Regionen. Im Zuge der Verschärfung der Wohnungskrise werden sie zunehmend durch Verteilungsfragen und damit auch durch Fragen der ökonomischen Selbst- oder eben Fremdbestimmung charakterisiert. Maurice Höfgen verdeutlicht dies einmal mehr unter dem Titel „Kürzungen helfen nicht gegen die Konsumkrise – im Gegenteil“ und konstatiert zudem: „Die Leute haben heute noch immer so wenig Kaufkraft wie 2019. Überall steigen die Preise, doch die Löhne halten nicht mit.“
Luisa Neubauer überschreibt die Ohnmachtsgefühle, die ALLE irgendwie empfinden dann mit „Für das politische Klimachaos von Klingbeil und Co. zahlen wir alle“.
Schuldenbremse,
Investitions- und eben auch Transformationsstau: am deutlichsten wird dies unter der Überschrift
„Die Kosten der Klimakrise“:
Beharrungsvermögen und Trägheit von Bauen und Planen auch im Rahmen der Wohnungskrise können nur durch kollektive und demokratisch: bottom-up und top-down geregelte Prozesse und Verfahrensweisen überwunden werden. Der Berliner Top-down-Ansatz, der sich auch deutlich in seinen perspektivischen Engpässen in dieser Grafik vom Expertenrat für Klimafragen auf Surplus hier darstellt, hinterlässt gerade bei der existenziellen Frage des Wohnraums als Schutzraum vor Wind, Wetter und Obdachlosigkeit immer mehr Ohnmacht.
Bottom-up-Ansätze indes verdeutlicht auch Marco Beckendorf, „Bürgermeister in Brandenburg: „Wir haben es verlernt, als Kommunen Schulden zu machen“. Vor Ort, bei und von den Kommunen selbst gesteuerte und projektierte Schulden also als gut und effizient eingesetzte Investitionen in Gegenwart und Planung einer somit viel besser zu sichernden Zukunft.
Öffentliche Beteiligungsformen also, die programmatisch diese komplexen Prrozesse vom Bund aus steuern und eben zwischen Bund, Ländern und Kommunen moderieren und entsprechend beraten und koordinieren, also auch Konflikte austarieren: das ist es, was weiterhin fehlt. Und was scheinbar auch nicht wirklich gewollt ist in Berlin. Aber: eine Regierung wie auch ein Parlament sind keine homogenen Blöcke. Also gilt es, vielfältige Formen der Mehrheitsbildungen zu aktivieren.
Letztlich sind es die Schnittstellen, die im Städtebau und damit in Stadt- und Regionalplanung gleichermaßen synergetisch zum Tragen kommen. Die Schnittstellen mit ihren vielen Berührungspunkten und Adhäsionsflächen zwischen Politik- und Wirtschaftswissenschaften, Klima- und Wasserpolitik und damit Geowissenschaften und der Immobilien- und Bauwirtschaft. Die Sozialwissenschaften, wo letztlich auch Chancen und Möglichkeiten der einzelnen Bewohner und ihrer Gruppen ermittelt werden, stellen insofern wesentliche inhaltliche Parameter zur Verfügung. Das alles wiederum beheimatet in vielen verschiedenen Rechtsräumen und entsprechenden Gesetzes- und Regelwerken. Rechtsräume wie etwa Wirtschafts- und Baurecht, die zum Teil nur noch zu koexistieren scheinen ohne wirklich systematische Wertehierarchien des gesellschaftlichen Bedarfs und vielleicht auch in diesem Kontext planetarischer Bedarfe für gegenwärtiges und zukünftiges Leben abbilden, geschweige denn regeln zu können.
Beim Thema der Rohstoffe wird es zumal im Hinblick auf die Digitalisierung auch der Baubranche noch einmal komplexer. Isabel Feichtner verdeutlicht das in „Bodenschätze – Über Verwertung und Vergesellschaftung“ exemplarisch mit dem Konflikt um die Schürfrechte des Tiefseebodens zwischen globalem Norden und globalen Süden. Entwürfe für ein „neues Völkerrecht“ etwa von Mohammed Bedjaoui und Elisabeth Mann Borgese in den 1970er Jahren prominent vorgebracht, in denen der Tiefseeboden als „gemeinsames Menschheitserbe“ behandelt werden sollte, „lehnten die Völkerrechtler im globalen Norden ab. Stattdessen befürworteten sie die Ergänzung des liberalen Rechts der formalen Gleichheit um ein Sozialrecht.“ 1
Hier werden Konflikte u.a. zwischen innen und außen und den vielen Rechtsformen, die Aktionen darin legitimieren und / oder sanktionieren, z.T. aber auch codieren im Sinne des Schaffens von Freiräumen für mächtige Stakeholder oder auch: im „neo-/ postliberalen Duktus“ agierende Profiteure noch einmal deutlicher. 2
Der Störfall dann bei der Rohstoffgewinnung, wie etwa der Gift-Unfall eines chinesischen Bergbau-Unternehmens in Sambia, bei dem „1,5 Mio Tonnen Gift-Abfall freigesetzt“ wurden, wird zum jahrelang gutachterlich angefochtenen Super-GAU. Der Alltag an anderen Orten des globalen Südens, wo Minen, wie hier zur Kupfer-Gewinnung primär von Konzernen aus dem Norden mit lokalen Elitepartnern gemeinsam ausgebeutet werden indes bleibt weiterhin im Dunkeln.
„Grüner Kolonialismus - Zwischen Energiewende und globaler Gerechtigkeit“ indes ist ein Thema, das aus den Grauzonen von „Recht und Ordnung im neo-/ postliberalen Zeitalter“ hinausbewegt werden sollte. Letztlich geht es darum, endlich die Augen vor den entropisch limitierten planetarischen Grenzen zu öffnen.
Der Austausch zwischen den Generationen in einer „alternden Gesellschaft“, also zwischen Erfahrungswerten einerseits und frischem jugendlichem Elan andererseits stellt noch einmal eine wesentliche Komponente dar, die als verbindender, nicht als trennender Wert genutzt und weiter ausgebaut werden sollte.
Auch die genauere Definition von und das Vermitteln zwischen den Stakeholder- und Interessensgruppen bei Infra-, Intra-, Inter- und Trans-:Strukturen, alleine in diesem Kontext die Behandlung von Wohnraum als „soziale Infrastruktur“: dazu sind klarere Strategien gefordert als das, was die Regierung in Berlin, was Politik und Wirtschaft zumal im globalen Zirkus derzeit einmal mehr darlegen. Noch einmal auf die Berliner Republik zurück bezogen riskiert eine solche Politik da nicht nur den „sozialen Frieden“. Sie verspielt auch eine Zukunft, die WIR unseren Kindern mitgeben und mit ihnen erarbeiten und gestalten können sollen.
Patrick Kaczmarczyk schließt seinen Beitrag in Surplus
„Haushaltsausschuss: Deutschland plant groß, aber nicht groß genug“ mit den Sätzen:
„Wenn Deutschland seine Substanz erneuern, Klimaneutralität erreichen und seine Wirtschaft fit für das 21. Jahrhundert machen will, reicht ein halbherziger Schritt nicht aus. Notwendig ist eine dauerhafte Investitionsoffensive, flankiert durch eine Reform der Schuldenbremse und ein klares Bekenntnis zu öffentlichem Beteiligungskapital in Schlüsselsektoren der Wirtschaft. Bleiben die Gesetzentwürfe in ihrer derzeitigen Form bestehen, so dürfte das Sondervermögen ein gut gemeinter, aber letztlich zu kleiner Schritt bleiben. Und das ist in einer Zeit, die nach großen Antworten verlangt, zu wenig.“
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